Aktuell steht Frontex vermehrt unter Druck. Recherchen von Journalist*innen und NGOs belegen, dass die „Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache“ wiederholt in illegale Rückführungen (Pushbacks) und andere Menschenrechtsverletzungen verwickelt ist.
Frontex duldete mindestens, dass die griechische Küstenwache Menschen, die auf kleinen Booten in Richtung griechische Inseln fliehen, gewaltsam in türkische Gewässer zurückdrängt. Zwischen März 2020 und April 2021 betraf dies nachweislich 132 Boote, während Frontex-Schiffe in räumlicher Nähe operierten.
Im Frühling 2021 beschrieb ein Recherche- Kollektiv zudem, wie sich Frontex aktiv an illegalen Pushbacks nach Libyen beteiligt: Aufklärungsflugzeuge im Dienst von Frontex fliegen täglich das Meer vor der libyschen Küste ab und melden den als „libysche Küstenwache“ bezeichneten Milizen Boote mit Flüchtenden in Richtung Europa. In der Nähe befindliche Frachter oder Schiffe der zivilen Seenotrettung werden nicht informiert. Mithilfe der übermittelten Informationen fängt die sogenannte Libysche Küstenwache die Menschen ab, auch wenn sie bereits jenseits libyscher Gewässer auf Hoher See sind, und zwingt sie gewaltsam und illegaler Weise zurück in das Bürgerkriegsland.
Solche Pushbacks bzw. „Pullbacks“ aus internationalen oder europäischen Gewässern verstoßen gegen Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention. Demzufolge ist es verboten, Flüchtende dorthin zurückzuweisen, wo ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht sind. Bereits in den vergangenen Jahren wurden immer wieder Pushbacks in der Ägäis und gewalttätige Übergriffe durch Frontex entlang der Balkanroute bekannt. Zuletzt hatte die Europäische Kommission 2019 Aufklärung versprochen.
Ernsthafte Konsequenzen hatten derartige Vorwürfe bislang nicht. Im Gegenteil: Die Grenzschutzagentur erhielt für das Jahr 2021 eine finanzielle Aufstockung von 460 Millionen Euro auf 1,6 Milliarden sowie ein stehendes Heer aus 10.000 bewaffneten Beamt- *innen bis 2027. Nach den jüngsten Vorwürfen über Menschenrechtsverletzungen in der Ägäis verweigerte das EUParlament in diesem April die Entlastung des Frontex-Haushalts von 2019, zudem ermittelt die Anti-Betrugsbehörde. Eine Frontex-interne Arbeitsgruppe konnte für die Ägäis indes keine Verletzungen der geltenden Bestimmungen feststellen. Die Untersuchungskommission des EU-Parlaments siedelt die Verantwortung für die konkreten Menschenrechtsverletzungen bei den Mitgliedsstaaten an. Frontex habe ihr zufolge jedoch die Kontrolle von griechischer Küstenwache und verwandten Akteuren versäumt, Verstöße verschwiegen und Berichte geschönt, um sie in Einklang mit dem Regelwerk der Agentur zu bringen.
KAUM KONTROLLIERBAR
Forderungen wie die der Grünen nach mehr parlamentarischer Kontrolle und dem Ausbau des Monitoring durch die Grundrechteagentur der EU, die kein Sanktionsrecht besitzt, sind definitiv unzureichend. Schließlich zeigt die Vergangenheit, dass eine Kontrolle durch das EU-Parlament nicht nur nicht wirksam ist; im Gegenteil: das Parlament selbst erweitert die Befugnisse von Frontex trotz kontinuierlicher Rechtsbrüche stetig. Eine wirksame Kontrolle der EU-Agentur ist rechtlich auch gar nicht vorgesehen.
Sie ist als Dienstleister für die EU-Mitgliedsstaaten nur indirekt verantwortlich. Eine unklare Kompetenzverteilung zwischen Frontex und den Mitgliedsstaaten führt zudem zu einem Haftungsvakuum. Mittelkürzungen bilden im Grunde die einzige Möglichkeit des EU-Parlaments, Frontex zu sanktionieren. Auch ein juristisches Vorgehen gegen Frontex gestaltet sich schwierig. Bei Betroffenen von Pushbacks als potentielle Kläger*innen überwiegt zu Recht die Furcht vor Repression gegenüber einem abstrakten Interesse an später Gerechtigkeit.
DEN DRUCK ERHÖHEN
Die neu gegründete Initiative Front-Lex hat am 15. Februar 2021 vor dem Europäischen Gerichtshof Klage gegen Frontex eingereicht und fordert einen Stopp des Einsatzes in der Ägäis. Die internationale´Kampagne „Abolish Frontex!“ will nicht weniger als die Abschaffung der EU-Grenzschutzpolizei und möchte eine grundlegende Diskussion über die rassistische europäische Migrationspolitik entfachen. Denn das Problem ist nicht Frontex allein: Die Praktiken der Agentur basieren ebenso wie das Vorgehen der EU-Mitgliedsstaaten auf einer zutiefst unmenschlichen Politik, die Migration als Risiko und Bedrohung definiert und als illegal kriminalisiert: Diese Abschottung der „Festung Europa“ soll schließlich den Lebensstandard der EU-Staatsbürger* innen sichern.
Die Mitgliedsstaaten haben also alle ein mehr oder weniger großes Interesse an der Aufrechterhaltung des Status quo. Die CDU etwa möchte Frontex noch weiter ausbauen. Die aktuell unüberhörbare Kritik an der EU-Agentur und der Druck der Zivilgesellschaft dürfen daher jetzt nicht verstummen, um erste wirksame Schritte in Richtung einer dringend benötigten Veränderung zu gehen.