Am Dienstag, dem 5. Dezember 2017, hat die Polizei in den frühen Morgenstunden auf der Grundlage von 25 Durchsuchungsbeschlüssen 23 Wohnungen in acht Bundesländern durchsucht.
Die Durchsuchungen stehen im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Politik der G20. Allein in NRW wurden zehn Wohnungen durchsucht, neun in Bonn und eine in Köln. Der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer und der Leiter der Sonderkommission „Schwarzer Block“ Jan Hieber betonten auf der Hamburger Pressekonferenz, dass es sich um Beschuldigte handele, die verdächtigt werden, sich eines besonders schweren Falles des Landfriedensbruchs schuldig gemacht zu haben. Die SoKo soll nun endlich veranschaulichen, in welchem Maße dieses Land durch „Linksextremisten“ bedroht wird. Und tatsächlich ist in den Medien sofort die Rede von den „Krawallen“ beim G20-Gipfel, von den Chaoten und Randalierer, von der Jagd auf „Drahtzieher“. Bebildert werden diese Berichte mit brennenden Barrikaden, mit Fotos, die das Chaos und die Gewalt verdeutlichen sollen.
Die „Beschuldigten“ sind alle am Tag des Zivilen Ungehorsams, Freitag, dem 7. Juli 2017, am Rondenbarg in Hamburg-Altona, weit außerhalb der großflächigen Demonstrationsverbotszone, festgenommen worden. Um 6:28 Uhr seien dort 150 bis 200 „überwiegend dunkel gekleidete“ Personen gewesen, teilte der Leiter der SoKo mit. Da sie dunkel gekleidet waren, muss es sich um den „Schwarzen Block“ gehandelt haben.
Was war bis zu diesem Zeitpunkt in Hamburg passiert?
Die Polizei hatte am Sonntag, dem 2. Juli 2017, einen Gerichtsbeschluss ignoriert und den Zugang zum genehmigten Camp abgesperrt. Nachdem sie die Versammlungsteilnehmende abends auf den Platz gelassen hatte, hat sie das Camp nachts überfallen und Schlafende verletzt. Trotz gegenteiligen Gerichtsbeschlusses behauptete die Polizei noch immer, im Camp dürfe nicht geschlafen werden.
Am Dienstag, dem 4. Juli 2017, wurden die Menschen, die sich auf den Plätzen und an den Ecken im Schanzenviertel trafen, um zu reden und gemeinsam zu feiern, von der Polizei bedrängt. Die symbolischen Zelte, mit denen gegen das Campverbot protestiert wurde, wurden martialisch entfernt. Gegen manche Gruppen wurden Wasserwerfer eingesetzt.
Am Donnerstag, dem 6. Juli 2017, wurde eine angemeldete Demonstration, die keine Auflagen erhalten hatte, sofort polizeilich gestoppt, als sie losgehen wollte. Vorgeblich waren von den ca. 12.000 Demonstrierenden in einem kleinen Block von rund 1.000 Personen einige vermummt. Von diesen hatten auch schon viele begonnen, ihre Vermummung abzulegen. Die Polizei aber überfiel die gesamte Demonstration, trieb die inkriminierte Gruppe gegen eine Mauer, setzte Pfefferspray, Schlagstöcke, Wasserwerfer gegen alle ein. Sie betrieb noch nicht einmal Strafverfolgung, sondern zerschlug nur und „bestrafte“ auf ihre Weise.
Am Freitag, dem 7. Juli 2017, brachen dann mehrere Gruppen vom Camp in Altona in Richtung Stadt auf. Fast alle Gruppen wurden polizeilich begleitet. Eine Gruppe wurde von der Polizei gestoppt, indem Polizeibeamte schreiend auf die Versammlungsteilnehmenden zurannten und zuschlugen. 59 Personen wurden festgenommen, 14 Verletzte wurden in Krankenhäuser gebracht.
Erst nach diesen Festnahmen entstanden die Bilder, die nun immer mit den Protesten am Rondenbarg verbunden werden. Gegen 7:30 Uhr zog eine Gruppe über die Elbchaussee. Teilnehmende ängstigten Menschen in einem Bus und zündeten Autos an. Dies ist die einzige Gruppe an diesem Morgen, die nicht von der Polizei begleitet wurde, da nicht ausreichend Kräfte zur Verfügung gestanden hätten. Viele Gruppen demonstrierten auch an diesem Tag in der Hamburger Innenstadt und im Hafen gewaltfrei. Erst in den Abendstunden fanden sich im Schanzenviertel Leute, die Geschäfte plünderten und Barrikaden anzündeten. Die Bilder von diesen Abend- und Nachtstunden dominieren seitdem die Berichterstattung und die öffentliche Wahrnehmung.
Die Polizei hatte von Anfang an vor den Chaoten und Gewalttäter und Gewalttäterinnen gewarnt, die nach Hamburg kämen. Endlich gab es die passenden Bilder und eine entsprechende Berichterstattung. Allerdings hat sich längst gezeigt, dass die Berichte und Befürchtungen der Polizei, weswegen sie in dieser Situation nicht hätte eingreifen können, jeder Grundlage entbehren. Die behaupteten Indizien für einen bedrohlichen Hinterhalt in der Schanze hat es nicht gegeben. Die Menschen auf einem Hausdach, von denen zunächst behauptet wurde, es seien Straftäter, die Gehwegplatten auf die Polizei werfen könnten, entpuppten sich als Blogger, die einen Ort gesucht hatten, der ihnen Überblick verschaffte. In dieser Situation, wie auch in anderen, ist Gummimunition innerhalb von Menschenmengen eingesetzt worden. Ein Gutachten des Deutschen Bundestages bewertet dies als einen rechtswidrigen Einsatz von militärischen Waffen.
Worum geht es bei den Hausdurchsuchungen?
Schon in der Pressekonferenz wurde die Frage gestellt, ob die Polizei versuche, nun endlich die Deutungshoheit zurückzugewinnen. Im Prozess gegen den Italiener Fabio läuft es schlecht für die Anklage. Fabio sind keine eigenen Handlungen nachzuweisen, kein Polizist erinnert sich als Zeuge an ihn. Ihm wird nur vorgeworfen, dass er überhaupt vor Ort war.
Tatsächlich versucht die Polizei dieses Konstrukt nun weiter zu vertiefen. Allein die Anwesenheit bei einer Versammlung, von der die Polizei behauptet, dort wäre hohe Gewaltbereitschaft festzustellen gewesen, soll strafbar sein. Das ist der Versuch, den Brokdorf-Beschluss außer Kraft zu setzen. Das Bundesverfassungsgericht hat 1985 erstmals die fundamentale Bedeutung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit für die Demokratie hervorgehoben: „… das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers“.
In diesem Beschluss stellt das Verfassungsgericht auch fest, dass „Unfriedlichkeit“ einzelner Teilnehmender das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht aushebeln dürfe. Das Gericht führt aus:
„Steht kollektive Unfriedlichkeit nicht zu befürchten, ist also nicht damit zu rechnen, dass eine Demonstration im Ganzen einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt oder dass der Veranstalter oder sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben oder zumindest billigen, dann muss für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben, wenn einzelne andere Demonstranten oder eine Minderheit Ausschreitungen begehen. Würde unfriedliches Verhalten Einzelner für die gesamte Veranstaltung und nicht nur für die Täter zum Fortfall des Grundrechtsschutzes führen, hätten diese es in der Hand, Demonstrationen ,umzufunktionierenʻ und entgegen dem Willen der anderen Teilnehmer rechtswidrig werden zu lassen; praktisch könnte dann jede Großdemonstration verboten werden, da sich nahezu immer ,Erkenntnisseʻ über unfriedliche Absichten eines Teiles der Teilnehmer beibringen lassen.“
Und dann doch wieder in diesem Sinne versucht die SoKo „Schwarzer Block“ nun nachzuweisen, dass sich alle Demonstrationsteilnehmenden verabredet hatten, kannten und wussten, was die anderen beabsichtigten. Das scheint sehr absurd. Sie beruft sich dabei eben auch auf die kurz vor den Demonstrationen veränderten Paragrafen 113 und 114 des Strafgesetzbuches. Sie unterstellt – kurz gefasst ̶ gemeinschaftliche Gefährdung von Vollstreckungsbeamten und Landfriedensbruch. Sie meint, ein im Mai 2017 ergangenes Urteil des Bundesgerichtshofs in ihrem Sinne interpretieren zu können. Zwei Hooligan-Gruppen hatten sich zu einem Straßenkampf verabredet. Das Gericht entschied, dass schon die Teilnahme an dem gemeinsamen Marsch bis kurz vor der eigentlichen Schlägerei eine Straftat sei und eine individuelle Handlung nicht nachgewiesen werden müsse. Es grenzte die zu beurteilende Situation jedoch explizit von der Teilnahme an Versammlungen ab:
„Dadurch unterscheidet sich dieser Fall der „Dritt-Ort-Auseinandersetzung“ gewalttätiger Fußballfans von Fällen des „Demonstrationsstrafrechts“, bei denen aus einer Ansammlung einer Vielzahl von Menschen heraus Gewalttätigkeiten begangen werden, aber nicht alle Personen Gewalt anwenden oder dies unterstützen wollen.“
Es ist übrigens keine Straftat, sich dunkel, ja sogar schwarz zu kleiden. Wahrscheinlich könnte man von jeder x-beliebigen Gruppe in einer Stadt feststellen, dass dort viele dunkel gekleidet sind. In der Anklageschrift gegen Fabio, den Italiener, der nach vier und einem halben Monat aus der U-Haft entlassen wurde und der ebenfalls im Rondenbarg festgenommen worden war, ist die Rede davon, dass insgesamt 17 Objekte von einer Menge von 150 bis 200 Personen aus geworfen wurden. Wahrscheinlich sollen nun auch weitere Gegenstände, die gefunden wurden, allen Versammlungsteilnehmenden zur Last gelegt werden. Von einer Versammlung will die Polizei aber gar nicht erst sprechen, sondern behauptet, dass es ein auf Gewalttätigkeit orientierter „Mob“ war, der gemeinschaftlich handelte.
Das ist eine absurde Konstruktion. Auf der Pressekonferenz wurde schon die Tatsache, dass eine Versammlung vorbereitet würde, als Hinweis auf eine Verschwörung gewertet. Es ist aber unbestritten, dass solche großen Protestversammlungen vorbereitet werden. Nur gibt es keine Leitung, die auf Gewalttätigkeiten orientiert, und keine Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die vorher alle anderen genau befragen oder gar durchsuchen. Der Behauptung, dass fast alle in dieser Versammlung vermummt waren, widerspricht die eigene Anschauung, wenn man sich die Videos ansieht. Und auch die Polizei betont zugleich, dass sie aufgrund ihrer Videoaufzeichnungen hofft, viele weitere Personen zu identifizieren, da sie nicht vermummt waren. Der von der Polizei betonte Zusammenhang mit der Gruppe, die auf der Elbchaussee randalierte, erschließt sich nicht. Denn das passierte nach diesen Festnahmen.
Bei den Hausdurchsuchungen sind vor allem Computer, Laptops, Handys und weitere Speichermedien beschlagnahmt worden. Es geht darum, die Szene auszuspionieren, Daten zu sammeln und Zusammenhänge für die Polizei sichtbar zu machen. Es geht sicherlich auch um Einschüchterung und Abschreckung von der Teilnahme an Versammlungen. Und vielleicht geht es darum, wenigstens Bestrafung mit polizeilichen Mitteln durchzuführen. Der Verlust der eigenen Kommunikationsmöglichkeiten ist ein harter Eingriff, die Beschlagnahme der Dissertation kurz vor dem Abgabetermin erst recht. Betroffen waren in NRW all diejenigen, die mit der verdi-Jugend nach Hamburg gefahren waren. Alle brauchen nun die Solidarität aller Demokratinnen und Demokraten.
Würde sich die Unterstellungen und Interpretationen der Polizei durchsetzen, wäre das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in höchster Gefahr. Dann könnte man sich kaum noch trauen, an einer Versammlung teilzunehmen.
Elke Steven, Dr. phil., arbeitete als Soziologin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie. Ihre Arbeitsschwerpunkte waren und sind Demonstrationsrecht und -beobachtungen, Innere Sicherheit, elektronische Gesundheitskarte und Friedenspolitik.
Zuerst veröffentlicht auf dem online-Magazin RUBIKON