14. Aug. 2018
Europa / Flucht / Seenotrettung

Es ist Zeit, sich zu entscheiden.

Der Kapitän des privaten Rettungsschiffes „Mission Lifeline“ muss sich derzeit vor Gericht verantworten, weil sein Schiff Mitte Juni vor der libyschen Küste 234 Menschen aus Seenot rettete. Entgegen des Befehls der italienischen Regierung unter ihrem neuen neofaschistischen Innenminister Matteo Salvini wollte die Crew seerechtskonform die Menschen weder ertrinken lassen noch der „libyschen Küstenwache“ ausliefern.

Der Kapitän des privaten Rettungsschiffes „Mission Lifeline“ muss sich derzeit vor Gericht verantworten, weil sein Schiff Mitte Juni vor der libyschen Küste 234 Menschen aus Seenot rettete. Entgegen des Befehls der italienischen Regierung unter ihrem neuen neofaschistischen Innenminister Matteo Salvini wollte die Crew seerechtskonform die Menschen weder ertrinken lassen noch der „libyschen Küstenwache“ ausliefern. Denn diese transportiert sämtliche aufgegriffene Boatpeople zurück nach Libyen, wo sie in geschlossenen Lagern interniert werden. Dort droht ihnen bekanntermaßen Sklavenarbeit oder Prostitution, Folter oder Vergewaltigung. Mehrere Bürgermeister, darunter die von Palermo und Neapel, stellen sich gegen den repressiven Regierungskurs und heißen die Schiffe willkommen. In Spanien erklärten die Bürgermeister*innen von Barcelona und Valencia ihre Städte zu „offenen Häfen“.

Noch im letzten Sommer wurden die zivilen Rettungsschiffe als „Schlepper“ und „Handlanger kommerzieller Schleuserbanden“ kriminalisiert. Heute sind sämtliche Häfen Italiens auf Anweisung Salvinis für private Rettungsschiffe geschlossen. Die bislang für die Meeresregion vor Nordafrika zuständige italienische Küstenwache hat sich vollständig von dort zurückgezogen. Die NGO-Schiffe sind gezwungen, tagelang mit hunderten überlebender und erschöpfter Menschen an Bord darauf zu warten, dass ihnen ein Land überhaupt das Einlaufen in einen Hafen gewährt. Inzwischen werden NGO-Schiffe beschlagnahmt und festgehalten und dadurch Rettungsmissionen auf dem Mittelmeer verhindert. Täglich verlieren Menschen ihr Leben, das europawärts nichts mehr zu zählen scheint.

Der zurückliegende EU-Gipfel Ende Juni wurde zu Recht „Gipfel der Unmenschlichkeit“ betitelt. Dort einigte man sich auf Internierungslager für Geflüchtete innerhalb der EU, dies ist ein Novum nach1945. Auch sollen in neokolonialer Manier Lager in Nordafrika entstehen, die Geflüchtete davon abhalten, überhaupt erst nach Europa zu gelangen. Der Plan, Gerettete sollten nicht mehr aus dem zentralen Mittelmeer in die Häfen der EU gebracht werden, sondern direkt zurück nach Afrika, ist inzwischen Realität. Wir erleben alles in allem eine vollständig entmenschlichte Flüchtlingspolitik in der gesamten EU, in der es nur noch um die Abwehr vermeintlicher Eindringlinge geht. Wir erleben eine sprachliche Verrohung, in der Menschen auf der Flucht jegliches Menschsein aberkannt wird und zugleich eine breite gesellschaftliche Akzeptanz dieser Entwicklung.

Trotz gleichbleibend gefährlicher Sicherheitslage im Kriegsgebiet Afghanistan wird kein Abschiebestopp erlassen. Im Gegenteil, Abschiebungen dorthin werden sogar ausgeweitet. Gleichzeitig wird vielerorts solidarische Unterstützung von Geflüchteten als illegal diffamiert. Die humanitär religiöse Praxis der Kirchenasyle wird inzwischen durch die Verlängerung der Überstellungsfrist bei Dublin-Abschiebungen faktisch ausgehebelt. Menschen ohne Aussicht auf Asyl sollen direkt aus sog. „Ankerzentren“ abgeschoben werden. Geschlossene Lager an deutschen Außengrenzen werden als geplante „Transitzentren“ verharmlost. Unter diesem Namen existieren längst Orte an den Grenzen Serbien/Ungarn. Es sind Nicht-Orte im Niemandsland: Sterile Container – von Beton, Stacheldraht, Überwachungskameras und Security umgeben. In einer absolut menschenfeindlichen Umgebung müssen Menschen über Monate auf einen der seltenen positiven Asylbescheide warten. Wird dies bald deutsche Realität?

Es fällt uns schwer, angesichts der aktuellen Situation angemessene Worte des Entsetzens zu finden, die nicht schon alles das vorwegnehmen, was zweifellos noch auf uns zukommen wird. Die Hoffnung vieler, auch von uns, liegt jetzt mehr denn je in solidarischen Bewegungen von unten. Es braucht und es gibt überall Menschen, die deutlich Position beziehen für eine Gesellschaft der Vielen, für offene Häfen und solidarische Städte. Wir zählen auf all die mutigen Menschen, die sich weiterhin für die Ausgegrenzten stark machen und die derzeit unter dem Motto „Seebrücke“ und „ausgehetzt“ bundesweit laut gegen rassistische Hetze und für die Solidarität mit Geflüchteten und ihren Helfer*innen auf die Straße gehen. Wir zählen auf all diejenigen, die Menschen unterstützen, die sich gegen (ihre eigenen) Abschiebungen zur Wehr setzen und die in aller Stille bedürftigen Menschen Hilfe und Schutz bieten. In vielen Städten und Regionen bilden sich aktuell Initiativen für ein Bürgerasyl, um Menschen Schutz vor Abschiebung zu bieten und Kirchenasyle zu entlasten. Konkret unterstützen wir als Grundrechtekomitee diese Initiativen aktiv im Aufbau geeigneter Strukturen, lokal sind wir Teil der Kölner „Initiative Bürger*innenasyl“. Wir möchten hiermit alle darin bestärken, sich Abschiebungen als Akt zivilen Ungehorsams auf vielfältige Weise in den Weg zu stellen. Denn: „wer nur ein einziges Leben rettet, der rettet die ganze Welt.“ (Talmud)