Mit Vorstellung des neuen Verfassungsschutzberichtes im Juni 2024 erklärte die Bundesbehörde des Inlandsgeheimdienstes das Bündnis „Ende Gelände“ zu einem sogenannten linksextremistischen Verdachtsfall. Dies ist eine geheimdienstliche Vorstufe zur Einstufung als „linksextremistisch“ und erlaubt den Einsatz verdeckter Überwachungsmaßnahmen, wie Observationen oder das Einschleusen verdeckter Mitarbeiter*innen. Damit ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass verdeckte Bespitzelung nicht schon seit Jahren praktiziert wird.
Dass der Inlandsgeheimdienst diesen Schritt geht, nachdem das Bündnis schon zehn Jahre besteht und gerade von den spektakulären Großaktionen der ersten Jahre zu einer lokaleren Verankerung übergegangen ist, war überraschend. Der einzige tatsächlich erkennbare Unterschied in der Beschreibung von Ende Gelände zwischen den geheimdienstlichen Berichten von 2022 und 2023 liegt in der festgestellten Loslösung von der Interventionistischen Linken (IL).
In den Vorjahren hatte der Geheimdienst Ende Gelände stets als „linksextrem beeinflusst“ dargestellt. Nun schreibt er, „Ende Gelände“ habe sowohl auf struktureller als auch auf strategischer und ideologischer Ebene den unmittelbaren Einflussbereich der IL verlassen. Es gebe eine „eigene etablierte Organisationsstruktur“, „eine die IL deutlich übersteigende Anzahl von etwa 70 Ortsgruppen sowie ein höheres Mobilisierungspotenzial“.
Es werden zwar auch antikapitalistische und abolitionistische Positionen (etwa die Abschaffung der Polizei) und die Hinwendung zu Sabotage angeführt, aber all das beschrieb der Bericht schon im Vorjahr. Somit scheint die Einstufung vor allem deshalb erfolgt zu sein, um Ende Gelände wegen nun angenommener organisatorischer und ideologischer Entkopplung von der IL, eigenständig zu überwachen.
Die Einstufungsentscheidungen folgen immer auch politischen Logiken und Regierungsinteressen. Sie müssen keiner kohärenten und logischen Analyse standhalten, auch nicht im eigens staatsschützerisch aufgebauten Ideologiegebilde von Extremismus und Verfassungsfeindlichkeit. So ist es ein staatsschützerisches Kontinuum, dass Gefahren von rechts in der Außenkommunikation immer auch mindestens ähnlich drastischen Gefahren von links gegenübergestellt werden müssen.
Obwohl der Bericht wie in den Vorjahren die größten „Gefahren für die Demokratie“ im Rechtsextremismus verortet, wurde die Verdachtsfall-Einstufung von Ende Gelände medial deutlich breiter rezipiert. Das kann getrost als gewollter Effekt interpretiert werden. Auch wenn ein Teil der Berichterstattung diese Einstufung durchaus kritisch einordnete, so war doch der mediale Fokus gesetzt. Ende Gelände selbst hat viel Unterstützung und Solidarität aus einem breiten zivilgesellschaftlichen Spektrum erhalten und will sich von der geheimdienstlichen Delegitimierungsstrategie nicht einschüchtern lassen.
In der Tat ist es leider so, dass progressive Bewegungen, zu denen Ende Gelände zu zählen ist, den Schutz von Menschenrechten und demokratischem Gemeinwesen gegen staatliche Institutionen durchsetzen müssen. Dem steht eine exekutive und legislative Politik entgegen, die zunehmend autoritär und massiv grundrechtsbeschränkend ist.
Es ist zudem offensichtlich, dass weder die fortschreitende Klimakatastrophe, noch der Klimabeschluss des Bundesverfassungsgericht für die jetzige oder vorhergehende Regierungskoalition handlungsleitend sind. Vielmehr ist eine Radikalisierung des staatlichen Nichthandelns zu beobachten. Die verfassungsschützerische Delegitimierung von Ende Gelände muss insofern in Zusammenhang mit der massiv ausgeweiteten Kriminalisierung der gesamten Klimagerechtigkeitsbewegung gesetzt werden, ein Trend der weltweit zu beobachten ist.
Neben der kritischen Analyse der Verdachtsfalleinstufung, ist der fortgesetzte kritische Blick auf die Geheimdienste selbst essentiell. Es ist weiterhin notwendig, darauf zu beharren, dass die geheime und offene staatliche Beschattung und Bespitzelung der Bevölkerung in einer Demokratie keine Daseinsberechtigung hat. Eine radikal-demokratische und emanzipatorische Betrachtung kann immer nur die Abschaffung dieser Staatsschutzbehörden fordern, wie es viele der altgedienten Menschenrechts- und Bürger*innenrechtsvereine seit Jahrzehnten tun.
Die geheimdienstlichen Staatsschutzkonzepte, zentral das Extremismuskonzept, gehen von einem verengten und autoritären Demokratiebegriff aus, der keinerlei Weiterentwicklung verträgt. Zudem nutzen die Verfassungsschutzbehörden das Extremismuskonzept, um die Grenze der Legitimität politischer Inhalte auf Basis politischer Interessenlagen festzulegen.
Dabei waren die Verfassungsschutzbehörden seit ihrer Gründung zuverlässig darin, rechte Gewalt zu verschleiern und zu relativieren. Das kann tödliche Folgen haben, wie in jüngerer Vergangenheit die massive verfassungsschützerische Verstrickung in den rechtsterroristischen NSU-Komplex gezeigt hat. Dutzende V-Leute bewegten sich im Umfeld des NSU-Kerntrios, der VS-Mitarbeiter Andreas Temme war nachweislich während des Mordes an Halit Yozgat in dessen Internetcafé anwesend. Es wurde jahrelang massenhaft Geld in rechte Strukturen, nicht nur im Umfeld des NSU gepumpt und somit die terroristische Gewalt unterstützt. Nach der Selbstenttarnung des NSU wurde die Aufarbeitung durch Aktenvernichtung und das Beharren auf notwendigen Quellenschutz behindert.
Demgegenüber steht die Tatsache, dass emanzipatorische und demokratisierende Bewegungen, die sich für eine überlebensnotwendige sozial-ökologische Transformation und tatsächliche Grund- und Menschenrechte für alle einsetzen, regelmäßig als Verfassungsfeinde und Gewalttäter*innen gelabelt werden. Das trifft nicht nur Klimaschützer*innen, sondern auch Antifaschist*innen, Gruppen wie „Deutsche Wohnen und Co enteignen“, die für die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne eintreten oder Abolitionist*innen, die für ein Ende aller staatlicher Gewalt etwa durch Knäste, Lager und Polizei streiten.
Die Kritik an den Inlandsgeheimdiensten und ihren Staatsschutzkonzepten ist in den letzten Jahren kaum mehr vernehmbar. Es ist an der Zeit, sie wieder nach vorne zu rücken und daran festzuhalten: Verfassungsschutz abschaffen und Extremismuskonzept einmotten!
Dieser Artikel erschien zuerst in der Ausgabe 491 der Monatszeitschrift Graswurzelrevolution im September 2024 unter dem Titel “Solidarität mit Ende Gelände. Die Kriminalisierung der Klimagerechtigkeitsbewegung muss ein Ende haben.”