24. Nov. 2021 © Grundrechtekomitee
Gefangenenunterstützung / Lebenslange Haftstrafe / Rente für Gefangene

Eine Frage der Würde: Die Einbeziehung von Strafgefangenen in die Rentenversicherung

Ein Gesetzesversprechen bleibt uneingelöst

Vielen der rund 50.000 länger inhaftierten Strafgefangenen in Deutschland droht Altersarmut. Ihr Verdienst liegt weit unter dem Mindestlohn, zudem sind sie von der Rentenversicherung und weiteren Sozialsystemen ausgeschlossen, obwohl das Bundes-Strafvollzugsgesetz seit 1977 ihre Einbeziehung in die Rentenversicherung vorsieht. Dieses Versprechen ist jedoch bis heute uneingelöst. Welche konkreten Konsequenzen das für die Inhaftierten hat, schildert der folgende Beitrag.

Inzwischen ist es zehn Jahren her, seitdem das Grundrechtekomitee im Verbund mit vielen weiteren Organisationeni eine Petition beim Deutschen Bundestag einreichte: Dieser „möge beschließen: Gefangene, die im Strafvollzug einer Arbeit oder Ausbildung nachgehen, werden in die Rentenversicherung einbezogen. Die seit über 30 Jahren suspendierten §§ 190-193 des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) werden gemäß § 198 Abs. 3 StVollzG – in angepasster Form – in Kraft gesetzt.“ Drei Argumente hoben wir dabei besonders heraus:

  •    Die Einbeziehung in die Rentenversicherung ergibt sich aus dem Wiedereingliederungsauftrag des Strafvollzuges, denn eine eigenverantwortliche Lebensführung nach der Entlassung bedarf der sozialen Absicherung.
  • Die Würde des arbeitenden Strafgefangenen wird angetastet, wenn seine Arbeitszeiten keine (sozialversicherungsrechtliche) Anerkennung finden.
  • Das Gleichheits- und das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes werden verletzt, wenn die Arbeit im Strafvollzug nicht mit üblicher Arbeit gleichgesetzt wird.

Weiterhin begründeten wir: „Zusätzlich zu solchen grundrechtlichen Erwägungen hat der Ausschluss der Gefangenen aus der Rentenversicherung – neben der geringen Entlohnung – konkrete praktische negative Folgen: Wegen der großen Versicherungslücken durch Haftzeiten beträgt die Rente im Alter eine Höhe, von der niemand leben kann. Bei längerer Inhaftierung kann es passieren, dass die rentenrechtlich vorausgesetzten Zeiten gar nicht erfüllt sind. Bei der Erwerbsminderungsrente kann sich eine mehr als zweijährige Haft bereits so auswirken, dass schon erworbene Anwartschaftszeiten sogar entwertet werden. Dies bedeutet eine Verletzung des in Artikel 14 Grundgesetz verbürgten Grundrechts auf Eigentum.“

Im Jahr 1977 trat das reformierte Strafvollzugsgesetz in Kraft. Dort wurde angekündigt, dass arbeitende Gefangene in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen sind. Die sozialversicherungsrechtlichen Regeln sollten „durch besonderes Bundesgesetz […] in Kraft gesetzt“ werden. Das versprochene Bundesgesetz wurde jedoch bis heute, also 45 Jahre später, nicht erlassen. Geregelt sind bislang lediglich die Unfall- und die Arbeitslosenversicherung, nicht aber die Rentenversicherung. Zudem sind Strafgefangene auch von weiteren Sozialsystemen ausgeschlossen. So haben sie auch keinen Anspruch auf Kranken- und Pflegeversicherung während der Haft.

In deutschen Gefängnissen arbeiten bundesweit knapp 39.000 Strafgefangene – dies entspricht 77% der Inhaftierten. Für sie gilt die Forderung nach Einbeziehung in die Rentenversicherung. Weitere 11.500 Gefangene arbeiten allerdings nicht – aus verschiedenen Gründen. Die Beschäftigungsquote variiert dabei sehr stark: In einigen Bundesländern – etwa in Sachsen und im Saarland – stehen nur knapp mehr als 50% aller Strafgefangenen in einem Arbeitsverhältnis. Die Forderung nach einer Einbeziehung von arbeitenden Strafgefangenen in die Rentenversicherung käme demzufolge zwar vielen, aber längst nicht allen zugute.
Doppelt bestraft

Wer von den derzeit rund 50.500 Strafgefangenen in Deutschland (Stand 31.3.2020) längere Zeit inhaftiert ist, dem droht die Altersarmut. Denn die Arbeit im Gefängnis wird schlecht entlohnt: Der durchschnittliche Stundenverdienst betrug im Jahr 2016 nach den Angaben der Bundesregierung 1,58 Euro. Dies entspricht einem durchschnittlichen Tagesverdienst von 12,55 Euro und liegt weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn. Selbst in der höchsten Vergütungsstufe der Strafvollzugsordnung wird ein Stundensatz von weniger als 2 Euro erreicht. Zudem erwerben Strafgefangene keine Rentenansprüche. Menschen, die lange Zeit inhaftiert sind, werden damit doppelt bestraft: Sie stehen nach ihrer Entlassung oft ohne Wohnung da, sind ohne familiäre Unterstützung und müssen befürchten, spätestens im Alter zum Sozialfall zu werden. 

Strafgefangene bekommen also durch den niedrigen Lohn und den Ausschluss aus der Rentenversicherung noch lange nach der Haft die Folgen ihrer Taten zu spüren. Die Zeit in Haft wird bei der Rentenberechnung nicht angerechnet, anders bei Studium, Mutterschaft oder Arbeitslosigkeit: Es ist, als würden Strafgefangene gar nicht existieren. Ihnen steht zwar grundsätzlich die Möglichkeit offen, sich freiwillig zu versichern, aber die notwendigen Beiträge müssten sie selbst entrichten. Angesichts ihrer äußerst geringen Verdienste stellt aber selbst der zu entrichtende Mindestbeitrag von aktuell 83,70 Euro pro Monat eine Überforderung dar.

Die im Strafvollzug real erreichten „Arbeitsentgelte“ sind mit Blick auf die Alterssicherung zudem ungenügend, insofern bei der Rentenberechnung ein Verdienst in Höhe des tatsächlich erzielten Einkommens angesetzt wird. Aus diesem Grund fordern viele eine entsprechend höhere, fiktive Beitragsbemessungsgrundlage. In der Justizministerkonferenz JuMiKo 2018 gingen die Minister*innen von einer Bezugsgröße von 50% aus (2) 
In Anlehnung an die Pläne von 1976 fordert das Grundrechtekomitee als Bezugsgröße einen Satz von 90%.
Arbeitspflicht während der Pandemie

Die Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Corona-Pandemie in den Justizvollzugsanstalten sind wie andere Regelungen Ländersache (3). Zu Beginn der Pandemie im Frühling 2020 wurden in den Gefängnissen viele Arbeitsbetriebe zunächst geschlossen, Ausnahmen bildeten notwendige Betriebe wie etwa Wäschereien oder Küchen. Um deren Weiterführung in jedem Fall zu gewährleisten, wurden in der JVA Bruchsal beispielsweise zwei wechselnde Gruppen in getrennten Häusern untergebracht (6).

In der JVA Hünfeld etwa wurde Mitte November 2020 die Arbeit wieder aufgenommen, allerdings mit reduzierter Platzzahl, um die vorgegebenen Abstände einzuhalten: „Viele sind in Werkbetrieben beschäftigt, verpacken zum Beispiel Kaugummis, Katzenfutter oder Aromaölbäder. Andere arbeiten in der Reinigung, der Küche, im Elektro- oder Metallbereich. Die Gefangenen, die infolge der Coronabeschränkungen ihre Arbeit – auch teilweise – verloren haben, erhalten einen entsprechenden finanziellen Ausgleich“, sagt der dortige Anstaltsleiter.v Aus Gefangenenbriefen geht allerdings hervor, dass der Lohnausfall nicht überall bzw. nicht durchgehend ersetzt wurde.vi Lediglich der Betrag, den Verwandte oder Freund*innen als „Sondergeld“ senden dürfen, wurde angehoben. Davon profitieren jedoch nur diejenigen, die überhaupt zusätzliches Geld von außen erhalten. Haben die Gefangenen weder Familie noch Freund*innen oder sind diese zu arm, um die Gefangenen finanziell zu unterstützen, hilft ihnen dieser Bonus nicht. In NRW können Gefangene, die derzeit aufgrund Pandemie-bedingter Einschränkungen einer Beschäftigung außerhalb des Gefängnisses nicht mehr nachgehen können, eine Billigkeitsentschädigung von der Hälfte ihres ohnehin geringen Verdienstes beantragen (7).

Neben der verstärkt prekären finanziellen Situation während der Corona-Pandemie spitzt sich aber auch die soziale Lage für Gefangene durch das veränderte Arbeitsleben weiter zu, da Kontakte allgemein noch massiver beschränkt sind als ohnehin: Die reduzierte Arbeitszeit bedeutet weniger Zeit unter Mithäftlingen in den Betrieben und damit noch mehr Zeit (allein) in der Zelle, zusätzlich zu reduziertem Besuch und eingeschränkten Lockerungen (8).
 

Von „unentbehrlich“ zu „nutzlos“

1977 hielt der Gesetzgeber die Einbeziehung von Strafgefangenen in die sozialen Sicherungssysteme für „unentbehrlich“ und betonte, dass es „nicht gerechtfertigt ist, neben den notwendigen Einschränkungen, die der Freiheitsentzug unvermeidbar mit sich bringt, weitere vermeidbare wirtschaftliche Einbußen zuzufügen“ (BT-Drs. 7/918, 67). In den Jahren 1979 und 1981 gab es zwei vergebliche Versuche, das Gesetz zu erlassen (BT-Drs. 8/3335 und 9/566). Beide Gesetzentwürfe scheiterten am Widerstand des Bundesrates. In dem Statement der Bundesregierung zu dessen Stellungnahme war 1981 sogar von einem „Gesetzesbefehl“ die Rede.
Seitdem nahmen sich Fachministerkonferenzen der Länder des Themas an. Die Justizministerkonferenzen sprachen sich wiederholt für eine Einbeziehung aus. 

Zuletzt hatte die Justizministerkonferenz der Länder im Juni 2018 einen neuen Anlauf versucht, die in Haft arbeitenden Strafgefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung aufzunehmen. Wieder wurde dies als „sinnvoll“ erachtet (Beschluss TOP II.26, 6./7. Juni 2018) – Das Gremium hielt dies aber bereits vor zehn Jahren schon für „sinnvoll.“ Die damalige Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, Dr. Katarina Barley, wurde aufgefordert, sich bei dem Bundesminister für Arbeit und Soziales (Hubertus Heil) für eine entsprechende Änderung des 6. Sozialgesetzbuches (SGB VI) einzusetzen, die keine zusätzliche Belastung der Länderhaushalte verursache. Auch die Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) begrüßte den letzten Vorstoß, sprach sich (TOP 5.14, 5./6. Dezember 2018) allerdings zugleich gegen eine für die Länderhaushalte kostenneutrale Änderung des SGB VI aus, falls diese mangels Beitragszahlungen zu Lasten der Versicherten gehen würde. Sie fürchteten, der Bund könnte die Rentenbeiträge auf die Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen abwälzen.

Nach dem Beschluss der Justizminister*innen im Jahr 2018 hatte das Grundrechtekomitee sämtliche Landesjustizministerien angefragt, wie sie den Beschluss nun umzusetzen gedenken. Nur wenige Ministerien reagierten, die Antworten blieben oberflächlich und allgemein. Allein die Antwort des Justizministeriums Schleswig-Holstein vom 23. Mai 2019 war gehaltvoll – im negativen Sinne: Der Minister hielt der Forderung nach einer Einbeziehung von Strafgefangenen in die Rentenversicherung deren beruflichen Qualifizierungsbedarf entgegen:
„Der tatsächliche Rentenbezug trifft in den allermeisten Fällen erst Jahrzehnte nach der Haftentlassung ein. Eine Wirkung auf die Wiedereingliederung in die Gesellschaft nach der Haft kann also in der Regel nicht angenommen werden bzw. ist nicht empirisch belegt. Durch eine Einbeziehung würde sich zudem in den allermeisten Fällen keine Verbesserung der finanziellen Situation beim Renteneintritt ergeben, da bereits bei Haftantritt eine Erwerbsbiographie gegeben ist, die einer eigenständigen Altersversorgung absehbar unumkehrbar entgegensteht. Im Bedarfsfall können ebenso wie in anderen Bedarfsfällen ohne haftbedingte Versorgungslücken Ansprüche aus dem sozialen Sicherungssystem des AGB XII (Grundsicherung, Wohngeld) geltend gemacht werden. Eine sehr große Bedeutung kommt demgegenüber der schulischen und beruflichen Qualifizierung der Gefangenen zu. Die Einbeziehung der Gefangenen erfolgt – da diese darauf angelegt ist, in der Regel direkt nach der Haftentlassung zu einem Leistungsanspruch zu führen – wenn der nahtlose Übergang in den Arbeitsmarkt nicht gelingt.“

Zuletzt erklärte die Bundesregierung in einer Kleinen Anfrage im März 2019 (9): Da die Länder weiterhin keine Bereitschaft signalisiert hätten, die bei einer Einbeziehung der Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten anfallenden Beiträge zu tragen, sehe die Bundesregierung derzeit keine weiteren Schritte vor.

Zwar ist der Bund für eine entsprechende Gesetzesänderung zuständig. Wegen der anhaltenden Weigerung der Länder, für die Arbeit der Inhaftierten die fälligen Rentenbeiträge zu übernehmen, gibt es hinsichtlich der Forderung bis zum heutigen Tag jedoch keinen Fortschritt. Um möglichst keine finanziellen Mehrkosten zu tragen, verhallt die Forderung nach einer Einbeziehung von Strafgefangenen in die Rentenversicherung ungehört. 

Die Corona-Pandemie verschob die Aufmerksamkeit gänzlich weg von dem Thema. Im Zuge des weiter voranschreitenden Abbaus des Sozialstaats und der generellen Rentenfrage rückt das Anliegen zudem in weite Ferne. Dazu kommt das Erstarken einer gesellschaftlichen Position, wonach Strafgefangene allein für ihr Schicksal verantwortlich seien. Derzeit gibt es wenig Verständnis dafür, dass die Resozialisierung von Strafgefangenen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.

Perspektivisch erscheint es uns daher als Grundrechtekomitee weiterhin unverzichtbar, auf das grundgesetzliche Defizit der Einbeziehung der Strafgefangenen in die Rentenversicherung hinzuweisen. Doch kann es dabei nicht bleiben: Der Mindestlohn auch für die Gefangenenarbeit in den Gefängnisbetrieben sowie die Einbeziehung in die Krankenversicherung sind wichtige Forderungen, in Zeiten von Corona einmal mehr.

 

Der Beitrag erschien zuerst in Vorgänge Nr. 234 (2/2021), S. 81-86

Anmerkungen:

1 Humanistische Union, Strafvollzugsarchiv Bremen, Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligen–
hilfe (BAG-S), Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen u.a.
2 S.
alversicherung-jumiko/. Die Bezugsgröße berechnet sich aus dem Durchschnittseinkommen aller
Rentenversicherten. Da für Strafgefangene Arbeitspflicht besteht und sie nur ein Entgelt erhalten,
wird für sie ein „fiktives Bemessungsentgelt“ festgelegt.
3 In den Bundesländern herrscht Arbeitspflicht für Strafgefangene, abweichend Brandenburg und
Rheinland-Pfalz (nach: WD 7-3000-155/16).
4 Laut Bericht eines Inhaftierten aus der JVA Bruchsal vom 03.04.2020 freiabos.de/briefe-
aus-dem-gefaengnis-zu-corona/ (abgerufen am 24.2.2021)
5
verbot-jva-huenfeld-frankfurt-lars-streiberger-gefangene-90094470.html
6 17.10.2020, Gefangener, JVA Bruchsal nach
rona/ (abgerufen am 24.2.2021). Nicht ersetzt wurde der Lohn in der JVA Freiburg: 17.06.2020, Ge–
fangener, JVA Freiburg, ebenda.
7 opal.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV17-4547.pdf,
www.wn.de/NRW/4177385-Krankheiten-Kein-Homeoffice-fuer-Haeftlinge-JVA-Betriebe-
laufen-weiter (abgerufen am 24.2.2021)
8 S. dazu auch den Beitrag von Feest, Graebsch und Schorsch in diesem Heft.
9 S. BT-Drs. 19/8234 v. 7.3.201