Julika Bürgin hat 2021 das Buch „Extremismusprävention als polizeiliche Ordnung“ veröffentlicht. Im Vorfeld des ersten Komitee-Salons am 27. September 2022 führte Britta Rabe ein Gespräch mit ihr:
Das Bundesfamilienministerium entschied 2010, Bildungsträger im Rahmen von Demokratieförderprogrammen nur noch zu finanzieren, wenn sie sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (fdGO) bekennen und auch für die Verfassungstreue ihrer Kooperationspartner*innen bürgen. Welche Auswirkungen hatte das?
Julika Bürgin: Im Rahmen dieser sogenannten „Extremismusklausel“ wurden Bildungsarbeit und demokratische Praxis massiv verändert und auf die Interessen von Sicherheitspolitik und Geheimdiensten hin zugerichtet. Obwohl die Klausel nach langjährigen Protesten 2014 in der Form wieder abgeschafft wurde, hat sich die dahinter stehende Idee bis heute gehalten. Das Bundesfamilienministerium ließ etwa von 2015 bis 2018 insgesamt 51 Demokratieprojekte im Rahmen des Programms "Demokratie leben!" vom Bundesamt für Verfassungsschutz überprüfen. Im Jahr 2021 mündete diese Entwicklung in Eckpunkten für ein „Gesetz zur Förderung der wehrhaften Demokratie“.
Warum sprichst du von Extremismusprävention als polizeiliche Ordnung?
Im Jahrzehnt von der „Extremismusklausel“ bis zum „wehrhaften Demokratiefördergesetz“ wurden drei Aufgaben für Bildungsarbeit etabliert: „Extremismus“-Bekämpfung, Prävention und Sicherheit. In dem Buch diskutiere ich, wie Bildungsarbeit – wie sie von staatlichen Institutionen definiert und gefördert wird –mittlerweile Teil einer polizeilichen Ordnung geworden ist, die mit dem Leitbegriff der „Extremismusprävention“ durchgesetzt wird.
Bildungsträger und ihre Mitarbeiter*innen werden mit finanziellen Anreizen motiviert oder mit Förderungszusagen oder -entzug, Aberkennung der Gemeinnützigkeit, etc. konfrontiert. Andere tragen die Bekämpfung von „Extremismus“ mit, indem sie sich inhaltlich selbst beschneiden. Sanktionen können etwa den Entzug der Förderung oder die Aberkennung des Gemeinnützigkeitsstatus umfassen.
Wie lautet deine Kritik am Extremismusbegriff und in welchem Zusammenhang steht dieser zur Formel der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ (fdGO)?
Politischer Streit, der eine Demokratie ausmacht, wird durch den Extremismusbegriff verengt, indem er Positionen und Akteur*innen als „extremistisch“ und damit „verfassungsfeindlich“ labelt, sie so delegitimiert und in ihren politischen Handlungsmöglichkeiten beschränkt. Politische Diskussionsräume werden damit durch eine antiextremistische Ordnung ersetzt, die Legitimität und Abweichung definiert. „Extremismus“ und „Verfassungsfeindlichkeit“ sind keine Rechtsbegriffe.
Beide finden sich weder im Grundgesetz, noch im Bundesverfassungsschutzgesetz. Am Gesetzgeber vorbei etablierten sich „Extremismus“ und „Verfassungsfeindlichkeit“ als Begriffe, die mittlerweile ausufernd genutzt werden, um Sicherheitsgesetze auszuweiten. Die Ämter für Verfassungsschutz haben weitreichende Befugnisse zur „Abwehr von Gefahren, die von „Feinden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ausgehen“ erlangt, wie es das Bundesinnenministerium formuliert.
Bricht Deutschland damit nicht mit seinem demokratischen Selbstverständnis?
Deutschland hat keine lange demokratische Tradition. Heute sind Menschen immer noch sehr ungleich an Entscheidungen beteiligt. Eine weitere Demokratisierung wird nicht als gesellschaftliche Aufgabe betrachtet, vielmehr wird Kritik an demokratischen Begrenzungen, wie etwa die Kritik an den Verfassungsschutzämtern oder an der freiheitlich demokratischen Grundordnung vielfach abgewehrt oder sogar als undemokratisch diffamiert.
Was ist deiner Meinung nach notwendig, um diese Entwicklung zu brechen?
Der Staat sollte (re-)demokratisiert werden. Was ich damit meine, sollten wir neben den hier nur andiskutierten Fragen in der Veranstaltung am 27. September in Köln besprechen. Ich freue mich darauf.
Wir uns auch. Bis dahin!