04. März 2024 © Tim Wagner
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„Die Klimakrise Ist juristisch nicht relevant“. Interview mit der Aktionsgruppe "Block Neurath"

Seit über einem Jahr und auch aktuell laufen am Amtsgericht Grevenbroich (und am Amtsgericht Bergheim) Prozesse gegen 4 Personen, die beschuldigt werden, das Kraftwerk Neurath im rheinischen Kohlerevier im November 2021 blockiert und damit dafür gesorgt zu haben, dass die Leistung des Kraftwerks gedrosselt und ein Block des Braunkohlekraftwerks für mehrere Stunden abgeschaltet werden musste. Zwei Personen wurden bisher zu 9 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt, eines der Urteile wurde in zweiter Instanz in eine Geldstrafe umgewandelt.


Grundrechtekomitee: Was war konkret Inhalt und Ziel der Aktion?

Die Aktion fand während der COP 26 in Glasgow statt, wo wie immer viel geredet wurde, jedoch keine verbindlichen Entscheidungen getroffen und keine konkreten Handlungen eingeleitet wurden, um auch nur irgendwie gegen die Klimakatastrophe anzugehen. Seit der ersten Weltklimakonferenz sind die CO2 Emissionen stattdessen um 60% gestiegen. Mit der Blockade des Kraftwerks Neurath wollten wir zeigen: Wir warten nicht auf das Handeln von Politiker*innen oder gar RWE, sondern nehmen den Kohleausstieg jetzt selbst in die Hand, indem wir RWE dazu zwingen das Kraftwerk runterzufahren. Hierzu haben Menschen in zwei Phasen von zwei Seiten die Gleise zum Kraftwerk mit verschiedenen Ankett-Vorrichtungen und E-Rollstühlen blockiert und somit die Kohlezufuhr zum Kraftwerk gestoppt.

Abgesehen davon, dass wir öffentlich zeigen wollten, "ja, es ist möglich ein Kraftwerk lahm zu legen", war uns wichtig, dass bei der Aktion effektiv Emissionen eingespart werden. Und das war auch der Fall: zwischen 5.000 und 22.000t CO2 wurden eingespart, je nach dem welchen Energiemix der von RWE zugekaufte Ersatzstrom hatte. Dies ist zumindest mehr als mensch durch persönliches Konsumverhalten einsparen kann. Mit der Aktion waren die Forderungen nach sofortigem Kohleausstieg und einem Systemwandel verbunden, da wir die Klimakatastrophe, wenn überhaupt noch, nur aufhalten können, wenn wir das neokoloniale, kapitalistische Wirtschaftssystem überwinden und die Ausbeutung des globalen Südens stoppen. Außerdem war klar, dass Lützerath und auch kein anderes Dorf weltweit mehr dem Kohleabbau zum Opfer fallen darf.


Grundrechtekomitee: Wie ordnet ihr die repressiven Urteile im Kontext der aktuellen Rechtsprechung bezüglich von Aktionen der Klimagerechtigkeitsbewegung ein?

Die Urteile gegen uns oder auch gegen andere Aktive der Klimagerechtigkeitsbewegung, die wegen Straßenblockaden, Abseilaktionen über Autobahnen oder Waldbesetzungen innerhalb des letzten Jahres von verschiedenen Gerichten verhängt wurden zeigen, dass der Staat auf Abschreckung setzt. Es sollen Exempel statuiert werden und somit Aktivist*innen abgeschreckt, eingeschüchtert und durch Haftstrafen vereinzelt werden. Sie sollen somit von weiteren Aktionen abgehalten werden, die die fossile Infrastruktur stören oder sogar zerstören.

Dies hat die Staatsanwaltschaft auch im Berufungsprozess gegen die erste angeklagte Person am Landgericht Mönchengladbach nochmal deutlich gemacht, wo sie als erneut 8 Monate Haft ohne Bewährung forderte.  Abgesehen davon zeigen diese Urteile auch: die Klimakrise und ihre Auswirkungen sind für die Gerichte nicht wirklich relevant - für die Richterin am Amtsgericht Grevenbroich anscheinend sogar nicht existent. Am Landgericht Mönchengladbach wird der Klimawandel zwar nicht geleugnet, allerdings ist er auch da eine "abstrakte Gefahr", die Aktionen wie Blockaden nicht rechtfertigt.

Unsere juristische Argumentation, dass es sich der bei der Aktion um eine angemessene Handlung im Sinne des §34 StGB rechtfertigender Notstand handelt wird abgeschmettert. Dabei müsste das nicht unbedingt so sein: Das Amtsgericht in Flensburg hatte im Dezember 2022 eine* wegen Hausfriedensbruch angeklagten Baumbesetzer*in mit der Begründung des rechtfertigenden Notstands freigesprochen Auch bei einem Prozess wegen Straßenblockaden der Letzten Generation wurden am Amtsgericht in Berlin in diesem Jahr immerhin Sachverständige in Sachen Klima- und Protestforschung gehört.

Dennoch: dass die Vorstellung für eine Blockadeaktion im Knast zu landen, anstatt wie bisher mit einer Einstellung oder schlimmstenfalls einer Geldstrafe davon zu kommen, seine abschreckende Wirkung gezeigt hat, konnten wir auch in unserem Umfeld beobachten.

Jetzt wurde das Urteil in der zweiten Instanz relativiert und in eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen umgewandelt. Auch wenn 120 Tagessätze noch immer 120 zu viel sind und allein ein Freispruch das richtige Urteil gewesen wäre, so hoffen wir dass damit auch die abschreckende Wirkung relativiert wird und Menschen trotz drohender Repressionen weiter aktiv bleiben. Langfristig bleibt aber auch die Frage, wie mit der Verschärfung von Klimakrise bei gleichzeitiger verschärfter Repression gegen darauf hinweisende Aktivist*innen ein Umgang gefunden werden kann.


Grundrechtekomitee: Das Gericht in Grevenbroich ignoriert die politische Dimension des Prozesses konsequent. Woran macht sich das fest?

Im Gericht in Grevenbroich izeigt die Richterin konsequent, wie egal ihr die politischen und inhaltlichen Hintergründe der Aktion sind. Sie hat ihre eigene politische Agenda. Die Klimakatastrophe und ihre Auswirkungen, egal ob lokal oder global, scheinen ihr in diesen Prozessen irrelevant zu sein, was sich im gesamten Prozessverlauf immer wieder zeigt. Zum Beispiel bei den Zeug*innenvernehmungen dürfen RWE-Mitarbeitende zuerst ihre Propaganda verbreiten, bevor sie auf unsere Fragen antworten, während die Fragen der Verteidigung vielfach als politisch und somit nicht zur Sache abgewehrt werden.

Auch die Tatsache, dass -  wie in den letzten beiden Prozessen - Beweisanträge direkt ins Selbstleseverfahren verbannt und somit der Inhalt der Anträge der Öffentlichkeit vorenthalten wird oder über diese dann innerhalb kürzester Zeit entschieden wird, sprich, diese überhaupt nicht gelesen werden (können), zeigt die Ignoranz der Richterin gegenüber der Klimakatastrophe.

Dass RWE und die Emissionen des Kraftwerks Neurath in großem Maße ursächlich für die Klimakatastrophe sind, wird genauso "bedeutungslos" abgetan wie das fehlende Handeln von Politiker*innen, das Brechen der schon unzureichenden Klimaziele und Begründungen, warum Protestformen wie die Blockade eines Braunkohlekraftwerks durchaus legitim und gerechtfertigt sein können.

Auch die Tatsache, dass in der Vergangenheit unpopuläre Protestformen zu Errungenschaften beigetragen haben, die wir heute nicht mehr missen möchten (Aufhebung der Rassentrennung in den USA, Frauenwahlrecht in Großbritannien, Soziale Marktwirtschaft in der BRD) ist ihr genauso egal wie eine differenzierte Betrachtungsweise des vermeintlich entstandenen Schadens, der lediglich die Verluste von RWE beleuchtet und nicht die gesamtgesellschaftlichen Vorteile, die die Aktion gebracht hat.


Grundrechtekomitee: Welche Gründe vermutet ihr hinter der Prozessführung des Gerichts in Grevenbroich?

Das Gericht möchte im Rahmen der Prozesse seine Macht demonstrieren. Für die Richterin ist klar:  RWE ist ein Millionenschaden entstanden, das muss bestraft und für die Zukunft verhindert werden. Auch wendet sich in ihrer Sicht unser Handeln gegen den Rechtsstaat ("Wo kämen wir da hin, wenn das alle machen würden?") und das muss ebenfalls bestraft werden. Und am härtesten muss bestraft werden, wenn die angeklagten Personen dann zudem noch eine offensive Prozessstrategie fahren, mit für das Gericht nervigen Beweisanträgen, langen Stellungnahmen und Einlassungen, Aktionen im Gerichtssaal und in der Stadt.

Und last but not least zeigen sie dann keine Reue und distanzieren sich nicht von den eigenen Taten. Letztere beiden Dinge, so hat es das AG Grevenbroich sogar öffentlich in einem Pressestatement bekannt gegeben, könnten ggf. zu einem anderen Strafmaß führen. Ohne Reue und Distanzierung werden jedoch 9 Monate ohne Bewährung verhängt. Doch angesichts der offensichtlichen Vermischung von RWE und Politik auf Landesebene - nicht umsonst gibt es die Bezeichnung NRWE - ist es vielleicht auch nicht verwunderlich, dass in der Braunkohlestadt Grevenbroich mit Neurath als quasi "Hauskraftwerk", neben der Kommune auch die Justiz eng mit dem Unternehmen RWE verwoben scheint und seine Interessen eben auch in diesen Prozessen vertritt.


Grundrechtekomitee: Wie beurteilt ihr anlässlich der vielfältigen Repressionen den Stand der Klimagerechtigkeitsbewegung in Deutschland aktuell?

Die Klimabewegung hat ja viele verschiedene Akteur*innen und wir sind nur eine Gruppe von vielen. Trotzdem haben wir den Eindruck, dass verschiedene Teile der Klimabewegung gerade mit verschiedenen schwierigen Umständen zu kämpfen haben: Fridays for Future mit der zurückgegangenen Power seit Corona, die Letzte Generation mit ihrer Unbeliebtheit und wir mit harten Repressionen. Und wir alle damit, dass Klimabewegung gerade nicht mehr hipp ist, sondern Menschen merken, dass es tatsächlicher und ernsthafter Veränderungen bedarf - dass weiter wirtschaften und leben wie bisher einfach nicht drin ist, schon gar nicht, wenn wir Ressourcen gerecht verteilen wollen.

Und das wird lieber verdrängt als realisiert. Aktionen wie unsere stören dabei. Natürlich sind die Übergänge fließend und wir sind nicht die einzigen, die harte Repressionen abbekommen. Leider merken wir aber doch sehr deutlich, dass die Gerichtsurteile, die immer wieder Haft- oder hohe Geldstrafen beinhalten, Menschen von der Durchführung direkter Aktionen abschrecken. Gerade auch in unserem Umfeld. Natürlich gefällt die Vorstellung, in den Knast zu gehen, niemandem. Aber die Notwendigkeit unserer Kämpfe mindert sich ja durch diese Urteile nicht.

Und so hoffen wir, dass zum einen die Relativierung der Strafe von 9 Monaten Gefängnis auf 120 Tagessätze - immer noch 120 Tagessätze zu viel - durch das Landgericht Mönchengladbach, aber auch ein offener, ehrlicher und vor allem gemeinsamer und solidarischer Umgang mit unseren Befürchtungen zu einer Relativierung der vorhandenen Ängste führt. Wir würden uns einen solchen Umgang auch von mehr Akteur*innen wünschen.

Der allgemeine Rechtsruck macht sich in der Repression bemerkbar. Dazu kommt, dass es wieder sagbarer wird, vor allem auf sich selbst zu schauen. Für die Rechten sind sogar die echt nicht viel fürs Klima tuenden Grünen schon ein Feindbild und wir natürlich erst recht. Da wird Feindschaft und Ablehnung allen Aktiven gegenüber immer offener zur Schau getragen, das lässt sich gut an der sich geänderten Reaktion von Autofahrenden auf Blockaden sehen. Und ist auch ein Beispiel für sich verschärfende Repression.

Die Gerichte ziehen mit der Stimmung mit - insgesamt müssen wir also an der gesellschaftlichen Stimmung ansetzen. Der Stand ist also schwierig - aber das hilft ja nichts, die Klimakrise schreitet weiter voran und wir müssen immer wieder auf verschiedenen Wegen, mit verschiedenen Aktionsformen ausprobieren, scheiternd und fragend schreiten wir voran. Wir wünschen uns, dass Menschen auch trotz drohender Repressionen aktiv bleiben oder werden und weiter für eine Welt kämpfen, in der es sich zu leben lohnt.

Aktuelle Informationen zu den Prozessen: www.antirrr.nirgendwo.info/block-neurath

Das Interview führte Britta Rabe