Das Grundrechtekomitee legt eine erste Einschätzung der Versammlungs- und Menschenrechtsbeobachtungen der letzten Tage rund um die Proteste in Lützerath vor. Seit dem 10. Januar 2023 waren wir täglich mit Beobachtungsteams dort vor Ort.
In Lützerath befanden sich zu Räumungsbeginn mehrere hundert Menschen in Zelten sowie in Bäumen, Baumhäusern und Häusern und besetzten den Ort aus Protest gegen seine Zerstörung durch den Energiekonzern RWE.
Ein doppelter, verstärkter Zaun gestaltete den kleinen Ort ab dem 11. Januar zu einer Festung. Ein zuvor verhängtes Betretungsverbot, das unter Missachtung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit gerichtlich bestätigt wurde, wurde polizeilich durchgesetzt. Öffentlichkeit konnte nicht mehr umfänglich hergestellt werden: Zutritt wurde nur noch exklusiv Mitarbeiter*innen des RWE-Konzerns, der Polizei sowie polizeilich akkreditierter Presse und parlamentarischen Beobachter*innen gewährt. Teilweise war sogar die Unterzeichnung eines Haftungsausschlusses von RWE erforderlich. Somit war auch die Pressefreiheit deutlich beeinträchtigt.
Die polizeiliche Räumung der Besetzer*innen und ihrer Unterkünfte sowie die parallel erfolgenden Abrissarbeiten durch RWE verliefen ab dem 11. Januar in großer Eile und nahezu ununterbrochen Tag und Nacht. Die Beobachtung stellte uns damit vor die Herausforderung, dort nicht allein die Gewährleistung der Versammlungsfreiheit im Blick zu haben. Vielmehr erlebten wir eine durchgängige Gefährdungslage für Leben und körperliche Unversehrtheit der Besetzer*innen, aber auch für sonstige Personen im Umfeld der Räumungen. Somit sahen wir uns gezwungen, statt der zuvor geplanten Demonstrationsbeobachtung dem Erfordernis einer Menschenrechtsbeobachtung nachzugehen.
„Uns wurde von den Besetzer*innen von emotionalem Stress und Schlafentzug berichtet, der Verweigerung der Grundversorgung mit Essen und Trinken, dem Vorenthalt von medizinischer Versorgung durch Sanitäter*innen des Vertrauens - entgegen der Absprachen von Aktivist*innen mit der Polizei im Vorfeld“, kommentiert Britta Rabe, politische Referentin des Grundrechtekomitees.
Die Räumung selbst erfolgte sichtlich unter großem Zeitdruck: eine schnelle Zerstörung und Räumung des Ortes wurde prioritär über die Sicherheit und Unversehrtheit von Besetzer*innen gestellt. Trotz teilweise sehr schlechter Witterungsbedingungen, insbesondere starkem Wind, wurden die Räumungen auch in Baumwipfeln umgesetzt. Schweres Gerät agierte in unmittelbarer Nähe zu Aktivist*innen und Pressevertreter*innen:
"Ohne Sicherheitsabstand räumte die Polizei Baumbesetzungen und Menschen in Traversen in Eile, oft ohne angemessene Ankündigung. Teils durchtrennte sie unvermittelt aktive Traversen, wie wir in mehreren Situationen beobachten mussten. Oft wurden Bereiche für RWE zur Rodung und Abriss freigegeben, obwohl keine ausreichenden Abstände zu Besetzer*innen bestanden. Sowohl Polizei als auch RWE riskierten dadurch vielfach fahrlässig Menschenleben", ergänzt Britta Rabe.
Bei der Großdemonstration am 14. Januar 2023 mit rund 35.000 Teilnehmenden haben wir den Einsatz von Faustschlägen, Schlagstock, Pfefferspray und Wasserwerfern beobachtet und mehrere verletzte Protestierende gesehen. Die Polizei ist immer wieder unvermittelt in stehende Menschengruppen gerannt. Zudem wurden Hunde und Pferde gegen Demonstrant*innen eingesetzt.
"Die Polizei schien wahllos ohne Rücksicht auf Verluste ihre Gewaltmittel einzusetzen, um Menschen auf den Äckern vor der Festung Lützerath abzuräumen. Die Entscheidung für die Räumung war die Entscheidung für Gewalt", kommentiert Michèle Winkler, politische Referentin des Grundrechtekomitees.
Eine sorgfältige Auswertung unserer mehrtägigen Beobachtung der Arbeit von Polizei und RWE während der Räumung und Zerstörung des Ortes Lützerath ist in Vorbereitung und wird als ausführlicher Bericht erscheinen.