Anlässlich der Vorbereitungen auf den G20-Gipfel probt die Politik den Ernstfall und übt schon einmal ganz konkret: den autoritären Staat. Schon seit Sommer letzten Jahres bereiten sich Politik und Polizei auf das Treffen der Regierungsvertreter*innen von zwanzig Staaten in Hamburg vor. Das heißt in ihrer Logik auch, sie bereitet die Bevölkerung auf einen Ausnahmezustand vor, der der Polizei alle Rechte geben soll, Grundrechte zu verletzen. Selbstverständlich steht die „Sicherheit der Konferenzteilnehmer“ an erster Stelle. Erst danach werden zwei „weitere wichtige Ziele“ genannt: „die Belastungen für die Hamburger Bevölkerung so gering wie möglich zu halten, und das Recht auf friedlichen Protest zu gewährleisten.“
Zur Inszenierung des Ausnahmezustands gehört es erst recht, die Gefahren, die von Versammlungen ausgehen könnten, groß und wichtig zu machen, so dass das Grundrecht ausgehebelt werden kann. So wird seit Wochen vor „mehreren Tausend gewaltbereiten Linksextremisten“ gewarnt. Mehr als 15.000 Polizeibeamt*innen seien nötig, um die Stadt vor diesen zu schützen. Behauptet wird, militante, bzw. gewalttätige Aktionen seien zu erwarten und dann phantasiert die Polizei mangels strafbarer Aufrufe selbst, wie man den Gipfel am besten stören könnte: Ampelanlagen könnten manipuliert werden, der Hafen mit quer gestellten Schiffen lahmgelegt, der Zugverkehr gestört werden. Würden heliumgefüllte Ballons in großer Zahl steigen gelassen, könnten die Flugzeuge von Gipfelteilnehmern am Landen gehindert werden (vgl. Morgenpost, 28. März 2017). Wie wenig das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zählt wird schon daran deutlich, dass schon drei Monate vor dem Gipfel eine Demonstration zum Messegelände verboten werden soll, weil die von der Polizei (und wahrscheinlich dem Verfassungsschutz) prognostizierten Gefahren zu groß seien.
Diesen eigenen Phantasien entsprechend wird aufgerüstet. Maschinenpistolen und ein neuer Panzerwagen wurden beschafft. Auf dem Dach dieses „Survivor I“ (Der Überlebende) genannte Panzerwagens kann ein Maschinengewehr montiert werden. Die ehemalige Frauenhaftanstalt Hahnöfersand wird auf der schwer zugänglichen Elb-Halbinsel ausgebaut, um die Untersuchungshaftkapazitäten zu erweitern. Im Stadtteil Harburg wird ein Ex-Lebensmittelgroßmarkt zu einer Gefangenensammelstelle (Gesa) umgebaut. Bis zu 400 Personen können in letzterer in Sammel- und in Einzelzellen eingesperrt werden. Zur Sicherung des Geländes wurden mehrere Kilometer Nato-Draht mit rasiermesserscharfen Kanten verlegt. Auch die Zäune rund um das Polizeipräsidium wurden mit diesem gefährlichen Nato-Draht verstärkt. Auch von den Sicherheitskräften des US-Präsidenten gehen jedoch Gefahren aus. Es wird erwartet, dass sie mit Störsendern das Funknetz beeinträchtigen werden. Deshalb wurde die Polizei mit neuer Kommunikationstechnologie ausgestattet.
Eine erste interaktive Karte wurde Anfang April 2017 veröffentlicht, aus der hervorgeht, das ein riesiges Areal mitten in der Stadt zur Hochsicherheitszone wird, in die man allenfalls an Kontrollstellen durchgelassen wird.
Schon im Sommer 2016 wurde der notorische Rechtsbrecher Hartmut Dudde zum Leiter des Vorbereitungsstabes und zum Polizeiführer der Gipfel-Einsätze ernannt. In seiner Zeit in der Gesamteinsatzleitung der Bereitschaftspolizei hat er mehrfach gerichtlich festgestellte Rechtsbrüche begangen: Einkesselungen, Ingewahrsamnahmen, Versammlungsauflösung.
Schon beim OSZE-Treffen Anfang Dezember 2016 wurde eine relativ kleine Demonstration von insgesamt über 13.000 hochgerüsteten Polizisten aus den Bundesländern sowie vom Bund begleitet. Neue Wasserwerfer, berittene Polizei, diverse Spezialeinheiten – BFE (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit), USK (Unterstützungskommando), BeSi (Beweissicherung) – wurden abschreckend vorgeführt. Auf autoritäre und martialische Provokationen der Polizei zu Beginn reagierten die Demonstrierenden zum Glück sehr besonnen.
Es ist davon auszugehen, dass innerhalb der linken Szene verdeckt ermittelt wird. Immerhin sind in Hamburg in den letzten Jahren nacheinander drei verdeckt ermittelnde Polizeibeamt*innen aufgeflogen. Die Rechtswidrigkeit von zwei Einsätzen hat die Polizei jeweils nach Klageerhebung eingestanden – nicht zuletzt, um die Öffentlichkeit nicht genauer informieren zu müssen. Erinnert sei daran, dass vor dem Gipfel in Heiligendamm 2007 ohne entsprechende rechtliche Grundlagen nach § 129 a StGB („terroristische Vereinigung“) ermittelt wurde.
Aber es sind nicht nur die polizeilichen Waffen und Ausforschungsmethoden, die zu befürchten sind. Solche Ereignisse begleitet die Polizei inzwischen mit einem medialen Angebot, mit dem auch die Hoheit über die Berichterstattung gewonnen werden soll. Während etwa beim ersten Castortransport Mitte der 1990er Jahre die Polizeiliche Pressestelle drei Mitarbeiter hatte, waren schon beim letzten Castortransport 110 Personen eingesetzt. Zu was diese Art des medialen Dominanzstrebens führen kann, war beim Gipfel in Heiligendamm zu erkennen. Der Pressesprecher der Polizei konstatierte später, er habe die Öffentlichkeit oft falsch informiert. Diese Fehlinformationen lagen aber der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot eines Sternmarsches zu Grunde. Die alternativ-faktischen Polizeiberichte sollen die Wahrnehmung und Erinnerung dauerhaft dominieren.
Verletzungen des Grund- und Menschenrechts auf Versammlungsfreiheit werden jedoch immer nur anderen Staaten zur Last gelegt. Gerade hat die Bundesregierung die Sicherheitsbehörden in Russland und Weißrussland wegen ihres Umgangs mit friedlichen Demonstrationen kritisiert und die umgehende Freilassung der Festgenommenen verlangt. Regierungssprecher Steffen Seibert meinte, es sei „für die russische Demokratie von hoher Bedeutung“, dass das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit eingehalten werde.
Das ist es auch für die Bundesrepublik Deutschland, woran wir die Bundesregierung sicherlich immer wieder erinnern müssen.
Erstveröffentlichung 7. April 2017 im Rubikon