Auf Einladung der evangelischen Kirche Wuppertal sprach am 27. Februar 2020 der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, der Wuppertaler Thomas Haldenwang, in der Elberfelder Citykirche. Dass diese Veranstaltung Teil des Rahmenprogramms zur Ausstellung "Todesopfer rechter Gewalt seit 1990" sein sollte, war besonders pietätlos und deshalb wurden Proteste organisiert. In der Ausstellung "Todesopfer rechter Gewalt seit 1990" geht es zentral auch um die Opfer des NSU und um die Opfer des mörderischen Brandanschlags von Solingen 1993. Beide Verbrechen sind untrennbar mit Operationen der Verfassungsschutzämter verbunden. Für die Gruppe Bürger*innen beobachten die Polizei Wuppertal, die Veranstalter*innen der Proteste, ist Thomas Haldenwang kein Dialog-Partner, sondern er ist in seiner Funktion für die indirekte Förderung der NSU-Verbrechen mitverantwortlich.
Haldenwang ist seit 2009 im Bundesamt für Verfassungsschutz tätig. 2011 kam es zur Selbstenttarnung des NSU und gleichzeitig startete der VS mit den Vertuschungsaktionen. Haldenwang leitete bis Ende 2012 die Zentralabteilung und wurde sodann zum Ständigen Vertreter des Vizepräsidenten bestellt. Am 1. August 2013 wurde er unter Maaßen zum Vizepräsident des BfV ernannt. Auch wenn Haldenwang sich jetzt öffentlich als Kämpfer gegen Rechts darstellt, der all seine Geheimdienst-Ressourcen im Kampf gegen Nazistrukturen einsetzen will, ist er nicht besonders glaubwürdig. Auch einfache Recherchen im extrem rechten Milieu, z.B. im eigenen Hause, gelangen ihm als Vizepräsidenten des VS nicht: Maaßens „Beratungsleistungen“ für die AfD und seine Wandlung zum extrem rechten Influencer haben Haldenwang und seine Agenten offensichtlich nicht „erkannt“ und gar beendet.
Michèle Winkler hielt auf der Kundgebung der Protestveranstaltung eine Rede, die wir nachfolgend dokumentieren:
Ein Inlandsgeheimdienst, der die eigenen Bürger*innen bespitzelt und dabei fast jeglicher Kontrolle entzogen ist, hat in einer Demokratie, die den Namen verdient, nichts verloren. Deshalb fordern wir als Grundrechtekomitee seit jeher seine Abschaffung. Und wir stehen mit dieser Position seit langem Seite an Seite mit weiteren Organisationen, die für Bürger*innenrechte und Demokratie eintreten. Diese Position allein wäre also Grund genug gewesen, dass wir uns an dem heutigen Protest beteiligen.
Aber wir stehen hier fast ein Jahrzehnt nach der Selbstenttarnung des NSU und eine Woche nach den rassistischen Morden von Hanau mit schweren Herzen. Wir stehen hier und müssen dagegen protestieren, dass der Verfassungsschutzpräsident weiterhin als legitimer Ansprechpartner bei der Bekämpfung der extremen Rechten gilt. Seine Einladung zeugt von einer politischen Ahnungslosigkeit, die sich nur diejenigen leisten können, die sich nicht im Fadenkreuz der mörderischen rechten Ideologien wähnen.
Schauen wir sie uns genauer an, die Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder:
- Behörden, die höchstwahrscheinlich die Festnahme des NSU-Trios vor deren Untertauchen verhinderten.
- Behörden, die in den Folgejahren mehrere Dutzend V-Leute im Umfeld des NSU und seiner Helfer*innen platziert hatten.
- Behörden, die diese Leute über Jahre hinweg mit Honoraren finanziert und damit die gesamte Naziszene gestärkt haben.
- Behörden, die diese Szene nachweislich vor polizeilichen Ermittlungen bewahrt und vor Razzien gewarnt haben.
- Behörden, die somit - höchstwahrscheinlich wissentlich - Mörder gedeckt hat.
- Behörden, die Andreas Temme beschäftigten, der beim Mord an Halit Yozgat in Kassel vor Ort war, dies zunächst vertuschte und bei Vernehmungen über seine Rolle gelogen hat.
- Behörden, die nach der Enttarnung des NSU-Mördertrios, alles getan haben, um die eigenen Spuren der Beteiligung zu verwischen. Sei es durch massenhaftes Aktenschreddern oder das Zurückziehen auf unbedingten Quellenschutz.
Diese Aufzählung richtet nur wenige Schlaglichter auf die schier unglaubliche Verstrickung der Verfassungsschutzämter in den NSU-Komplex. Von Verbindungen zum Mord an Walter Lübcke, Verbindungen zum paramilitärischen Verein Uniter, Verstrickungen mit dem rechten Terrornetzwerk Nordkreuz um Hannibal und Franco A. und wie sie alle heißen, ganz zu schweigen.
Der Schutz des Lebens, der Würde und der körperlichen Unversehrtheit derjenigen, die dieser Verfassungsschutz eigentlich schützen sollte, ist ihnen nachweislich nichts wert. Quellenschutz vor Opferschutz. Quellenschutz als oberste Priorität dieser Behörden. Aber was wollen sie denn mit diesen Quellen, wenn diese nicht dazu dienen, die Leben und die grundlegenden verfassungsmäßigen Rechte der Bürger*innen zu schützen? Uns fallen darauf nur zwei Antwortvarianten ein: Im Besten Fall dient der Quellenschutz zur Machterhaltung der Verfassungsschutz-Behörden, im schlimmsten Fall ist es eine eigene politische Agenda. Wahrscheinlich ist, dass sich beides überlagert und vermischt.
Um diese Aussage zu unterstreichen, widmen wir uns dem Vorgänger und vorherigen Chef von Haldenwang: Hans-Georg Maaßen. Dieser übernahm 2012 nach Auffliegen des NSU und der nachfolgenden Aktenvernichtungen das Amt des Verfassungsschutzpräsidenten. Er ist damit für sämtliche Verschleierungstaktiken und Nichtaussagen in den NSU-Untersuchungsausschüssen der letzten Jahre verantwortlich. Er stand dem Amt während des Auffliegens des NSA-Überwachungsskandals vor. Er log über einen V-Mann im Umfeld des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri. 2018 wurde er in den Ruhestand versetzt, nachdem er öffentlich behauptete, die rassistischen Hetzjagden von Chemnitz hätten nicht stattgefunden. Da gleichzeitig bekannt wurde, dass er mehrere Gespräche mit Politikern der AfD geführt hatte, wohl um ihnen Tipps für eine Nichtbeobachtung durch den Verfassungsschutz zu geben, war der öffentliche Druck hoch genug, um ihn aus dem Amt zu entfernen. Seitdem meldet er sich permanent für die ultrarechte Werteunion zu Wort. Er intervenierte in den Landtagswahlkampf in Sachsen und verbreitete dabei rechte und rassistische Positionen. Das Ziel der Werteunion und der Gestalten um Hans-Georg Maaßen ist offensichtlich der Schulterschluss zwischen CDU und AfD und in der Folge ein rechtes Regierungsprojekt.
Sachsen war dafür der erste Testballon. Auch in Thüringens Reegierungsbildung mischt er sich entsprechend ein. Und seine Unterstützung für einen CDU-Vorsitz von Friedrich Merz unterstreicht diese Agenda. Dass ein ehemaliger Verfassungsschutzpräsident als Stichwortgeber für rechte Positionen fungiert und seine Bekanntheit nutzt, um eine faschistische Partei wie die AfD zu verharmlosen und in Regierungsverantwortung zu hieven, sagt viel über seine Zeit im Amt aus. Wie sollte sich jemand mit dieser politischen Einstellung für Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzen? Und wie ticken wohl die Mitarbeiter*innen, die jahrelang mit ihm an der Spitze gearbeitet haben? Welche Prioritäten setzen sie?
Wenn jetzt nach den Morden von Hanau diverse Stimmen aus SPD und Grüner Partei fordern, die AfD durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen, macht uns das fassungslos. Denn das zeigt, dass keinerlei wirkliches Interesse am Schutz weiterer potentiell Betroffener besteht. Behörden, die seit ihrer Entstehung von Nazis durchsetzt sind und bis heute rechte Mörder decken, werden weder die AfD noch die rechte Szene ausreichend kontrollieren. Diese Behörden können niemals Teil der Lösung im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus sein.
Es ist eine Farce, dass der mächtigste Mann dieses Geheimdienstes gerade dazu befragt wird, wie die nächsten Todesopfer rechter Ideologien vermieden werden können. Er sollte nur noch für ein Thema der Gesprächspartner sein: wenn es um die Details der Abwicklung der Behörden geht. Der Verfassungsschutz ist unreformierbar. Die einzige logische Konsequenz heißt: Verfassungsschutz abschaffen.
Die Forderung nach der Auflösung der Verfassungsschutzämter ist dringlich. Sie ist eine notwendige Konsequenz aus allem, was wir wissen. Wir müssen es lautstark und immer wieder sagen: die Arbeit des Verfassungsschutzes tötet. Eine Umsetzung dieser Forderung kann also Leben retten.
Chemnitz, Halle, Hanau lehren wiederholt eines: Pausenlos wird den falschen „Experten“ zugehört und Raum gegeben. Hört endlich den von rechter Gewalt Betroffenen zu und nicht Behörden, die selbst Teil des Problems sind. Stärkt antifaschistische Arbeit. Stärkt migrantische und postmigrantische Organisationen.