16. Jan. 2018 © dpa
Datenschutz / Überwachung

Deutscher Ethikrat contra NAKO-Gesundheitsstudie?

Am 30.11.2017 hat der Deutsche Ethikrat eine Stellungnahme unter dem Titel „Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung“ veröffentlicht. Darin geht der Ethikrat davon aus, dass durch den Einsatz von Big Data in der biomedizinischen Forschung breit angelegte Vergleiche möglich werden, um krankheitsrelevante Veränderungen zu identifizieren. Wegen der hohen Variabilität und Komplexität der Zusammenhänge, die zur Entstehung von Krankheiten beitragen, seien für valide Analysen besonders große Datensätze unerlässlich. Der Ethikrat kritisiert nicht diese auf Big Data basierende und auf Risikofaktoren fokussierte Forschung. Es gibt sehr wohl Stimmen, die das anders beurteilen.Diese Kontroverse aber ist nicht Inhalt meines Beitrags. Vielmehr beschäftige ich mich mit der Gefährdung der Souveränität derer, die ihre Daten und Bioproben für die genannte Forschung zur Verfügung stellen, sie „spenden“, wie es der Ethikrat nennt.

Bereits durch die Verknüpfung der Begriffe „Datensouveränität“ und „informationelle Freiheitsgestaltung“ im Titel seiner Stellungnahme macht der Ethikrat deutlich, dass er die Selbstbestimmung von Teilnehmer*innen an Projekten gesundheitsbezogener Forschung, u.a. von Spender*innen ihrer Gesundheitsdaten und Bioproben für Biobanken, stärken will. Dies hält er vor allem deshalb für erforderlich, weil

  • ​die vielfältigen künftigen Verwendungsarten der über längere Zeiträume gespeicherten Daten und Bioproben zum Zeitpunkt der Datenerhebung und der ihr zugrundeliegenden Einwilligung der Spender*innen oftmals unbekannt sind,

  • Big Data durch die Verknüpfung vielfältiger Daten die Möglichkeiten der Reidentifizierung intensiviert und damit die Effektivität des Anonymisierungs- bzw. Pseudonymisierungsgebots bezweifelt werden muss.

In diesem Zusammenhang weist der Ethikrat darauf hin, dass vor allem für Biobanken neue „dynamische“ Einwilligungsmodelle entwickelt worden seien, „die mit Blick auf die Selbstbestimmung der Datengeber (Anm.: und Probengeber*innen) eine Balance zwischen einer unrealistisch engen Zweckbestimmung und einer einmaligen, allzu breiten Freigabe garantieren sollen“. Während des Projektauftakts zur Erarbeitung der Stellungnahme, der Jahrestagung des Ethikrats „Die Vermessung des Menschen – Big Data und Gesundheit“ im Mai 2015, hatte Nils Hoppe darauf hingewiesen, dass in Großbritannien u.a. etwa für Biobanken ein „Dynamic-Consent-Modell“, auf der Basis der Software „EnCoRe“9, entwickelt worden sei.

Die „Nationale Kohorte (NAKO)“, inzwischen in „NAKO-Gesundheitsstudie“ umbenannt, und anders, als diese Verharmlosung suggeriert, ist die größte deutsche Biobank mit angestrebten 200.000 Daten- und Bioprobenspender*innen. Die NAKO verlangt hingegen von den potentiellen Teilnehmer*innen in dem Einwilligungsvordruck, den sie ihnen zur Unterschrift vorlegt, noch immer, dass sie sich damit einverstanden erklären, vor der Nutzung ihrer Daten nicht erneut um ihre Einwilligung gebeten zu werden. Wie wichtig der NAKO diese Erklärung ist1, zeigt sich im folgenden Kleingedruckten: „Wenn Nein: Studienteilnehmer kann nicht untersucht werden, da immer notwendig“. Nils Hoppe bot auf der Jahrestagung des Ethikrates eine schlüssige Erklärung für dieses Ansinnen an: Die in einer Biobank gespeicherten Proben und Daten seien das Kapital der Betreiberin. „Wenn über dieses Kapital ein externes Kontrollrecht besteht, ist es weniger wert ... Ich glaube, daher kommt von vielen aus diesem Bereich die Ablehnung von Dynamic Consent.“ Kein Wunder, dass von den Teilnehmer*innen der NAKO verlangt wird, das Eigentum ihrer Bioproben der „Nationale Kohorte e.V.“ zu übertragen. Und dabei geht es um eine Fülle von Gesundheitsdaten und Bioproben, künftig auch um Auskünfte von behandelnden Ärzt*innen, die für 20 bis 30 Jahre gespeichert und für „alle Arten gesundheitsbezogener Forschung im öffentlichen Interesse“, auch in Kooperation mit Drittmittelgeber*innen, die auch kommerzielle Zwecke verfolgen können, genutzt werden sollen. Den Begriff „Datensouveränität“ scheint die NAKO anders zu interpretieren als der Ethikrat: Sieht diese die Betroffenen als „Souveräne“ an, so will die NAKO offensichtlich selbst diese Rolle einnehmen.

Vor der Veröffentlichung der Stellungnahme des Ethikrats hatte es den Anschein, als stünden im Bereich der Biobanken als Alternativen lediglich der „informed consent“ mit enger Zweckbindung auf ein konkretes Forschungsprojekt oder der „broad consent“ mit der Ermächtigung, die Daten und Proben für beliebige Projekte gesundheitsbezogener Forschung zur Verfügung. Die „Forschungs-Community“ ging wie selbstverständlich davon aus, dass der „broad consent“ der unstreitige State of Art bei der Erhebung von Gesundheitsdaten und Bioproben für Biobanken sei. Allerdings hatte der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit in seinem Jahresbericht für 2013 es für problematisch erklärt, dass die NAKO die von ihr erhobenen Daten und Bioproben im Laufe eines längeren Zeitraums externen Forscher*innenn für unterschiedliche Forschungsprojekte zur Verfügung stelle, ohne den Betroffenen eine Beteiligung zu ermöglichen. Er hatte gefordert, ein Verfahren zur Mitwirkung und Entscheidung der Betroffenen vor der Freigabe von Daten und Proben für spätere Forschungsprojekte einzurichten.Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) hingegen bezeichnete in ihrem an das Komitee für Grundrechte und Demokratie gerichteten Schreiben vom 15.04.2015 ein derartiges Verfahren kategorisch als „realitätsfern“. Die Jahrestagung des Ethikrats im Mai desselben Jahres löste bei der BfDI offensichtlich keinen Lernprozess aus. In ihrem neuesten Jahresbericht vom Juli 2017 ist zwar davon die Rede, dass die Teilnehmer*innen ihre Einwilligung in Gänze widerrufen könnten, nicht aber davon, dass sie Einfluss auf die Forschungsprojekte nehmen können, für die ihre Daten und Proben genutzt werden sollen, ohne dass dieses in Frage gestellt würde. Auch die NAKO selbst stellt zwar in Aussicht, ein Teilnehmer*innenportal einrichten zu wollen. Dies solle aber lediglich dazu dienen, nachträglich Auskunft über Forschungsprojekte zu erteilen.

Ich habe seit 2014 wiederholt darauf hingewiesen, dass der „broad consent“ nicht der geltenden Rechtslage entspricht. Dies habe ich in der Datenschutzgrundverordnung der EU (EU-DSGVO) bestätigt gesehen. Deren Art. 13 und 89 fordern einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Forschung und den Belangen der Betroffenen. Ein konkretes Beispiel dafür zeigen Z. 33 der Erwägungsgründe der EU-DSGVO auf. Dort heißt es in den Sätzen 1 und 2, dass oftmals der Zweck der Verarbeitung personenbezogener Daten für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zum Zeitpunkt ihrer Erhebung nicht vollständig angegeben werden. Daher solle es Betroffenen möglich sein, ihre Einwilligung für bestimmte Forschungsbereiche zu geben. Dem entspricht der durch die NAKO kategorisch verlangte „broad consent“. Der Satz 3 der Erwägungsgründe aber fährt fort, dass die Betroffenen Gelegenheit erhalten sollen, ihre Einwilligung nur für bestimmte Forschungsbereiche oder Teile von Forschungsprojekten zu erteilen. Stehen diese „bestimmten Forschungsbereiche“ oder „Teile von Forschungsprojekten“ zum Zeitpunkt der Erteilung der Einwilligung noch nicht fest, was bei Biobanken der Regelfall ist, so kann die Einwilligung erst später präzisiert oder eingeengt, d.h. „dynamisiert“ werden. Dies versteht man unter „dynamic consent“, und dies muss erst recht für die besonders sensiblen Gesundheitsdaten und Bioproben gelten.

Der Ethikrat empfiehlt, geeignete Kommunikationskanäle, etwa eine entsprechende App einzurichten, durch die der Datenspender*innen (Anm.: und Probenspender*innen) über seine Zustimmung zur Weitergabe für konkrete Forschungsvorhaben entscheiden oder diese je nach Fall auch einschränken oder widerrufen könne. „Wann immer möglich, sollten Kaskadenmodelle der persönlichen Einwilligung eingesetzt werden, die verschiedene, dynamisierte Möglichkeiten bieten, Einwilligungsentscheidungen einmalig, regelmäßig oder für jeden Entscheidungsfall neu zu treffen“. Es sollten bereits praxiserprobte, erfolgreiche Vorbilder, insbesondere aus dem Bereich der Biobanken, übertragen werden. Es solle damit in der medizinbezogenen Forschung weiterhin ein einwilligungsbasiertes Regelungskonzept Verwendung finden (Opt-in-Modell). An diesen Empfehlungen des Ethikrates irritiert lediglich das Wort „weiterhin“. Denn die bisherige Praxis von Biobanken wie der NAKO, gestützt durch die TMF (vgl. Fußnote 15) und durch die BfDI (vgl. Fußnote 17), widerspricht dem durch den Ethikrat vorgeschlagenen Einwilligungskonzept diametral.

Der Ethikrat stellt keine Anforderungen, sondern gibt Empfehlungen. Ich hingegen meine dargelegt zu haben, dass es für Biobanken, die nicht derartige dynamisierte Einwilligungsmodelle anbieten, sondern zwingend einen „broad consent“ verlangen, rechtlich geboten ist, ihr Einwilligungskonzept der geltenden Rechtslage (vgl. Nr. 33 S. 3 der Erwägungsgründe zur EU-DSGVO) anzupassen und ihr Einwilligungskonzept entsprechend den Empfehlungen des Ethikrates zu „dynamisieren“.

Dies gilt insbesondere für die NAKO, aber sicher auch für viele andere Biobanken und langfristig angelegte und miteinander vernetzte Forschungsverbünde. Die NAKO z.B. ist danach gehalten, ihre Vordrucke für Einwilligungserklärungen zu ändern, dabei insbesondere die Z. 1.4 zu streichen und die technischen und organisatorischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass es durch Erweiterung des Teilnehmerportals den Teilnehmer*innen ermöglicht wird, Einfluss darauf zu nehmen, für welche Forschungsprojekte ihre Daten und Proben genutzt werden dürfen und für welche nicht.

Man darf gespannt sein, ob und wie die NAKO und die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder auf die Stellungnahme des Ethikrates reagieren.

Bremen, im Januar 2018
Wolfgang Linder

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