Im Herbst 2005 hat das Komitee für Grundrechte und Demokratie den Protest gegen die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) aufgenommen. Die Absicht, sensible Gesundheitsdaten zentral zu speichern, erschien uns ungeheuerlich. Schon bald riefen wir, zunehmend gemeinsam mit anderen, dazu auf, aus Protest gegen den mit der eGK verbundenen Umbau des Gesundheitssystems kein Foto bei den Krankenkassen einzureichen, also keine eGK zu beantragen. Viele folgten dem Protest, oft einfach durch Nicht-Handeln. Noch immer haben viele gesetzlich Versicherte keine eGK. Jetzt aber wird der Druck zur Einführung der eGK erheblich verstärkt. Tatsächlich kann die elektronische Gesundheitskarte, die aktuell ausgegeben wird, noch kaum etwas, von dem, was sie eigentlich leisten sollte. Das Stammdatenmanagement, das nun als erstes eingeführt werden soll (im Online-Rollout Stufe 1), war ursprünglich gar nicht im Gesetz vorgesehen.
Und auch jetzt bleibt das Projekt von Pleiten, Pech und Pannen begleitet. Die neuen Testverfahren hatten im vierten Quartal 2014 beginnen sollen, inzwischen glaubt Dr. Thomas Kriedel, Sprecher der in den Test einbezogenen Kassenärztlichen Vereinigungen, dass es statt dem 1. April 2015 auch der 1. Oktober 2015 werden könnte. (http://www.aerztezeitung.de/praxis_wirtschaft/gesundheitskarte/article/868607/praxistest-egk-starttermin-koennte-weiter-verzoegern.html). Neben den technischen Problemen müssen gematik und Bundesregierung immer wieder mit den vielfältigen Protesten und dem Widerstand kämpfen, den Ärzte und Versicherte vortragen. Auch im Jahr 2014 hat der Deutsche Ärztetag eine deutliche Kritik am Projekt der eGK beschlossen und jede zentrale Datenspeicherung von Gesundheitsdaten abgelehnt.
Der Protest gegen den Umbau des Gesundheitssystems zu einem Kontrollsystem, die Ablehnung jeder Speicherung von Gesundheitsdaten auf Systemen, die jederzeit und von überall zugänglich sind und die Kritik am Aufbau einer Telematik-Infrastruktur bleiben notwendig und richtig. Einige Versicherte klagen deshalb vor den Sozialgerichten. Einige Versicherte nutzen schon seit einiger Zeit das „Ersatzverfahren“. Sie erhalten einen Nachweis ihres Versichertenstatus auf Papier. Manche erhalten diesen pro Quartal, andere müssen diesen für jeden einzelnen Arzttermin beantragen, bei anderen weigern sich die Kassen, einen solchen auszustellen, da dieses Verfahren, welches für den Einzelfall geregelt ist (§ 19 des Bundesmantelvertrag Ärzte, http://www.kbv.de/html/bundesmantelvertrag.php), nicht zur Regel werden könne. Wichtig ist, dass unser Protest möglichst lange sichtbar bleibt. Deshalb ist es gut, wenn jeder solange wie möglich, das Ersatzverfahren nutzt.
Für viele Versicherte wird der Druck, den die Krankenkassen auf sie ausüben, jedoch unerträglich. Ihre Gesundheit und die Sicherheit, jederzeit auf ärztliche Leistungen zurückgreifen zu können, ohne um jeden Nachweis des Versichertenstatus kämpfen zu müssen, hat Vorrang. Wir können jeden und jede verstehen, die jetzt in den sauren Apfel beißt, den Antrag auf Ausstellung der eGK ausfüllt und ein Foto einreicht.
Unsere Kritik am Aufbau dieses Systems muss allerdings erst recht weitergehen. Jede und jeder sollte der freiwilligen Speicherung von Gesundheitsdaten grundsätzlich widersprechen. Darüber kann man die Ärzte schon einmal vorbeugend informieren. Auch die Notfalldaten haben nichts auf der eGK zu suchen.
Den angekündigten Referentenentwurf für ein eHealth-Gesetz aus dem Bundesministerium für Gesundheit, den Minister Hermann Gröhe noch vor Weihnachten veröffentlichen will, gilt es kritisch zu begutachten.
Ist die Absicht, Gesundheitsdaten zentral zu speichern, tatsächlich aufgegeben?
Zum Ärztetag im Frühjahr 2014 hat die Bundesärztekammer einen Sachstandsbericht vorgelegt, der nahelegt, dass ein Teil der Kritik an der eGK aufgenommen und berücksichtigt wurde. So wird insbesondere davon ausgegangen, dass es eine zentrale Datensammlung nicht geben wird. Es würden keine technischen Voraussetzungen für eine solche Datensammlung geschaffen. Nur für eine konkrete Behandlung und deren Dauer soll dereinst eine ePatientenakte angelegt werden. Patientenakten würden weiterhin bei den behandelnden Ärzten geführt. Die eGK solle vor allem die Kommunikation der Ärzte untereinander erleichtern.
Diesem Sachstandsbericht muss mit Skepsis begegnet werden. Immer wieder wird an verschiedenen Stellen weiterhin von einer Patientenakte gesprochen. Die Idee einer Datensammlung ist viel zu vielversprechend als dass davon abgesehen würde. Nur kann sie in absehbarer Zeit nicht umgesetzt werden.
Noch entscheidender ist ein anderer Aspekt. Die moderne Technik eröffnet ganz andere Möglichkeiten der Datenauswertung. Heute geht es mehr um die Metadaten als um die einzelnen Gesundheitsdaten. Schon mit der eGK, die ein kleiner Computer ist, wird der Zugang zu einem vernetzten System aufgebaut. Gesammelt werden Links, die Hinweise darauf liefern, wo was gespeichert ist. Die Vernetzung aller IT-Komponenten schafft den Zugang zu Dateien , die monopolartig verwaltet werden. Die Begriffe von „zentral“ und „dezentral“ verlieren in diesen Kontexten ihre Bedeutung.
Rolf Lenkewitz, der sich eingehend mit der informationstechnischen Infrastruktur der elek-tronischen Gesundheitskarte auseinandergesetzt hat (http://www.ocmts.de/egk/xmlcontainer/index.html) schreibt: „Jede Nutzung erzeugt eine Datenspur, die auch in indirekter Form, über andere Datenträger und Schnittstellen, zu einer Anhäufung von zusammenhängenden Daten in einem telematischen System führen können. Vergessen wir nicht, dass die Krankenkassen und Kostenträger mit der telematischen Infrastruktur, die auf Cloudtechnologien und Virtualisierung beruht, eng vernetzt werden und zunehmend in einer verlinkten System- und Speicherwelt für Daten und Dokumente, mit Metadaten ergänzt, arbeiten. Metadaten sind zusätzliche Informationen zu anderen Informationsressourcen und offenbaren weit mehr über Menschen und Prozesse als bekannt ist.“
Die alten Karten verlieren ihre Gültigkeit, aber das Ersatzverfahren bleibt bestehen.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und der GKV-Spitzenverband haben sich darauf geeinigt, dass die „alte“ Krankenversichertenkarte (KVK) nur noch bis Ende des Jahres 2014 verwendet werden kann. Danach verliert sie, unabhängig von dem aufgedruckten Datum, ihre Gültigkeit. Diese Einigung der an der Einführung der eGK Interessierten wird werbewirksam vermittelt. Rechtlich gibt es weiterhin andere Möglichkeiten, seinen Anspruch als Versicherter nachzuweisen. Das Ersatzverfahren, also der papierne Nachweis des Versichertenstatus, bleibt als Möglichkeit erhalten. Zunehmend berufen sich die Krankenkassen aber darauf, dass dieses Verfahren nur im Einzelfall gilt und nicht der Regelfall für einzelne Versicherte werden kann. Manche Kassen weigern sich rundweg, solche Belege auszustellen. In Klageverfahren haben Kassen allerdings auch schon umgekehrt damit argumentiert, dass Versicherte die eGK ja gar nicht beantragen müssen, sondern das Ersatzverfahren nutzen können.
Viele Krankenkassen lassen ihre Versicherten im Ungewissen, üben Druck aus und machen deutlich, dass sie nicht die Interessen der Versicherten vertreten. Rechtlich ist klar, dass jeder Versicherte Anspruch auf die kassenärztliche Versorgung hat, dass Ärzte verpflichtet sind, Versicherte unabhängig von der Form des Nachweises der Versicherung ärztlich zu versorgen, dass die Kassen keine Möglichkeiten haben, Versicherte aktiv zum Antrag auf eine eGK und zur Abgabe eines Fotos zu zwingen. Wenn der Versicherte zum Patienten wird, will er sich allerdings nicht mit diesen Fragen beschäftigen, sondern seine Gesundheit steht im Mittelpunkt seines Interesses. So ist der Patient derjenige mit den geringsten Möglichkeiten, seine Interessen durchzusetzen.
Dennoch wird es weiterhin Versicherte geben, die sich weigern, der Krankenkasse ihr Foto zu schicken, und die damit ihre Ablehnung der eGK dokumentieren. Wir werden weiterhin versuchen, sie zu beraten und verweisen zugleich auf eine Mailing-Liste, auf der sich gerade diese Versicherten zusammengeschlossen haben: https://mail.foebud.org/cgi-bin/mailman/listinfo/egk-jura
Die elektronischen Gesundheitskarten, die jetzt ausgegeben werden, können technisch noch nicht viel. Sie entsprechen auch nicht den Sicherheitsstandards, die die gematik inzwischen selbst gesetzt hat. Irgendwann werden sie also noch einmal gegen neue elektronische Karten ausgewechselt werden.
Versichertenstammdatenmanagement
Auf dem Ärztetag hat die Mehrheit der Ärzte die Einführung des Stammdatenmanagements abgelehnt. Sie wollen nicht eine weitere Verwaltungsaufgabe für die Krankenkassen übernehmen. Zudem wird mit dieser Verwaltungsaufgabe die Vernetzung aller Arztpraxen aufgebaut. Zu befürchten ist, dass dieser politische Wille einfach ignoriert wird. Die Ärzte werden mit Zahlungen für die Übernahme dieser Aufgabe geködert, ansonsten wird Druck ausgeübt werden.
Hier kommt ein weiterer Aspekt hinzu. Die Fotos der Versicherten auf der eGK sind nie auf ihre Echtheit überprüft worden. Die Ärzte sind zur Identitätsprüfung verpflichtet, müssen dafür aber auf einen Ausweis zurückgreifen, der ungeeignet für diese Aufgabe ist. Ärzte müssen eine Karte als Authentifizierungsinstrument für die Weitergabe sensibler Daten nutzen und werden so zu blindem Vertrauen gezwungen.
Die Forderung bleibt: Statt der elektronischen Gesundheitskarte transparente und Gesundheit fördernde Kommunikationsstrukturen im Gesundheitsbereich entwickeln!
Dr. Elke Steven
(für die AG Gesundheit im Komitee für Grundrechte und Demokratie)
Weiterführende Informationen:
Publikation: Digitalisierte Patienten - verkaufte Krankheiten, ISBN 978-3-88906-136-2; 192 Seiten, Köln 2011, http://www.grundrechtekomitee.de/node/388
Informationen zu Gesundheitssystem, Bioethik und eGK:: http://www.grundrechtekomitee.de/taxonomy/term/24