Markus Bernhardt interviewte Elke Steven letzte Woche zum Umgang mit den Blockupy-Versammlungen in Frankfurt. Die Wochenzeitung UZ veröffentlichte das Interview am 7. Juni 2013.
UZ: Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hat die massiven Polizeieinsätze beobachtet, die Anfang Juni rund um die Aktivitäten des antikapitalistischen Bündnisses "Blockupy"in der Bankenmetropole Frankfurt am Main stattfanden. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Elke Steven: Wir sind entsetzt, in welch unvorstellbarer Weise Grundrechte ausgehebelt und Gerichtsurteile mit Füßen getreten wurden. Der Staat hat sich gegenüber den KritikerInnen des europäischen Krisenregimes noch undemokratischer präsentiert, als diese es in ihren Sprüchen und Kritiken behaupten. Es bleibt der Eindruck, dass der Eingriff in diese Demonstration inszeniert war. Blockupy hatte in diesem Jahr Erfolg vor Gericht, der selbst gewählte Weg sollte möglich sein. Ein breites Bündnis wollte seinen Protest in die Bankenstadt tragen. Das war politisch nicht gewollt und wurde polizeilich verhindert. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wurde ausgehebelt, zugleich wurden die körperliche Unversehrtheit und die Pressefreiheit verletzt. Ein schwarzer Tag für Grundrechte und Demokratie
UZ: Zwar nehmen viele Bundesbürger Polizeigewalt mittlerweile verstärkt wahr, verorten diese jedoch eher in Spanien, Griechenland und der Türkei, wo sie im Rahmen der letzten "Anti-Krisenproteste" zuletzt verstärkt zu beobachten waren. Fehlt den Menschen hier ein Gespür für die schnellen Schrittes voranschreitende Entdemokratisierung und die damit einhergehende Militarisierung der bundesdeutschen Innenpolitik?
Elke Steven: Wir sitzen hier noch wie die Made im Speck. Große Teile der Bevölkerung bleiben noch verschont von Armut und Perspektivlosigkeit, wie sie in vielen südeuropäischen Ländern um sich greift. Die sich andeutende Krise verstärkt in Teilen der Gesellschaft die Rufe nach Ruhe und Ordnung, aus der die eigene Sicherheit erwachsen soll. Andererseits ist es jedoch ein breites Bündnis, das den Protest von Blockupy trägt. Gerade das muss den Herrschenden Angst machen. Die Aufforderungen, sich von Teilen der Demonstrierenden zu distanzieren, sind alt und kehren immer wieder. Nur wer das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in Anspruch nimmt, merkt wie sehr es verletzt wird. In der Berichterstattung dominieren immer wieder die Verdrehungen und Fehlinformationen der Polizei. Das sieht man dieser Tage wieder. Und die Militarisierung nach Innen wird bei uns tatsächlich noch viel zu wenig thematisiert.
UZ: Es kam in Frankfurt an mehreren Stellen zu massiven, nahezu flächendeckenden Pfeffersprayeinsätzen durch die Polizei. Wie bewerten Sie die Einsätze mit dem extrem gefährlichen Reizgas, die für Betroffene unter gewissen Umständen sogar tödlich wirken können?
Elke Steven: Es ist mehrfach gefährlich, dass diese Waffe in den Händen der Polizei ist. Pfefferspray sollte ein milderes Mittel als der Einsatz der Schusswaffe sein. Eingesetzt wird es aber flächendeckend und ohne jede tatsächliche Bedrohung. In Frankfurt haben wir einen 13-Jährigen gesehen, der bei seiner ersten Demonstration von Pfefferspray verletzt wurde. Er war einerseits fertig, andererseits empört und schrie seine Wut, nachdem die schlimmsten Wirkungen verklungen waren, der Polizei entgegen. Sein Vater fragte sich, wie er seinem Sohn noch eine politische Perspektive vermitteln solle. Dieser Rückgriff auf und der selbstverständliche Einsatz von Abstandswaffen ist ein Rückfall in das Konzept der Bekämpfung von Bürgern, die für ihre Rechte eintreten. Es gab Zeiten, in denen die Auseinandersetzungen auch auf Demonstrationen stärker von Kommunikation geprägt waren.
UZ: Mehrfach wurden offenbar Sanitäter und Notärzte von den Einsatzkräften daran gehindert, Verletzte zu versorgen. Fast könnte man meinen, dass es bei über 200 verletzten Demonstranten an ein Wunder grenzt, dass niemand tödlich verletzt wurde ...
Elke Steven: Der Einsatz von Pfefferspray kann potentiell immer auch tödlich enden. Das Gefährliche ist, dass die Polizei dies entgegen ihres Wissens leugnet und den Einsatz auch offiziell verharmlost. Sie hat das Pfefferspray ja vor allem gegen den Teil der Demonstration eingesetzt, der hinten von den angeblich gewalttätigen Blöcken abgetrennt wurde. Also hat sie die Waffe ihrer eigenen Definition gemäß gegen die Friedlichen eingesetzt.
UZ: Mehrere Menschen wurden bewusstlos aus dem Kessel gezogen. Haben die Betroffenen überhaupt eine realistische Möglichkeit gegen die brutalen Übergriffe der Polizei vorzugehen?
Elke Steven: Die schmerzvollen Polizeigriffe, mit denen die meisten der wohl 900 Demonstrierenden abgeführt wurden, sind entsetzlich. Bei dem von der Polizei "Herausführen" genannten gewaltvollen Abschleppen kam es zu Zusammenbrüchen und mussten Sanitäter geholt werden. Auch wenn es schwierig sein wird, die Möglichkeiten von Klagen müssen geprüft werden. Dieser Einsatz muss vielfältig aufgearbeitet und angeklagt werden, damit Konsequenzen gezogen werden. Wir werden die Demonstrierenden mit allen unseren Möglichkeiten unterstützen.
UZ: Die Polizei ging bei den antikapitalistischen Aktionstagen nicht nur mit Minderjährigen alles andere als zimperlich um. Vielfach wurden auch Parlamentarier daran gehindert, Situationen zu deeskalieren bzw. Polizeiübergriffe zu dokumentieren. Im Fall des nordrhein-westfälischen Linken-Bundestagsabgeordneten Niema Movassat unterstellten Beamte ihm sogar, seinen Bundestagsausweis gefälscht zu haben. Sie haben selbst bereits hunderte Demonstrationen beobachtet. Ist es mittlerweile Alltag, dass selbst Abgeordnete von der Polizei an der Ausübung ihres Mandates gehindert werden?
Elke Steven: "Die" Polizei bräuchte wohl dringend angemessenen Unterricht in Demokratie. Neben mir, kurz vor dem Abführen der Demonstrierenden, empörte sich ein Polizeibeamter in sein Mikro sprechend, also gegenüber seinen Kollegen, dass Parlamentarier der Linken vor dem Block standen. Er meinte Parlamentarier hätten die Aufgabe, sich hinter die Polizei zu stellen.
Es wäre empörend, wenn sie sich auf die Seite der Demonstrierenden stellten, um diese zu unterstützen. Er forderte seinen videografierenden Kollegen auf, diese Reihe abzufilmen. Eine Organisation, die mit so viel Machtund Gewaltmitteln ausgestattet ist, neigt dazu, ihre eigene Perspektive absolut zu setzen und Herrschaft auszuüben. Zugleich hat die Polizei wohl schon immer versucht, sich Kontrollen zu entziehen. Und jeder, der dies versucht zu tun, seien es recherchierende Journalisten oder Abgeordnete, muss leider mit Behinderungen rechnen. Aber man muss auch die dahinterstehende Politik anklagen. Die eingesetzten Beamten wurden auch für diesen Einsatz von denen missbraucht, die darüber fernab entschieden.
UZ: Es fällt - Stichwort Proteste gegen "Stuttgart 21", Castor-Transport und Naziaufmärsche - auf, dass Polizeibeamte immer skrupelloser auch auf friedliche Demonstranten, betagte Personen und Kinder einprügeln. Wie erklären Sie sich diese in manchen Fällen ganz offensichtliche Lust an Gewaltexzessen und Brutalität?
Elke Steven: In den Reihen der Polizisten kursieren oft Gerüchte über schwerverletzte Polizeibeamte. Die Effekte dieser Gewalt anstachelnden Gerüchte, die sich meist im Nachhinein als völlig unhaltbar herausstellen, haben wir schon vor Jahren im Wendland erlebt. Es gab Zeiten, in denen die Polizei eher auf Kommunikation und Konfliktlösung setzte. Das waren zugleich Zeiten, in denen Abstandswaffen - damals die verhältnismäßig umständlich handhabbaren Wasserwerfer - weniger eingesetzt wurden. Mit dem Pfefferspray hat jeder einzelne Polizeibeamte eine neue und ganz gefährliche Abstandswaffe, über dessen Einsatz er selbst schnell entscheidet. Solche Waffen führen auch dazu, das "polizeiliche Gegenüber" als Feind wahrzunehmen.