Das Komitee für Grundrechte und Demokratie legt eine Stellungnahme vor, mit der es die Allgemeinverfügung scharf kritisiert, mit der die Stadt Hamburg das Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit während des G20-Gipfels außer Kraft setzt. Fast die gesamte Innenstadt wird zu einer demokratiefreien Zone, kurzer Hand wird der Ausnahmezustand von SPD und Grünen verkündet. Der Polizei wird die Definitionshoheit darüber überlassen, wer Bürgerrechte genießt. Elke Steven befürchtet, dass die Polizei aus der Innenstadt verbannen kann, wer immer ihr missfällt oder wem immer sie die Absicht unterstellt, seine Meinung öffentlich mit anderen kund tun zu wollen.
Zur Begründung dieses Versammlungsverbots müssen wieder einmal verdrehende Erzählungen über vergangene Proteste und falsche Behauptungen über potentiell gewaltbereite Teilnehmer*innen als Gefahrenprognose herhalten. Beispielhaft werden die Begründungen aus der Allgemeinverfügung widerlegt.
Skandalös ist, dass die Lüge über die Zahl der verletzten Polizist*innen beim Protest gegen den G7-Gipfel in Rostock erneut aufgetischt wird.
Das Grundrechtekomitee kommt zu dem Schluss: „Wer jeden Protest kriminalisiert, trägt letztlich zur Eskalation bei. Denn ,das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers´ – wie es die Verfassungsrichter im Brokdorf-Beschluss formulierten.“
Demonstrationsverbot in Hamburg – Gipfel ohne Grundrechte
Vor kurzem noch betonte Innensenator Grote (SPD), Hamburg feiere während des G20-Treffens ein Festival der Demokratie. Justizsenator Till Steffen (Grüne) hatte versichert, in Hamburg sei keine Verbotszone geplant. Beteuert wurde, verfassungsgemäß sei Protest in Sicht- und Hörweite des Gipfelteilnehmer*innen möglich. Am 9. Juni 2017 wurde nun eine Allgemeinverfügung veröffentlicht mit der in der Zeit vom 7. Juli 2017, 6:00 Uhr, bis 8. Juli 2017, 17:00 Uhr, alle Versammlungen in einer 38 Quadratkilometer großen Zone verboten werden. Diese Allgemeinverfügung macht offensichtlich, dass im Namen der Sicherheit der Gipfelteilnehmer*innen die Freiheitsrechte der Bürger*innen geopfert werden. Die Demokratie wird für zwei Tage außer Kraft gesetzt. Angesichts der Terroranschläge wird immer wieder betont, dass „wir“ uns unsere freiheitliche Ordnung durch solche Gewaltakte nicht nehmen lassen und unsere Ordnung nicht verändern, weil sonst die Terroristen schon gesiegt hätten. Nun aber wird diese freiheitliche Ordnung – ohne konkrete Anzeichen für geplante terroristische Anschläge – den Sicherheitsinteressen der Staatenlenker*innen geopfert.
Es wird zwar behauptet, „nur“ die Versammlungsfreiheit würde aus der Stadt verbannt, die Bürger*innen könnten ansonsten frei ihren Interessen und Bedürfnissen folgen, ihre Bewegungsfreiheit würde nicht eingeschränkt. Angesichts der beschriebenen Sicherheitsvorkehrungen wird damit jedoch erneut allen Sand in die Augen gestreut. Die Sicherung des Gipfels sowie die Durchsetzung des Versammlungsverbotes werden die Stadt lahmlegen. Die Polizei hat die Definitionshoheit und kann verbannen, wer immer ihr missfällt oder wem immer sie die Absicht unterstellt, seine Meinung öffentlich mit anderen kund tun zu wollen.
Zur Begründung dieses Versammlungsverbots müssen wieder einmal verdrehende Erzählungen über vergangene Proteste und falsche Behauptungen über potentiell gewaltbereite Teilnehmer*innen als Gefahrenprognose herhalten. Beispielhaft sollen nur wenige Darstellungen aus der 66-seitigen Begründung aufgegriffen werden.
(1) Erneut wird behauptet, bei der Großdemonstration in Rostock gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm am 2. Juni 2007 seien 433 Beamte zum Teil schwer verletzt worden. Tatsächlich berichtete KAVALA, die „besondere Aufbauorganisation“ der Polizei, die für die Sicherung des Gipfels zuständig war, noch am 5. Juni 2007 in einer Stellungnahme für das Bundesverfassungsgericht zum Verbot des Sternmarsches am 7. Juni 2007 von »über 400 verletzten Polizeibeamten – davon 25 schwer«. Das war eine interessegeleitete Fehlinformation. Schon kurz nach dem Gipfel berichtete Innenminister Lorenz Caffier in der Innenausschusssitzung nur noch von 43 Polizeibeamt*innen, die nach den „Krawallen“ am Samstag vorübergehend dienstunfähig gewesen seien. Von den vermeintlich „schwer verletzten“ Polizisten war lediglich einer über Nacht in einer Klinik gewesen.
(2) Unerwähnt bleibt selbstverständlich in den Beschreibungen der Gipfel-Proteste von 2007, dass derjenige, der dadurch auffiel, dass er an den Blockaden zu unfriedlichem Verhalten aufrief, ein Zivilbeamter in szenetypischer Kleidung war. Nach ersten polizeilichen Leugnungen stellte sich heraus, dass es ein Angehöriger der Bremer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit war. (Bericht des Grundrechtekomitees: Gewaltbereite Politik und der G8-Gipfel, S. 79)
(3) Auch die Blockupy-Demonstration am 18.3.2015 nahm nicht insgesamt einen unfriedlichen Verlauf. Wenn aber einzelne aus einer Versammlung Straftaten begehen, so kann nicht die Versammlung als Ganze verboten oder als gewalttätig diffamiert werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht im Brokdorf-Beschluss deutlich gemacht: „Steht kollektive Unfriedlichkeit nicht zu befürchten, ist also nicht damit zu rechnen, daß eine Demonstration im Ganzen einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt (vgl. § 13 I Nr. 2 VersG) oder daß der Veranstalter oder sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben (vgl. § 5 Nr. 3 VersG) oder zumindest billigen, dann muß für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben, wenn einzelne andere Demonstranten oder eine Minderheit Ausschreitungen begehen (vgl. v. Münch, a.a.O., RdNr. 18 zu Art. 8 GG; Herzog, a.a.O., RdNr. 59 f., 89 f. zu Art. 8 GG; Hoffmann-Riem, a.a.O., RdNr. 23 zu Art. 8 GG; Blanke/Sterzel, a.a.O. [76]; Schwäble, a.a.O., S. 229 und 234; Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 6. Aufl, 1983, RdNr. 4 zu Art. 8). Würde unfriedliches Verhalten Einzelner für die gesamte Veranstaltung und nicht nur für die Täter zum Fortfall des Grundrechtsschutzes führen, hätten diese es in der Hand, Demonstrationen ‚umzufunktionieren‘ und entgegen dem Willen der anderen Teilnehmer rechtswidrig werden zu lassen (so schon OVG Saarlouis, DÖV 1973, S. 863 [864 f.]); praktisch könnte dann jede Großdemonstration verboten werden, da sich nahezu immer ‚Erkenntnisse‘ über unfriedliche Absichten eines Teiles der Teilnehmer beibringen lassen.“
(4) Diverse Brandanschläge, die als „Mobilisierungsstraftaten“ bezeichnet werden, können ein Versammlungsverbot nicht begründen. Diese sind gerade nicht aus Versammlungen heraus begangen worden.
(5) Nahegelegt wird, dass sich immer wieder tausende „gewaltbereite Autonome“ an den Protesten beteiligen und erhebliche Straftaten begehen. Die Informationen über die Strafverfolgungen zeichnen jedoch ein anderes Bild. Nach dem Gipfel in Heiligendamm berichtet die taz am 19.11.2007 über ein Resümee der Staatsanwaltschaft Rostock. „Von den 1.474 eingeleiteten Verfahren konnte die Staatsanwaltschaft Rostock in nur 147 Fällen Anklage erheben, 955 wurden eingestellt, größtenteils weil den Beklagten nichts nachzuweisen war. Teilweise stellte sich auch heraus, dass es sich nicht um eine Straftat, sondern nur um eine Ordnungswidrigkeit handelte, sodass die Verfahren an die Verwaltungsbehörden weitergeleitet wurden. Im schlimmsten Fall droht hier ein Bußgeld.“ (http://www.taz.de/!5191380/) Auch infolge der verschiedenen Blockupy-Proteste ist es nicht in nennenswerter Weise zu Verurteilungen wegen Straftaten gekommen. Auch in diesem Kontext sind fast alle Verfahren eingestellt worden.
(6) Ausführlich wird aufgeführt, dass viele Gruppen zu Protesten – auch zu Blockaden – gegen den G20 aufrufen. Eine solche Mobilisierung, die das je eigene Klientel werbend ansprechen soll, kann ein generelles Versammlungsverbot nicht begründen. Man muss nicht jede martialisch werbende Selbstdarstellung richtig und gut finden, man kann daraus jedoch auch nicht pauschal „Gewaltbereitschaft“ ableiten. Das OVG Greifswald, das im August 2012 entschied, dass der Sternmarsch gegen den G8-Gifpel zu Unrecht verboten wurde, ließ auch das Argument der Polizei, eine „Verhinderungsblockade“ sei nicht von der Versammlungsfreiheit geschützt, nicht gelten. Christian Rath berichtete in der taz am 19. August 2012 über die Begründung der Entscheidung: „Zum einen könne eine Versammlung nicht nur verboten werden, weil einzelne Teilnehmer zu rechtswidrigen Mitteln greifen wollen. Außerdem sei eine Sitzblockade von der Versammlungsfreiheit geschützt, wenn sie Aufmerksamkeit erregen und einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leisten will.“ (http://www.taz.de/!5086091/ ) Die Stadt Hamburg aber argumentiert letztlich, dass jede Versammlung das Sicherheitskonzept des Gipfels stören würde, und macht damit deutlich, dass der Gipfel demokratisch unverträglich ist.
Dieses pauschale Demonstrationsverbot macht deutlich, dass in Hamburg der befürchtete Ausnahmezustand hergestellt wird. Grundrechte werden ausgehebelt, im Namen der Sicherheit werden der Polizei weitgehende Befugnisse erteilt, in die Rechte der Bürger*innen nach Gutdünken einzugreifen. Wo zwei oder drei zusammenstehen, wird sie dies als Versammlung interpretieren und einschreiten können.
Wer sich einen solchen Gipfel mitten in eine Stadt holt, lädt zugleich die Kritiker*innen dieser Politik ein. Undemokratisch ist schon der Versuch, diese Kritiker*innen vom Protest abzuschrecken. Dies geschieht durch die Versuche, jedes Camp unmöglich zu machen. In der Allgemeinverfügung wird explizit vermerkt, dass schon durch diese Verfügung auch die Menge der Versammlungsteilnehmer*innen merklich verringert werden solle.
Eine solche Entdemokratisierung einer Stadt dürfen die Bürger*innen nicht zulassen, Protest gegen die Allgemeinverfügung ist notwendig. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist ein Grund- und Menschenrecht.
Wer jeden Protest kriminalisiert, trägt letztlich zur Eskalation bei. Denn „das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis mit anderen zu versammeln, galt seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers“ – wie es die Verfassungsrichter im Brokdorf-Beschluss formulierten.