Biobanken gelten heute als „entscheidende Ressource für eine erfolgreiche medizinische Forschung“. Immer mehr Biomaterialien wie Blut- oder Gewebeproben und Gesundheitsdaten werden langfristig in miteinander vernetzten Biobanken gespeichert, in denen sie für aktuelle und künftige Forschungsfragestellungen zur Verfügung stehen, ein Beispiel für Big-Data-Management. Welches sind auf der Grundlage der im Mai 2016 verabschiedeten EU-Datenschutzgrundverordnung 2016/679 (DSGVO) die Voraussetzungen dafür? Ist eine Einwilligung der Betroffenen erforderlich oder reicht ein Forschungsinteresse? Was sind die Voraussetzungen für eine wirksame Einwilligung? Bleibt es beim „informed consent“, einer spezifischen Zustimmung zur konkreten Verwendung der eigenen Daten (so das bisherige Datenschutzrecht) oder reicht der „broad consent", die unspezifische Zustimmung zur Verwendung der eigenen Daten (so der Wunsch der Betreiber von Biobanken)? Steht als „Mittelweg“ der „dynamic consent“ zur Verfügung, die Organisation einer Kommunikation zwischen Datengebern und Nutzern der Daten und wie würde diese auszugestalten sein? Oder soll die Zustimmung zur Nutzung von Daten für Forschung in manchen Fällen ganz wegfallen dürfen?
Die DSGVO bemüht sich um einen Ausgleich zwischen Forschung und Datenschutz. Nach Art. 9 Abs. 2a und 2j sowie Art. 89 Abs. 1 müssen die Betroffenen einwilligen, wobei sie nach dem Erwägungsgrund 33 ein Wahlrecht zwischen dem informed und dem broad consent haben (Einwilligung in ein bestimmtes oder in ein Spektrum auch künftiger Forschungsvorhaben). Der nationale Gesetzgeber kann darüber hinausgehen, muss aber strenge Voraussetzungen erfüllen (Verhältnismäßigkeit, Wahrung des Wesensgehalts des Datenschutzes, Wahrung der Grundrechte und Datenminimierung). Das Recht auf Auskunft über die Datenempfänger nach Art. 15 kann nach Art. 89 Abs. 2 durch nationale Gesetze nur ausgehebelt werden, wenn andernfalls die Forschung unmöglich oder ernsthaft beeinträchtigt wäre.
Die DSGVO soll im Mai 2018 in Kraft treten. Die EU-Mitgliedstaaten haben bis dahin Zeit, unter Nutzung der zahlreichen Öffnungsklauseln in der DSGVO ihr nationales Recht anzupassen. Die Bundesregierung hat dem Bundestag hierfür einen Entwurf vorgelegt (BGSG-neu in BTDrs. 18/11325), zu dem der Bundesrat in BRDrs. 110/17 Stellung genommen hat.
Hatte die DSGVO sich noch um einen Ausgleich zwischen Forschung und Datenschutz bemüht, so ergreifen nunmehr Bundesregierung und Bundesrat einseitig Partei für die Forschung und beschneiden Selbstbestimmung und Transparenz für die davon Betroffenen in unerträglichem Maße. Dabei gehen sie über den durch die EU eingeräumten Spielraum hinaus. Die Richtschnur hatten die Bundeskanzlerin und der Bundeswirtschaftsminister auf dem Nationalen IT-Gipfel am 17. November 2016 vorgegeben, als sie davor warnten, dass es in der DSGVO Rechtsbegriffe gebe, „bei denen wir aufpassen müssen, dass wir sie nicht so restriktiv auslegen, dass ein Big-Data-Management dann nicht möglich sein wird“. Sie forderten eine Wende zur „Datensouveränität“, die nicht mehr zur Maxime erkläre, Daten zu minimieren. Fragt sich nur, wer der Souverän sein soll, sicher nicht der betroffene Bürger.
Die Bundesregierung will z.B. in § 27 Abs. 1 BDSG-neu von einer Einwilligung schon dann absehen, wenn die Interessen der Forschung an der Verarbeitung der Gesundheitsdaten die Interessen der Betroffenen erheblich überwiegen. Der Bundesrat will in Übereinstimmung mit der Pharmaindustrie (Stellungnahme der vfa vom 6. März 2017) sogar das Wort „erheblich“ gestrichen sehen. Das Auskunftsrecht soll nach § 27 Abs. 2 S.2 bereits wegfallen, wenn es einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde.
Der Bundesrat hat Wissenschaft und Forschung als Fundament für Innovation und Wohlstand wie für Freiheit und Nachhaltigkeit bezeichnet. Es müssten möglichst weitgehend die besonderen Interessen an einem freien und handhabbaren Zugang zu Daten berücksichtigt werden. Die Interessen (nicht die Grundrechte!) der Betroffenen sollen immerhin gewahrt werden. Es wird aber ein „ermöglichender“ Datenschutz empfohlen. Bedenkt man, dass bereits im Erwägungsgrund 159 zur DSGVO empfohlen wird, sie forschungsfreundlich auszulegen und dass dies auch für privat finanzierte Forschung gelten soll, kann man einschätzen, dass dies der Biotech- und der Pharmaindustrie zugute kommen wird, die bekanntlich einen Großteil der medizinischen Forschung finanzieren, und dies nicht zuletzt im eigenen Interesse.
Das EU-Parlament und der federführende Abgeordnete Jan-Philipp Albrecht von den Grünen haben viel Lob dafür geerntet, dass sie bei der DSGVO der übermächtigen Lobby der Wirtschaftsinteressen standgehalten haben. Für die Forschungsregelungen kann man dies schon jetzt nur eingeschränkt bestätigen. Das deutsche Gesetz, BDSG-neu, wird, so ist zu befürchten, die Regelungen so forschungsfreundlich und grundrechtsfeindlich gestalten, wie die Forschungs-Lobby aus der Industrie es sich nur wünschen kann.