Nein! Wir wollen keine Endzeitstimmung heraufbeschwören, die gewöhnlich nur lähmend wirkt und hierzulande noch behaglich genossen werden kann. Wir halten es dagegen mit Walter Benjamin: „Dass es ‚so weiter‘ geht, ist die Katastrophe.“ Und danach sieht es wohl aus nach dem desaströsen Klimapaket der großkoalitionären Bundesregierung: die „Menschheitsaufgabe Klimaschutz“ (Bundeskanzlerin Angela Merkel) wurde kleingearbeitet zugunsten kapitalmächtiger Industrien und automobilem Wählerklientel. Darin, dass das kleinmütige Maßnahmenbündel des Klimakabinetts weit davon entfernt ist, die im Pariser Abkommen (2015) völkerrechtlich verbindlich vereinbarten Klimaziele zu erreichen, nämlich die Begrenzung der Erderwärmung auf unter 2 °C, möglichst 1,5 °C, sind sich Klimawissenschaft und Klimagerechtigkeitsbewegung einig. Wie aber soll es nun weiter gehen mit der anstehenden und in aller Munde zerkauten „sozialökologischen Transformation“ dieser Gesellschaft, nachdem am 20. September allein in Deutschland über eine Million überwiegend Jugendliche und junge Erwachsene (Fridays for Future) für mehr Klimaschutz auf die Straßen gegangen sind? Weiter wie bisher?
Die Klimakrise hat eine globale Klassendimension
Bereits heute wirkt sich der menschengemachte Klimawandel verheerend auf die Überlebensbedingungen von Millionen von Menschen vor allem in den armen Ländern des Globalen Südens aus. Der überwiegende Teil von ihnen verfügt nicht über die notwendigen Ressourcen, um sich an die Klimaveränderungen und die damit einhergehenden dramatischen ökologischen und sozialen Folgen anzupassen oder um deren Schäden irgendwie zu beheben. Das bedeutet: Von den Auswirkungen des Klimawandels werden vor allem jene Bevölkerungsgruppen in ihrer nackten Existenz betroffen, die bislang am wenigsten zur Erderwärmung beigetragen haben. Bittere Armut und Ungleichheit, die dauernden Begleiterscheinungen kapitalistischer Weltvergesellschaftung, nehmen infolge der Klimakrise extreme Ausmaße an. Selbst Außenminister Heiko Maas warnte im September auf der UN-Generaldebatte in New York, die Kriege der Zukunft werden Klimakriege sein.
Es dürfte heute einsichtig sein, dass dabei, wie in den wohlhabenden Staaten Güter global hergestellt und verteilt werden, systematisch auf billige Arbeitskraft und Natur weltweit – vor allem aus dem globalen Süden – ausbeuterisch zurückgegriffen wird. Die Produktion der allgegenwärtigen Smartphones mag hier ohne weitere Erläuterungen als Beispiel herhalten. Die immense Ressourcen verschlingende und Umwelt belastende Produktions- und Lebensweise der kapitalistischen Gesellschaften trägt wesentlich zu den CO2-Emissionen und damit zur weiteren Verschärfung der Klimakrise bei. Ulrich Brand und Markus Wissen haben sie als „imperiale Lebensweise“ bezeichnet, in die wir durch unsere konsumintensiven Alltagsroutinen tief verstrickt sind und die politisch institutionell und militärisch abgesichert wird. Davon profitieren selbst noch die ärmeren Bevölkerungsschichten in den nördlichen Wohlstandsgesellschaften. Wer wird wohl über die knapper werdenden Ressourcen dieser Erde zukünftig verfügen? Es spricht in diesem Kontext vielleicht für sich, dass die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein Ressort mit dem Titel „Protecting our European way of Life” (Schutz der europäischen Lebensweise) einzurichten beabsichtigt, das u.a. für die Koordination der europäischen Migrations- und Asylpolitik zuständig sein wird, die sich bekanntlich nicht durch einen menschenrechtsgemäßen Schutz der Menschen auf der Flucht vor den klimabedingten Verwüstungen und Kriegen ausgezeichnet hat.
Optimismus oppositioneller Praxis
Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg hielt, emotional aufgewühlt und wütend, vor zahlreichen Staats- und Regierungschefs auf dem UN-Klimagipfel am 23. September eine bewegende und eindrückliche Rede: „Menschen leiden. Menschen sterben. Wir befinden uns im Anfang eines Massenaussterbens, und alles, woran ihr denken könnt, sind Geld und Märchen von ewigem Wachstum. Wie könnt ihr es wagen!“ Und sie fährt anklagend fort, wie man nur so tun könne, als ob man der Klimakrise mit ein paar technischen Lösungen beikommen und ansonsten so weitermachen könne wie bisher.[1]
“The world is waking up. And change is coming, whether you like it or not.” (Die Welt wacht auf. Und die Veränderung wird kommen, ob es dir gefällt oder nicht.) Greta Thunberg
Tage zuvor (und danach) waren weltweit Millionen von Menschen auf den Straßen, um sich am globalen Klimastreik zu beteiligen, mit dem die jeweils politisch verantwortlichen Regierungen zu mehr klimapolitische Anstrengungen bewegt werden sollten. Ihr Versagen ist jedoch eklatant. Weltweit sind im Jahr 2018 die CO2-Emissionen wieder angestiegen – um 2,7%. Es hat nicht den Anschein, als ob die junge Klimabewegung, die auf schon viele Jahre agierende Bewegungen aufbaut, so schnell von ihrem Protest abließe. Mit vielfältigen Aktionen stört sie den eingefahrenen politischen Betrieb des Weiter-wie-bisher. Dieser reagiert noch irritiert, vereinnahmend lobend oder herablassend reaktionär. Man mag die hohe Emotionalität der jungen Menschen angesichts der absehbaren Klimakatastrophe altersweise belächeln, aber in Verbindung mit dem exzellenten Wissen der Akteure über Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels entsteht eine unterschiedlich praktisch orientierte Bewegung, die bislang eine rasante politische Dynamik zu entfachen vermochte – selbst die CSU schminkt sich inzwischen grün. Mancher Kommentator will in ihr schon eine neue außerparlamentarische Opposition in der BRD erkennen. Vielleicht. Eine sozial gerechte und ökologische Wende wird wohl nur gegen die globale Kapitalherrschaft und ihre stützende Politik erkämpft werden können. Die Klimagerechtigkeitsbewegung, die ein auskömmliches Leben für alle Menschen auf diesem Planeten – ohne Ausbeutung von Mensch und Natur – anstrebt, macht neuen Mut. Komiteelich sind wir dabei: Bleib erschütterbar – und widersteh.
1 Die ganze Rede ist zu finden unter: www.theguardian.com/commentisfree/2019/sep/23/world-leaders-generation-climate-breakdown-greta-thunberg