Das Kirchenasyl aktuell steht im Zuge der repressiven staatlichen Abschiebepolitik vermehrt unter Druck, insbesondere wenn Kirchengemeinden Geflüchtete im Dublin-Verfahren beherbergen. Denn seit August 2018 gilt für sogenannte Dublin-Abschiebungen – Abschiebungen in einen anderen EU-Mitgliedsstaat nach der Dublin III-Verordnung – eine verlängerte Überstellungsfrist von bisher sechs auf 18 Monate. Danach ist Deutschland wieder für das Asylverfahren zuständig, und die Behörden dürfen nicht mehr in ein anderes EU-Land abschieben.
Die in den Kirchengemeinden Schutzsuchenden werden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) jetzt quasi regelhaft als „untergetaucht“ betrachtet und die Frist auf 18 Monate ausgedehnt, obwohl ihm die Adresse der Untergebrachten in der Kirche nach wie vor offiziell mitgeteilt wird. Durch die Verschärfung wird die Durchführung von Kirchenasylen für Gemeinden extrem erschwert bis praktisch verunmöglicht. Diverse Gerichtsurteile bestätigen allerdings inzwischen, dass Menschen im Kirchenasyl auch weiterhin nicht als „untergetaucht“ verstanden werden können.
Auch erfahren Kirchenasylgemeinden steigende Kriminalisierung und Einschüchterung: In der letzten Zeit kam es mehrfach zu Hausdurchsuchungen und Erstürmungen von Kirchenräumen. Die Ausländerbehörde hat Anfang des Jahres sogar einen jungen Mann aus Afghanistan aus dem Kirchenasyl der Evangelisch Freikirchlichen Gemeinde Gelsenkirchen-Buer geholt
und anschließend über den Flughafen Frankfurt abgeschoben. Ein Tabu-Bruch, denn es ist die erste gewaltsame Auflösung eines Kirchenasyls in NRW seit 2016. Seit 1995 galt durch die Zusicherung der NRW-Landesregierungen, Kirchenasyle zu respektieren und nicht seitens der Behörden zu brechen.
Im Zuge der verschärften Abschiebepolitik gründen sich derzeit neben dem Kirchenasyl bundesweit immer mehr Initiativen, die dem wachsenden Bedarf an vorübergehenden Schutz vor Abschiebungen praktisch begegnen wollen: Die Bürger*innen-Asyle. Anlass sind die Ende 2016 einsetzenden Abschiebungen in das Kriegsgebiet Afghanistan sowie die verschärfte deutsche Abschiebepolitik, die zu einem Anstieg von Abschiebungen führt, die zudem oft übereilt und häufig nicht rechtmäßig sind. Das Bürger*innen-Asyl kann Zeit für die Erwirkung eines legalen Aufenthaltstitels bieten und helfen, die Überstellungsfrist bei Dublin-Abschiebungen zu überbrücken, um das Asylverfahren in Deutschland abschließen zu können.
Wohnungen auf, Abschiebungen verhindern!
ist das Motto des Bürger*innen-Asyls. Selbstorganisierter Schutz vor Abschiebungen ist so alt wie Abschiebungen selbst: Freund*innen und Familien bieten akut von Abschiebung betroffenen Menschen seit jeher vorübergehenden Unterschlupf. Das Bürger*innen-Asyl geht darüber hinaus, denn die Initiativen propagieren ihr Ziel öff entlich. Solidarische Menschen bekennen sich mit ihrem Namen zu dem zivilgesellschaftlichen Schutzkonzept, um dem Diskurs der Abschiebemaschinerie öffentlich zu widersprechen. Zugleich setzt das Bürger*innen-Asyl auf die breite Beteiligung einer solidarischen Gesellschaft: Denn jeder und jede kann mitmachen und einen eigenen kleinen Beitrag gegen Abschiebungen leisten: sich öffentlich mit Namen und Unterschrift für das Bürger*innen-Asyl einsetzen, finanzielle Unterstützung leisten oder praktische Tätigkeiten anbieten, wie die Begleitung bei Arzt- und Ämtergängen bis hin zum Bereitstellen eines vorübergehenden Unterschlupfes.
Den gesamten Bedarf an Schutz vor Abschiebungen kann auch ein Bürger*innen-Asyl nicht auffangen, es bleibt eine symbolische, zivil ungehorsame Aktion. Doch sehen die Initiativen ihre
Arbeit trotzdem positiv: Menschen, die die unmenschliche Migrationspolitik der Bundesregierung ablehnen, können als Teil des Bürger*innen-Asyls ihre Überzeugung praktisch werden lassen. Genauso wenig wie das Kirchenasyl ist das Bürger*innen-Asyl gesetzlich anerkannt: Das Kirchenasyl hat sich über die Jahre jedoch ein Gewohnheitsrecht ausgehandelt, das bedeutet, Asyle in Kirchenräumen werden von Polizei und Innenministerien gewöhnlich geachtet.
Das Bürger*innen-Asyl steht diesbezüglich noch ganz am Anfang. Die Initiativen hoffen darauf, eines Tages ebenfalls toleriert zu werden und die vorübergehende private Bleibe als offizielle Adresse der Schutzsuchenden anerkannt zu bekommen.
Wir haben als Grundrechtekomitee seit der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl 1993 immer wieder gegen menschenunwürdige Abschiebepraxis protestiert und sind
mit Mitteln des Zivilen Ungehorsams gegen Abschiebehaft und gegen Lagerunterbringung vorgegangen. Wir haben Menschen ermutigt, sich der menschenverachtenden Politik aktiv zu widersetzen: „Wir wollen nicht stumme Mittäter und Mittäterinnen sein“ hieß es bereits im Zuge der symbolischen Entzäunung des Abschiebegefängnisses in Worms im Jahre 1994. Diese Losung gilt für uns bis heute. Wir halten aus dieser menschenrechtlich begründeten Überzeugung die Unterstützung von Abschiebungen betroffenen Personen und den Widerstand gegen Abschiebungen – heute etwa mithilfe des Bürger*innen-Asyls – für legitim und notwendig und sind solidarisch mit all denjenigen, die sich aktiv gegen Abschiebungen stark machen.
Kontakt zu den Initiativen und Informationen zum Bürger*innen-Asyl findet sich hier