Wie war das, als Du 1998 die Stelle beim Grundrechtekomitee angetreten hast? Was waren die Themen, mit denen das Komitee befasst war?
Ich hatte das große Glück mit Martin Singe und Elke Steven zwei Kolleg* innen zu haben, die mir Zeit ließen, mich mit den Themen und den Arbeitsweisen des Komitees vertraut zu machen. Als ich anfing, konnte ich an der Broschüre „Deutschland – fünf Jahre ohne das Menschenrecht auf Asyl“ redaktionell mitarbeiten. Ich war sehr beeindruckt von der menschenrechtlichen Radikalität, mit der das Komitee in dieser Sache die Freiheit und Gleichheit aller Menschen verteidigte – auch gegen das Bundesverfassungsgericht, das die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl verfassungsrechtlich adelte. Diese Abschaffung markierte eine tiefgreifende Zäsur, die die gesellschaftlichen Produktionsbedingungen von Rassismus und Gewalt wässerte, die uns bis heute beschäftigen. Ein Jahr später beteiligte sich die BRD im Kosovo erstmals nach Kriegsende aktiv an einem Militäreinsatz. Ohne UN-Mandat. Opportunistisch haben damals Teile der Linken den Kosovo-Krieg zum Vorgriff auf eine menschenrechtsorientierte Weltgesellschaft umgedeutet. Für das Grundrechtekomitee stand dagegen von vorneherein fest: Kriegerische Gewalt und Menschenrechte gehen nicht zusammen. Gewaltfreiheit ist ein wesentliches Element unseres Menschenrechtsverständnisses. Deshalb haben wir die Soldat*innen zur Befehlsverweigerung aufgerufen. In diesen ersten Jahren konnte ich also an zwei Schwerpunkten des Komitees mitwirken. Und auch in den folgenden zwanzig Jahren hat die Tätigkeit in der Geschäftsstelle und die Zusammenarbeit mit vielen außergewöhnlichen Mitstreiter*innen meine politische Sozialisation geprägt. Dafür bin ich dankbar.
Die Grundgesetzänderung von 1993 war eine Zäsur, wie Du sagst. Asyl- und Ausländerrecht sind seither immer weiter verschärft worden. Wie würdest du die Entwicklung skizzieren?
Der Gesetzgeber entledigte sich 1993 eines Grundrechts, das in noch zeitlich naher Erinnerung an die Millionen Verfolgten während der nationalsozialistischen Herrschaft geschaffen worden war. Das Grundrechtekomitee hat damals über Monate gegen die Abschaffung dieses Grundrechts mobilisiert und zur gewaltfreien Bundestagsblockade mitaufgerufen, an der über 10.000 Menschen teilnahmen. Da bin ich zum ersten Mal auf das Komitee aufmerksam geworden. Wir haben in der Zeit meiner Tätigkeit in der Geschäftsstelle unzählige Erklärungen und Artikel zum Thema Asyl veröffentlicht, Tagungen organisiert und zu Aktionen aufgerufen. Zuletzt haben wir anlässlich des 70. Jahrestags des Grundgesetzes zusammen mit Medico international die Petition für ein „Bleiberecht statt Ausgrenzung und Illegalität“ lanciert. Die zentrale Norm „politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ (Art. 16a Abs. 1 GG) wird zur Ausnahme. Aus dem Flüchtling als Rechtssubjekt wurde ein Objekt staatlicher Flüchtlingsverwaltung mit weitreichenden Folgen und humanenKosten. Diese Haltung der Menschenverwaltung setzt sich in der europäischen Migrationspolitik fort. Da geht es um Kontrolle und Steuerung der Migration, Grenzüberwachung und zunehmend um exterritoriale Lager. Die daraus erwachsene Inhumanität geht heute so weit, dass zivilgesellschaftlich organisierte Seenotrettung politisch unterbunden wird und man Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt. Das ist die europäische Normalisierung tödlicher Ausgrenzung.
Gegen diese Ausgrenzung und Abschottung hat es aber immer wieder Proteste und Widerstände gegeben.
Ja, und das Grundrechtekomitee hält die klaffende Wunde Menschenrechte mit all den vielen anderen Initiativen offen: Menschen bedürfen generell des Rechts auf einen Ort, an dem sie das politische, soziale und kulturelle Leben mitbestimmen können, an dem sie sich gemäß ihren individuellen Fähigkeiten und ihren grundlegenden Bedürfnissen entfalten können. So ähnlich hat es unser verstorbener Freund Wolf-Dieter Narr einst formuliert. Darum ist es so entscheidend, für ein Menschenrecht auf globale Bewegungsfreiheit zu streiten. Die eigensinnigen Migrationsbewegungen nehmen dieses Recht bereits in Anspruch. Wir dürfen uns nicht an die Inhumanität gewöhnen. Wir müssen auch in Deutschland alle Lager und alle Arreste abschaffen, denn wer Menschen in Lager steckt, erniedrigt sie, kappt ihre Chancen, menschlich zu leben. So haben wir es in unserer Anti-Lager-Kampagne formuliert. Um Bedingungen einer humanen Gesellschaft herzustellen, brauchen wir einen langen Atem. Die utopische Erzählung einer radikalen, menschenrechtlichen Demokratie, einer libertär kommunistischen Gesellschaft liegt längst vor. Wir dürfen uns nur nicht Bange machen lassen. Im vierzigsten Jahr des Grundrechtekomitees bin ich zuversichtlich.
Lieber Dirk, ganz herzlichen Dank für Dein Engagement und Deine Freundschaft!
Das Interview führte Heiner Busch