Annegret Kramp-Karrenbauers neueste Idee zur Behebung des Nachwuchsmangels bei der Bundeswehr ist skandalös. Es wird ein sogenannter „freiwilliger Wehrdienst im Heimatschutz“ eingerichtet. Das hehre Motto: „Dein Jahr für Deutschland“. Es geht um ein neues Rekrutierungsformat, mit dem schon 17-jährige Jugendliche für die Bundeswehr angeworben werden sollen. Die Bewerbungsfrist hat bereits begonnen, im April 2021 werden die ersten Freiwilligen zum „Heimatschutz“ einrücken. Insgesamt sollen 1.000 Stellen besetzt werden. Von den bisher 1.800 Interessent*innen sind rund 340 minderjährig (Stand 1.9.2020).
Das Modell ist geschickt aufgezogen und attraktiv. Die Freiwilligen leisten ein Jahr Wehrdienst, davon 7 Monate in einer kompakten Grundausbildung einschließlich Schießausbildung, dann die weiteren 5 Monate in Abschnitten in Anbindung an die schon vor Jahren neu gegründeten regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanien. Nach der Neukonzeption der Reserve im Jahr 2012 wurden 30 solcher regionaler Kompanien flächendeckend im Bundesgebiet aufgestellt.
Der Verdienst für eine/n 17/18-Jährige/n „Heimatschutz-Freiwilligen“ ist enorm hoch, er beträgt 1.500 Euro monatlich in den ersten 7 Monaten, die restlichen 5 Monate werden so bezahlt, dass man hochgerechnet für das ganze Dienstjahr auf 2.600 Euro pro Monat kommt. Im Gegensatz dazu erhalten die klassischen Freiwilligendienstleistenden in den Wohlfahrtsverbänden oder die Bundesfreiwilligendienstleistenden gerade mal rund 350 - 400 Euro Taschengeld im Monat. Damit untergräbt der neue Heimatschutzdienst allein schon durch die Entlohnung die traditionellen Dienste, durch die im zivilen Bereich gesellschaftlich sinnvolle Arbeit verrichtet wird und die für die Jugendlichen in der Regel eine lebensbereichernde Lernerfahrung bedeuten.
Das Grundrechtekomitee hatte schon vor einigen Jahren öffentlich und in Korrespondenz mit dem Verteidigungsministerium kritisiert, dass die Bundeswehr mit der Rekrutierung Minderjähriger gegen die UN-Konvention für die Rechte der Kinder verstößt. Dies hat auch der UN-Ausschuss für Kinderrechte kritisiert und die Bundesregierung mehrfach dazu aufgefordert, keine Jugendlichen unter 18 Jahren (nach UN-Recht Kinder) in die Bundeswehr einzuziehen und auch keine spezielle Bewerbung von Kindern und Jugendlichen zu veranstalten. Die Bundesregierung ignoriert diese Kritik beständig.
Das Bündnis „Unter 18 Nie – Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“, bestehend aus elf Organisationen aus den Bereichen Kinderrechte, Friedensarbeit, Gewerkschaften und Kirchen, kritisiert den neuen Heimatschutz-Dienst scharf, wie schon zuvor die zunehmende Rekrutierung von Unter-18-Jährigen für den normalen freiwilligen Wehrdienst. Durch die Rekrutierung Minderjähriger sollen die Jugendlichen frühzeitig an die Bundeswehr herangeführt werden, um dem Nachwuchsmangel zu begegnen. Man hofft, dass etliche davon später als Berufssoldaten bei der Bundeswehr bleiben werden.
Mit dem Begriff „Heimatschutz“ wird zudem suggeriert, es handele sich gar nicht um einen echten Militärdienst, sondern um Umsetzung ziviler Aufgaben, die sonst zivile Dienste leisten. Hochwasserbekämpfung und jetzt Corona-Einsätze dienen der Aufpolierung des Images der Bundeswehr als vermeintlich bürgernaher Hilfseinrichtung. Ähnlich wie in den USA, wo dem „Heimatschutz“ (Homeland Security) vor allem Bedeutung hinsichtlich der Migrationskontrolle und der Grenzsicherung (Mexiko) zukommt, wurde die Zielsetzung „Flüchtlingsabwehr“ auch für die Bundeswehr in den letzten Jahren stark ausgeweitet.
Der Begriff „Heimatschutz“ hat außerdem gerade auf rechtsgerichtete Jugendliche eine besondere Anziehungskraft. Es ist ein Begriff, der von Rechts besetzt ist, man denke nur an den „Thüringer Heimatschutz“, aus dem die Mörderbande des NSU hervorgegangen ist. Die Bundeswehr hat schon hinreichend mit extrem rechten Tendenzen zu kämpfen, wie es zuletzt u.a. die Enthüllungen um das Kommando Spezialkräfte gezeigt haben. Die Namensgebung mutet in diesem Zusammenhang geradezu absurd an.
Verschleiert wird zugleich, dass schon die Einführung der regionalen Streitkräftebasis-Einheiten, denen die neuen Freiwilligen zugeordnet werden, der Militarisierung im Inneren diente und die potentiellen Möglichkeiten für Einsätze der Bundeswehr im Inneren ausdehnt. Erinnert sei an die „Unterstützungsleistungen“ der Bundeswehr z.B. bei dem G8-Gipfel in Heiligendamm bis hin zum Einsatz von Spähpanzern und Aufklärungstornados, alles im Rahmen der „Amtshilfe“ - versteht sich. Also scheinbar grundgesetzkonform, obwohl das Grundgesetz den Einsatz der Bundeswehr im Inneren (noch) verbietet.
Jugendliche können bei ihren Einwohnermeldeämtern rechtzeitig eine Verweigerung ihrer Datenweitergabe an die Bundeswehr einreichen. Material dazu gibt es bei der Kampagne „Unter 18 nie“, die es zu unterstützen gilt. Jugendliche sollten durch die Friedensbewegung über die mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr verfolgten Ziele (u.a. Sicherung von Rohstoffen und Handelswegen, siehe Weißbuch 2016), über die Militarisierung im Inneren sowie über die Folgen von Kriegseinsätzen aufgeklärt werden.
Politisch ist die Abschaffung des neuen Bundeswehr-Freiwilligendienstes im Heimatschutz zu fordern sowie eine Aufwertung der echten Freiwilligendienste. Rekrutierungen von Jugendlichen unter 18 Jahren müssen vollständig unterbleiben.