Die Ersatzfreiheitsstrafe trifft Personen, gegen die eine Geldstrafe verhängt wurde, die nicht beglichen wird. Der Koalitionsvertrag der Ampelregierung kündigte bereits an, das Sanktionssystem einschließlich der Ersatzfreiheitsstrafen mit dem Ziel von Prävention und Resozialisierung zu überarbeiten. Im Juli legte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) nun einen enttäuschenden Gesetzentwurf vor.
Er reduziert im Wesentlichen lediglich die Dauer des Freiheitsentzugs um die Hälfte. Da das Gesetz nach seiner Verabschiedung die Strafpraxis für Jahre festschreiben wird, haben wir im „Bündnis gegen die Ersatzfreiheitsstrafe“ mit der Forderung „Keine halben Sachen!“ gegen den Entwurf interveniert.
Deutschland brüstet sich damit, statt Freiheitsstrafen vornehmlich Geldstrafen zu verhängen (86 Prozent der Verurteilungen). Doch jährlich werden in Deutschland rund 56.000 Ersatzfreiheitsstrafen vollstreckt, Tendenz steigend. Die Sanktionsform bestraft klassische Armutsdelikte: Rund ein Viertel der Verurteilten sitzen für Fahren ohne Ticket in Haft, ein weiteres Drittel wegen kleinerer Eigentumsdelikte wie Ladendiebstahl, seltener sind es Sachbeschädigungen und Körperverletzungen.
Allein in Niedersachsen werden rund 450 Haftplätze regelmäßig durch die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen belegt. Die Abschaffung dieser diskriminierenden Strafform würde demzufolge hunderte Haftplätze überflüssig machen.
Der Gesetzentwurf will nun die Ersatzfreiheitsstrafe reduzieren: Statt dem bisherigen 1:1 Umrechnungsmaßstab von Geld- in Ersatzfreiheitsstrafe sollen zukünftig zwei Tagessätze einem Tag Freiheitsentzug entsprechen. Als Argument für die Beibehaltung der Ersatzfreiheitsstrafe wird regelmäßig angeführt, sie allein stelle die Bezahlung der Geldstrafe sicher.
Doch dies ist unzutreffend, denn selbst selbst nach der Inhaftierung schafft es nur etwa ein Viertel, den geforderten Geldbetrag zu begleichen. Die Verurteilten sind überwiegend arbeitslos, beziehen Sozialleistungen, sind teils hoch verschuldet und haben oft gesundheitliche und psychische Probleme, wie der Gesetzentwurf selbst einräumt. Laut einer Erhebung in NRW im Jahre 2000 verfügten rund ein Drittel der Inhaftierten über keine eigene Wohnung.
Die Delikte werden zumeist weder in einer Anhörung noch einem Prozess verhandelt. Die zu einer Geldstrafe verurteilte Person erhält oft lediglich einen Strafbefehl per Post. Ohne fristgerechten Widerspruch wird der Strafbefehl rechtskräftig. Eine mögliche Schuldunfähigkeit wird genauso wenig geprüft wie die wirtschaftlichen Verhältnisse.
Der Tagessatz orientiert sich am täglichen Nettoeinkommen. So erhalten Personen ohne Einkommen gewöhnlich eine Geldstrafe von im Schnitt 30 bis 60 Tagessätzen: ein Betrag, der nicht zahlbar ist, wenn man nichts hat.
STRAFE UM JEDEN PREIS
Trotz umfangreicher Datenlage wird Zahlungsunfähigkeit als Ursache für die hohe Zahl der Ersatzfreiheitsstrafen politisch verneint, sondern behauptet, Betroffene würden einfach „nicht zahlen wollen“. Und selbst bei Mittellosigkeit mag man auf Sanktionen nicht verzichten: Die zuständige Bund-Länder-Arbeitsgruppe argumentiert, dass ein „Strafverzicht bei Zahlungsunfähigkeit sich nicht rechtfertigen ließe, da Mittellose damit ungerechtfertigt privilegiert würden“.
Dies ignoriert die privilegierte Stellung von Menschen mit finanziellen Ressourcen. Mit sozialem und finanziellem Kapital ausgestattet und mit Zugang zu anwaltlicher Vertretung sind sie weniger dem Risiko von Freiheitsstrafen ausgesetzt.
Zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen soll die Beratung durch freie Träger gesteigert werden. Sie sollen mit zu Geldstrafen Verurteilten Ratenzahlungen vereinbaren, da viele Verurteilte allein oft nicht dazu in der Lage sind.
Der Gesetzentwurf schweigt damit zur angekündigten Prävention. Es ist zynisch, Menschen, die nichts haben, zu beraten, wie sie eine Geldstrafe mit nicht vorhandenen finanziellen Mitteln abbezahlen sollen.
Wirkliche Prävention beginnt im Vorfeld: Armut wirksam bekämpfen und die Delikte entkriminalisieren, die Ersatzfreiheitsstrafen nach sich ziehen, wie etwa das Fahren ohne Ticket oder Drogendelikte. Als Alternative zum Freiheitsentzug wird gemeinnützige Arbeit erwogen.
Arbeitseinsätze führen aber nicht zu einem Rückgang der Ersatzfreiheitsstrafen, wie Studien zeigen. Strafe dient folglich zur Disziplinierung der verarmten Bevölkerung. Die Beibehaltung der Ersatzfreiheitsstrafe verfestigt und intensiviert allein die soziale Ungleichheit.
Der aktuelle Anstieg der Lebenskosten wird den Kreis der von Ersatzfreiheitsstrafen Betroffenen nur vergrößern.
Weitere Infos auf www.ersatzfreiheitsstrafe.de