OFFENER BRIEF an: Herrn Ludger Volmer, St aatsminister im Auswärtigen Amt von: Volker Böge, Theo Christiansen, Andreas Buro, Martin Singe Ludger Volmer - grüner Staatssekretär im Auswärtigen Amt - will der Friedensbewegung ein bisschen Bellizismus verordnen. Einem solchen Belli-Pazifismus muß jedoch entschieden widersprochen werden. Volmers Text war auf der Dokumentationsseite der Frankfurter Rundschau vom 7.1.2002 veröffentlicht. Wir richten unsere Gegen-Argumentation in Form eines Offenen Briefes an Ludger Volmer. Da uns Ludger Volmer aus früheren Zeiten als Mitstreiter der Friedensbewegung noch gut bekanntist, haben wir diese Veröffentlichung im persönlichen Stil des Briefes belassen.
Lieber Ludger Volmer, im folgenden möchten wir zu Deinem Artikel in der FR vom 7.1.2002 (Was bleibt vom Pazifismus) Stellung nehmen.
Du legst in diesem Text recht ausführlich Deine Sicht der jüngeren Geschichte des Pazifismus in Deutschland dar, wobei das zu dem Zweck geschieht, die aktuelle und für die Zukunft geplante Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik der rot-grünen Regierung zu erläutern und gegenüber einer politischen Strömung in der Gesellschaft zu rechtfertigen, die Du "politischen Pazifismus" nennst.
Die von Dir mit einigem Aufwand betriebene Differenzierung diverser Typen (eine flüchtige Zählung ergibt ein knappesDutzend) von "Pazifismus" zielt - bewußt oder unbewußt - am Problem vorbei. Geht es doch vielmehr sehr viel konkreter um die militärischen Einsätze deutscher Streitkräfte in jüngster Vergangenheit, um deren politische Bewertung und politische Einordnung. Du hältst sie für politisch - und auch moralisch - gerechtfertigt, ja geboten und meinst, dass auch künftig solche Einsätze notwendig sein werden und dass sich "Pazifisten" bitte dieser Notwendigkeit nicht verschließen mögen. Genau diese Argumentation gilt es, auf ihre Plausibilität zu überprüfen.
Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Deine Argumente reichen nicht hin; ein von Dir so apostrophierter "politischer Pazifismus" hat alle Gründe für sich, die Einsätze, umdie es geht, abzulehnen und für die Zukunft gegen Einsätze, die mit ähnlichen Argumentationen begründet werden, einzutreten.
KEINE ALTERNATIVEN ZUM KRIEG?
Eine Deiner zentralen Argumentationsfiguren ist das Postulat der Alternativlosigkeit: Sowohl zum Krieg gegen Jugoslawien als auch zum Krieg gegen Afghanistan habe es keine Alternative gegeben. Ein weiteres Mal spielst Du im Kontext dieser Argumentation - wie bei rot-grün mittlerweile üblich - die beiden Elemente des Postulats "Nie wieder Krieg, Nie wieder Auschwitz" gegeneinander aus. Du schreibst: "Wer den Antimilitarismus retten wollte, musste das faschistische und völkermörderische Treiben gegen die Kosovo-Albaner hinnehmen. Wer ethnische Säuberungen als Konsequenz aus der faschistischen Vergangenheit verhindern wollte, musste Ja sagen zu einem bedingten Militäreinsatz". Damit schreibst Du KriegsgegnerInnen einerseits, KriegsbefürworterInnen andererseits je spezifische Motive zu, die sie so nicht hatten. Mit Blick auf die Kriegsgegner ist es unangemessen, ihnen zu unterstellen, sie wollten mit ihrer Kriegsgegnerschaft den "Antimilitarismus" - also eine abstrakte politische Idee, einen leblosen "-ismus" retten; denen sei esmithin nur um Prinzipienreiterei gegangen - bei Hinnahme von "Faschismus" und "Völkermord".
Nein. Den KriegsgegnerInnen ging es zuallererst um die Rettung von Menschenleben und um eine politische Lösung der Konflikte; und weil sie befürchteten, dass der Einsatz von Militär - wie alle historische Erfahrung zeigt - eher Menschenleben kostet und keine politische Lösungen bewirkt, stellten sie sich gegen diesen Krieg, zumal die politischen Handlungsräume zur Bearbeitung des Konflikts noch lange nicht ausgeschöpft waren, eine völkerrechts- und verfassungsmäßige Legitimation des Krieges nicht gegeben war und mit ihm aus ihrer Sicht ganz andere als die vorgeblichen "humanitären" Beweggründe und Ziele verbunden waren.
Den Kriegsbefürwortern andererseits gestehst Du zu, dass sie "faschistisches und völkermörderisches Treiben" nicht hinnehmen und "ethnische Säuberungen als Konsequenz aus der faschistischen Vergangenheit verhindern wollten". Statt konkreter Analyse der Situation lieferst Du damit Reizworte und instrumentalisierst die deutsche Nazi-Vergangenheit zur Legitimation der Kriegsbeteiligung. Das ist ebenfalls unangemessen. Bei allem Schrecklichen, was seinerzeit im Kosovo passiert ist: um "Faschismus" (und zwar einen - wie Du selbst mit Hinweis auf die "faschistische Vergangenheit" suggerierst - dem nazi-deutschen Faschismus "ebenbürtigen") hat es sich ebenso wenig gehandelt wie um "Völkermord". Diese starken Vokabeln dienen in diesem Kontext dazu, den Einsatz allerschwerster Geschütze - also Krieg - zu rechtfertigen (und als Nebeneffekt wird der deutsche Faschismus verharmlost). Nur ein "bedingter Militäreinsatz" habe Abhilfe schaffen können.
Ganz abgesehen davon, dass das Wörtchen "bedingt" dazu herhalten muss, einen ausgewachsenen Krieg, der Tausenden von ZivilistInnen das Leben gekostet hat, der die zivile Infrastruktur eines Landes zertrümmert hat, der umfassende bleibende Umweltzerstörungen verursacht hat und in dem zahlreiche Bestimmungen des humanitären Kriegsvölkerrechts eklatant missachtet worden sind, kleinzureden, hat dieser Militäreinsatz weder die selbst postulierten Ziele erreicht noch stellte er die einzig mögliche Handlungsoption dar: Gerade in Gefolge des Nato-Bombenkrieges kam es zu Massenvertreibungen, und nach Einstellung der Kampfhandlungen mussten Serben, Roma und Juden aus dem Kosovo fliehen:
Heute sind die dem Konflikt zu Grunde liegenden Probleme immer noch weit von einer politischen Lösung entfernt. Alternative politische Optionen wurden nicht verfolgt, und zwar weil den maßgeblichen Handlungsträgern in der Nato der politische Wille dazu fehlte. Jedenfalls gibt der Nato-Krieg gegen Jugoslawien nichts her für Dein zentrales Argument, dass ein auf der Höhe der Zeit befindlicher "politischer Pazifismus" "nicht ganz" - wie Du, abermals verniedlichend, schreibst - auf "militärische Mittel" verzichten kann.Mit dem "nicht ganz" willst Du ja offensichtlich suggerieren, dass der Einsatz militärischer Mittel nur im aller- alleräußersten Ausnahmefall, als "ultima ratio" in Frage komme.
Misslich für Dich nur, dass mit dem Krieg gegen Afghanistan nun schon wieder zur "ultima ratio" gegriffen wurde. Zweimal "ultima ratio" innerhalb einer Legislaturperiode ist ein bisschen viel, oder? Zumal neben die Legitimation von Krieg als "humanitärer Intervention" nach dem Modell Jugoslawien/Kosovo nun die Legitimation von Krieg als "Kampf gegen den Terrorismus" nach dem Modell Afghanistan/Al Qaida tritt. Zwei Ausnahmefälle - oder nicht doch eher Präzedenzfälle, die Schlimmes für die Zukunft ahnen lassen?
AFGHANISTAN: EIN EMANZIPATIVER BEFREIUNGSKRIEG?
Deine Argumentation für den Krieg gegen Afghanistan ist ebensowenig stimmig wie im Falle Jugoslawien - und im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit den KriegsgegnerInnen ebenso unredlich.
Zunächst behauptest Du, der Krieg gegen Afghanistan diene der Befreiung, der Emanzipation und der Verteidigung gegen neue terroristische Angriffe. Jedoch: die Befreiung des afghanischen Volkes von der Taliban-Herrschaft und die Emanzipation der afghanischen Frauen von besonders krassen und abstoßenden Formen patriarchaler Herrschaft waren nicht die primären Motive und Ziele der US-geführten "Allianz gegen den Terror".
Die Unterdrückung des afghanischen Volkes und die Knechtung der afghanischen Frauen währen schon geraume Zeit, ohne dass man sich zum militärischen Eingreifen bemüßigt gesehen hätte. (Nur nebenbei sei angemerkt, dass die Unterdrücker, die Taliban, die Aufrichtung ihrer Herrschaft nicht zuletzt der tatkräftigen Unterstützung von US-Institutionen wie der CIA verdanken und dass sie vor nicht allzu langer Zeit als Staatsgäste in den USA gern gesehen wurden - Zusammenhänge, die Du geflissentlich verschweigst; ebenso wie Du salopp behauptest, "Rohstoffinteressen" seien "nicht bestimmend" für das Vorgehen der Anti-Terror-Allianz, obgleich ebenfalls allgemein bekannt ist, dass Erdöl und Erdgas und entsprechende Pipelines zur politisch-strategischen Bedeutung der Region ganz erheblich beitragen).
Befreiung und Emanzipation sind bestenfalls Nebeneffekte des Krieges - und ob es dazu kommt, ist weiterhin fraglich: "Unsere" Bündnispartner aus der Nordallianz, die mittlerweile die Macht in Afghanistan übernommen haben, sind bisher eher als Taliban-ebenbürtige Schlächter und Menschenrechtsverletzer denn als Vorkämpfer von Frauenemanzipation und Demokratie in Erscheinung getreten.
Ob Frieden, Menschenrechte und Demokratie unter den veränderten politischen Bedingungen in Afghanistan tatsächlich eine Zukunft haben, ist noch lange nicht ausgemacht. Ausgemacht ist aber allemal, dass auch dieser Krieg wieder Tausende von ZivilistInnen zu Opfern der US-Bombenangriffe gemacht hat und ein ohnehin schwer zerstörtes Land noch weiter zerstört hat. Und ausgemacht ist, dass künftig noch viele Kinder auch nach dem Ende der Bombardements Opfer nicht detonierter US-Streubomben werden können. Sind diese Opfer unter Frauen und Kindern den "Kampf gegen den Terror" wert?
Die erklärten Ziele des Krieges waren die Zerschlagung terroristischer Netzwerke wie Al-Qaida und die Ergreifung (oder - folgt man US-Präsident Bush - auch Ermordung) der Hauptverantwortlichen für die terroristischen Anschläge von New York und Washington, nicht die Emanzipation der afghanischen Frauen. Und zur Erreichung dieser Ziele (die bisher nicht erreicht wurden) ist Krieg kein völkerrechtlich illegitimes Mittel.
Zum ersten ist es außerhalb jeder Verhältnismäßigkeit, für die Ergreifung von Verbrechern - und seien ihre Verbrechen auch so schwer wie die Angriffe auf das World Trade Center - den Tod von tausenden unschuldigen Menschen bewußt in Kauf zu nehmen. Die afghanischen Frauen und Kinder tragen genauso viel Verantwortung (nämlich gar keine) für die Terrorangriffe wie die Frauen und Kinder aus Hamburg-Harburg, wo einige der mutmaßlichen Terroristen sich auf die Anschläge vorbereitet haben sollen.
Wird hier - menschenrechtlich völlig inakzeptabel - nicht mit zweierlei Maß gemessen? Afghanen sind weniger wert als New Yorker oder Hamburger - so die implizite Botschaft der US-Bombenangriffe auf Afghanistan. Zum zweiten gilt auch hier ebensowenig wie im Falle Kosovo/Jugoslawien das Argument, es gebe keine Alternative zum Krieg.
Die Wahrheit ist, dass die US-Administration von Anfang an (also keineswegs als "ultima ratio") auf Krieg gesetzt hat. Möglichkeiten, auf politischem Wege die Taliban zu entmachten und Al-Qaida auszuschalten, hätte es durchaus gegeben - auch wenn das vielleicht etwas länger gedauert hätte -, doch der politische Wille hierfür war nicht da. Abgesehen davon: Die Alternative zum Krieg ist in diesem Falle, wo es um Schwerverbrechen und Verbrecher geht, die Verbrechensbekämpfung mit polizeilichen Mitteln und die Strafverfolgung der Täter, die vor ein ordentliches Gericht zu stellen und von einem solchen zu bestrafen sind.
Genau so wurde mit Erfolg im Zusammenhang mit dem ersten terroristischen Anschlag auf das World Trade Center 1993 verfahren. Statt dessen beantwortet herrschende Politik Terror mit Gegenterror, übt sich in Selbstjustiz und macht unbeteiligte Dritte zu Opfern von Vergeltungsmaßnahmen,folgt einer (einmal mehr völkerrechtswidrigen) militärischen Logik, die unweigerlich in eine Eskalationsdynamik hinein führt, die neue Terroristen nahezu zwangsläufig produziert und damit nicht besserem Schutz der Bevölkerung und der Verhinderung neuer Straftaten dient, sondern eher das Gegenteil bewirken wird.
Langfristig schließlich bekämpft man Terrorismus nur wirksam, indem man seine Ursachen bearbeitet und ihm damit die Rekrutierungsbasis entzieht.
PAZIFISTEN IM LEHNSTUHL?
Angesichts der katastrophalen Ergebnisse der Terrorismusbekämfpung mit militärischen Mitteln ist Deine Abkanzelung der Haltung der "Pazifisten", gemeint sind wieder die Gegner dieses Krieges, völlig "daneben". Diese wollten die Anschläge "nicht als bewaffneten Angriff begreifen", würden sich zurücklehnen und jene anprangern, die beim Kampf gegen den Terror auch Unschuldige treffen, schließlich gar "Opfer zu Tätern" erklären.
So geht es nicht. Im Einzelnen:
Die Zurückweisung der Kennzeichnung der Attentate als "bewaffneter Angriff" steht im Kontext einer völkerrechtlichen Argumentation: die Erklärung des NATO-Bündnisfalles ist nur bei Vorliegen eines "bewaffneten Angriffs" möglich. Dieser Argumentationskontext soll aus völkerrechtlicher Sicht in Frage gestellt werden - die Schwere des Verbrechens wird damit keineswegs geleugnet. (Überdies kommst Du mit Deiner Argumentation jetzt womöglich in arge Schwierigkeiten, wenn Du das Verhalten Deiner US-Freunde gegenüber den gefangenen Taliban und Al Qaida-Kämpfern legitimieren musst, werden diese von den USA doch gerade nicht als Kriegsgefangene anerkannt - was sich logisch aus der Argumentation "bewaffneter Angriff / Verteidigungskrieg" ergäbe -, sondern als illegitime/gesetzlose Kämpfer).
Die KriegsgegnerInnen lehnen sich auch nicht zurück, sondern zeigen die Untauglichkeit kriegerischer Mittel für den Kampf gegen den Terrorismus auf, verweisen auf Alternativen, versuchen die Ursachen dieser Art von Terrorismus aufzudecken und entwickeln antimilitaristischen Widerstand gegen diesen Kriegauch und gerade, weil beim Kampf gegen den Terror … la Afghanistan-Krieg viel zu viele Unschuldige getrofffen werden. Mit der Erklärung von "Opfern zu Tätern" hat das nicht das geringste zu tun. Die "Opfer" sind die Toten von New York und Washington und ihre Angehörigen.
Das sind aber keineswegs die "Täter" im Afghanistan-Krieg; "Täter" sind hier die US-Regierung und die verbündeten Regierungen sowie deren militärische Apparate, die mit ihrem kriegerischen Rachefeldzug gerade jene Werte der "westlichen Zivilisation" mit Füßen treten, die doch angeblich gegen die terroristische Bedrohungverteidigt werden sollen.
DEUTSCHES GROSSMACHTSTREBEN - ODER: VON REALPOLITIKERN UND WELTBILDBEWAHRERN
Der pauschale Vorwurf, "die Realitäten (zu) verdrängen, um ein Weltbild zu retten", trifft nicht. Dass es um unterschiedliche Einschätzungen der "Realitäten" und sich daraus ableitende unterschiedliche politische Handlungsoptionen geht und nicht - wie Du versuchst zu suggerieren - um den Gegensatz zwischen wirklichkeitsverdrängenden Weltbildbewahrern und Realpolitikern, wird vollends deutlich bei Deiner Beschreibung deutscher Politik und der auf sie einwirkenden Sachzwänge.
Du tust so, als wenn alle Welt von "den Deutschen" auch militärische Beiträge "zur Lösung regionaler und globaler Konflikte" erwartet und dass "wir" uns dem nicht länger entziehen könnten. Wie war das gleich im Falle Afghanistan konkret? Hat da nicht Dein Chef Schröder den USA einen deutschen "militärischen Beitrag" wie sauer Bier angeboten, und wurde dieses Angebot nicht nur missmutig akzeptiert?
Allgemeiner: Was hier als Antwort auf das Drängen der "Anderen" ausgegeben wird, liegt doch voll und ganz auf der Linie deutscher Regierungspolitik zumindest des letzten Jahrzehnts, nämlich: Deutschland wieder zur "Normalität" einer Macht zurückzuführen, die endlich wieder eine ihrem ökonomischen Gewicht entsprechende (weltmacht)politische Rolle auszufüllen in der Lage ist, wozu es nun einmal auch der Abstützung auf entsprechende militärische Mittel bedarf.
Die nachkriegsbedingte Sondersituation, die Deutschland militärische Beschränkungen auferlegte, soll überwunden werden, damit man in der machtpolitischen Konkurrenz künftig auch wieder die "militärische Karte" spielen kann. Diese Machtpolitik wird umgesetzt via Integration in EU und Schulterschluss in der NATO. Die deutsche Bevölkerung wird daran gewöhnt, dass Krieg wieder ein Mittel der Politik wird. Mit Schrecken ist festzustellen, dass das Thema gesellschaftlich inder Tat bereits "durch" zu sein scheint: Krieg wird weitgehend bereits wieder als Element "normaler", "ordentlicher", "richtiger" Politik akzeptiert; ein dritter Krieg unter Rot-Grün noch vor den nächsten Wahlen kann nicht ausgeschlossen werden.
Die von Dir bemühten hehren Begriffe der "Selbsteinbindung" und "Selbstbeschränkung", die angeblich zwei Leitlinien deutscher Außenpolitik seien, zielten im Kontext der grünen Oppositionspolitik der 80er Jahre gerade darauf, einer solchen Machtpolitik die Mittel zu versagen. Was aber ist an der Beteiligung an zwei Kriegen in einer Legislaturperiode "Selbstbeschränkung", was am Streben nach einer Führungsrolle in EU, NATO, UNO "Selbsteinbindung"?
Bei der deutschen Beteiligung an den jüngsten Kriegen ging es nicht so sehr um "humanitäre" oder "antiterroristische" Interventionen, sondern darum, deutsche Politik auch über das Mittel Militär wieder in die "erste Liga" der Mächte voranzubringen ("mitschießen um mitbestimmen zu können" trifft die Sache doch weit besser - wobei Mitbestimmung angesichts des rabiaten US-Unilateralismus eine trügerische Hoffnung ist). Auch das "Sonderweg"-Argument sticht nicht: Schließlich ist die Alternative zum Mitmachen ja nicht ein nationalistisch-machtgestützter Alleingang, sondern genau das Gegenteil: Verzicht auf Machtpolitik und die sie abstützenden militärischen Mittel, nicht "Sonderweg" also, sondern gutes Beispiel, das auf Andere ausstrahlenkann und zum friedenspolitischen Mitmachen animiert.
Nur ganz am Rande: ebenso verfehlt wie Deine Beschreibung deutscher Politik ist auch jene der weltpolitischen Lage: Da ist von einer Annäherung von USA, Russland und China die Rede, davon, dass die USA vom Unilateralismus abgehen "und wieder mit dem Multilateralismus" "liebäugeln" würden, dass sich daraus ungeahnte Chancen für eine Weltordnungspolitik und Weltinnenpolitik ergeben würden. Man fragt sich: Verdrängst Du die "Realitäten, um ein Weltbild zu retten"?
Trotz allen "Koalitions"geredes: In der Allianz gegen den Terror bestimmen allein die USA als einzig weltweit handlungsfähige Hegemonialmacht ganz und gar unilateral, wo es lang geht. Russland und China nutzen die Gelegenheit, mit eigener innerer Opposition (Tschetschenien, Tibet, Uiguren, ...) unter dem Deckmantel der "Terrorismusbekämpfung" abzurechnen - eine menschenrechtlich-friedenspolitisch "feine" Gesellschaft!
REALPOLITISCHE LIPPENBEKENNTNISSE ZU ZIVILER KONFLIKTBEARBEITUNG
Fehlen darf bei Dir schließlich auch nicht das (Lippen-)Bekenntnis zu ziviler Konfliktbearbeitung und zur Krisenprävention, die es zu stärken gelte. Was zählt dieses Bekenntnis angesichts vonzwei Kriegen, der Umrüstung der Bundeswehr zur Interventionsarmee, ungebremster Rüstungsexporte und einer umfassenden ideologischen Offensive (zu der auch Dein FR-Artikel zählt), die den "Pazifisten" den Einsatz militärischer Mittel schmackhaft machen soll?
Makaber Dein Hinweis, die Bundesregierung habe ihre eigenen Mittel für zivile Konfliktbearbeitung und Krisenprävention "energisch ausgebaut". Wie sehen denn die Relationen zwischen Militärhaushalt und Aufwendungen für Krisenprävention aus? Wenn man - so Deine Position - auf militärische Mittel "nicht ganz" verzichten kann, dann muss man für die Vorhaltung und die Modernisierung dieser Mittel sein, damit sie mit Aussicht auf Erfolg eingesetzt werden können.
Permanente Aufrüstung ist die Konsequenz. Wenn man weltweit auch militärisch zur "Lösung" von Konflikten beitragen will, dann braucht man eben entsprechende Lufttransportkapazitäten, Aufklärungsmittel usw. Eine permanente Steigerung der Militärausgaben ist die Folge. Und dass sollen politische Pazifisten" künftig mittragen? Zu viel verlangt!
ANTIMILITARISMUS STATT ULTIMA-RATIO-BELLIZISMUS
Bitter dann, was Du dem "politischen Pazifismus" quasi als Rest-Aufgaben heute und künftig noch zubilligst, nachdem er militärische Gewalt und die Vorhaltung entsprechender Gewaltmittel gefälligst zu akzeptieren hat: Er möge doch bitte für den Primat der Politik sorgen, er möge für die zentrale Rolle der UN streiten, für "Auswärtige Kulturpolitik" und andere schöne Dinge mehr. Deine Quintessenz: "Pazifismus heute kann militärische Gewalt als Ultima Ratio, als letztes Mittel, nicht leugnen, kämpft aber für die Prima Ratio, die zivilen Mittel der Krisenprävention".
Selbstverständlich kann man militärische Gewalt nicht leugnen, sie ist ja offensichtlich da; Du aber meinst und willst, dass man sie gutheißt - und das ist dann doch wieder zu viel verlangt. Deine prima-ultima-Dialektik mag zur Beruhigung Deines Gewissens taugen, tauglich für eine realitätstüchtige Strategie des "politischen Pazifismus" ist sie nicht. Man kann sich des Verdachts nicht ganz erwehren, dass es darum auch gar nicht geht, sondern dass damit eher parteipolitische Absichten verfolgt werden, nämlich womöglich noch Grünen-treue Friedensbewegte weiter an diese Partei zu binden und der eigenen grünen Basis den Abschied von einstmaligen friedenspolitischen Positionen schmackhaft oder doch zumindest erträglich zu machen.
Die Aufmunterung, die offensichtlich in der Schlussfrage Deines Texte stecken soll: "Sollen die alten Pazifisten ausgerechnet jetzt aus der Politik aussteigen, nur weil militärische Mittel nicht ganz verzichtbar sind?" brauchen wir "alten Pazifisten" nicht. Wir haben keinesfalls vor, "aus der Politik aus(zu)steigen", sondern wir werden weiter für den Verzicht auf militärische Mittel streiten. Wir werden uns um die Ausgestaltung und Durchsetzung eines "politischen Pazifismus" engagieren. Da werden dann sicher auch die von Dir mit Recht angesprochenen Konzeptionen von Krisenprävention, Ziviler Konfliktbearbeitung, globaler Strukturpolitik, Weltinnen- und Weltordnungspolitik eine Rolle spielen -aber nicht als Wurmfortsatz einer von der Logik des "letzten" militärischen Mittels her strukturierten Politik. In Erinnerung an gemeinsame vergangene antimilitaristische Bewegungszeiten
für das Komitee für Grundrechte und Demokratie:
Volker Böge und Theo Christiansen (Geschäftsführender Vorstand des Komitees) Andreas Buro (Friedenspolitischer Sprecher des Komitees) Martin Singe (für das Komitee-Sekretariat)
P.S.: Das Komitee hat aus Anlaß des Volmer-Textes einen Aufruf an die Friedensbewegung geschrieben, der im kommenden FRIEDENSforum erscheint, gerne aber auch schon direkt bei uns angefordert werden kann. Eine weitere Entgegnung auf Volmers Beitrag hat Wolf-Dieter Narr verfaßt, die als Dokumentation in der Frankfurter Rundschau vom 24.1.2002 veröffentlicht war. Auch dieser Text kann angefordert werden.
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