10. Feb. 2025 Teilnehmer des Ostermarsches laufen am 10.4.2023 am Zaun des Bundeswehr-Fliegerhorsts in Büchel vorbei. © Teilnehmer des Ostermarsches laufen am 10.4.2023 am Zaun des Bundeswehr-Fliegerhorsts in Büchel vorbei. picture alliance/dpa | Thomas Frey
Abolitionismus / Antimilitarismus / Bundeswehr / Kriminologie / Nationalismus & Neue Rechte / Neoliberalismus/Kapitalismus

Aufrüstung ist hegemonial. Verteidigungs- und militärpolitische Projekte in den Programmen zur Bundestagswahl 2025

Die am 23. Februar 2025 stattfindende Bundestagswahl ist die erste nach dem Beginn des Russland-Ukraine-Kriegs und der in seinem Kontext von Ampel-Koalition und CDU/CSU ausgerufenen militärpolitischen »Zeitenwende«. Aus antimilitaristischer Sicht drückt die Beschwörung einer Zeitenwende eine Verschiebung in den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen aus. 


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Große Teile der demokratisch-neoliberalen »Mitte« unterstützten seit Beginn des Krieges ein bereits lange zuvor existierendes politisches Projekt. Dieses besteht darin, auf die Verschärfung geopolitischer Konkurrenz um Ressourcen, Handelswege und Absatzmärkte, welche sich als Konsequenz der gegenwärtigen sozio-ökologischen Vielfachkrise vollzieht, mit massiver Aufrüstung und dem Ausbau militärischer Kapazitäten zu reagieren. Anstatt ernsthaft die so dringend notwendigen sozial-ökologische Transformationen anzugehen, auch auf inter- und transnationaler Ebene, betreiben die Parteien der auch militärpolitisch nach rechts verschobenen »Mitte« den ökologisch wie sozial desaströsen Versuch, die herrschende neoliberale Ordnung und die imperiale Lebens- und Produktionsweise Europas durch militärische Aufrüstung abzusichern.

Vor diesem Hintergrund sind die Forderungen und politischen Projekte, die sich bei einer Lektüre der außen- und »verteidigungspolitischen« Abschnitte der Wahlprogramme zeigen, wenig überraschend. Gleichwohl bieten die Programme einen erhellenden Überblick zu den militärpolitischen Prioritäten der wahrscheinlichen Regierungsparteien und damit zu den politischen Projekten, auf die antimilitaristische Kritik und Praxis sich in den kommenden Jahren konzentrieren müssen. Fokussiert man die Analyse auf die wahrscheinlichen Regierungsparteien, also die CDU/CSU sowie FDP, SPD und Grüne als ihre möglichen Koalitionspartner, lassen sich acht zentrale Projekte unterscheiden.

Acht militärpolitische Projekte

Projekt 1: Massive Aufrüstung durch Überschreiten des »Zwei-Prozent-Ziels«

Die früheren Ampel-Parteien sowie die Union sind sich, gemeinsam mit der AfD, darin einig, dass Deutschland angesichts der globalen Lage massiv in Rüstung investieren müsse. Die CDU/CSU wünscht sich eine »verteidigungsbereite und kampffähige Bundeswehr«, die »einen zentralen Beitrag zur Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit der NATO leistet« (CDU, 49). Es gelte, »unsere Bundeswehr möglichst schnell und umfassend [zu] stärken« (CDU, 36). Die SPD will eine »nachhaltige Modernisierung der Bundeswehr« (SPD, 57), die FPD fordert ihre »bessere Finanzierung und Ausstattung« (FDP, 47) und will sie zur »zur stärksten konventionellen Streitkraft in Europa machen« (ebd.). Es herrscht Konsens. In Bezug auf das Zwei-Prozent-Ziel der NATO unterscheiden sich die vier Parteien lediglich darin, wie weit sie dieses überschreiten wollen. Für die CDU/CSU ist das »Zwei-Prozent-Ziel« eine »Untergrenze« (CDU, 50), auch die SPD will »mindestens« bzw. »mehr als« zwei Prozent erreichen (SPD, 57). Die FDP verspricht, auch »höhere Ziele […zu] erfüllen« (FDP, 47). Die Grünen gehen am weitesten und fordern »dauerhaft deutlich mehr als 2 Prozent« des BIP für Militär und Rüstung auszugeben (Grüne, 152). Angesichts dieses Konsenses scheint das politische Projekt weiterer Aufrüstung für die kommenden Jahre gesetzt, zumal auch die AfD hinter einem massiven Bundeswehr-Ausbau steht (AfD, 88).

Projekt 2: Neue Waffenfähigkeiten etablieren

Alle Parteien außer dem BSW und der Linken fordern, die Fähigkeiten der Bundeswehr in neuen Waffentechnologien auszubauen, das heißt etwa für die CDU/CSU »in den Bereichen Weltraum-, Drohnen- und beim europäischen Abwehrschirm weiter voran[zu]gehen.« (CDU, 49; vgl. SPD, 40 und 45f.; Grüne, 141 und 153; FDP, 23). Insbesondere die CDU/CSU will die »Drohnenabwehr« stärken, die Bundeswehr zu einer »Drohnenarmee« machen, inklusive Produktionskapazitäten und einem Ausbau der »Drohnenforschung« in Deutschland (CDU, 49). Die AfD betont, dass auch die »offensiven Cyber-Fähigkeiten« ausgebaut werden müssten (AfD, 89).

Projekt 3: Bundeswehr vergrößern, durch Wehrerfassung, Reserveausbau und Wehrdienst oder Wehrpflicht 

Einig sind sich die wahrscheinlichen Regierungsparteien und die AfD darin, dass die Bundeswehr größer werden muss. Alle wollen die Reserve-Einheiten stärken und dafür eine »Wehrerfassung« der Bevölkerung etablieren, das heißt, in den Worten der FDP, »eine nationale Datenbank zur Erfassung wehrfähiger Männer und Frauen« (FDP, 47), die für den Kriegsdienst eingezogen werden könnten (vgl. (CDU, 49; SPD, 58; Grüne, 154; FDP, 47). Uneinig sind sich die Parteien in der Frage von Zwangsdiensten, also einer Wehrpflicht. Gegenwärtig sprechen sich allein die AfD und die CDU/CSU für eine zwangsweise Wehrpflicht aus (CDU, 50; AfD, 88). Da sich SPD, Grüne und FDP, genauso wie BSW und Linke, gegenwärtig gegen eine Wehrpflicht positionieren, ist ihre Einführung in der kommenden Legislaturperiode unwahrscheinlich. Aus Sicht von Befürworter:innen der Wehrpflicht ist dies aber wohl kein Problem, da die Bundeswehr ohnehin Zeit benötigt, die Infrastruktur für eine größere Zahl von Rekrut:innen zu schaffen – und im Ausbau dieser Infrastruktur scheinen sich die wahrscheinlichen Regierungsparteien überaus einig.

Projekt 4: Anerkennung und Präsenz des Militärischen in der Gesellschaft

Grundsätzliche Einigkeit besteht zwischen CDU/CSU und SPD, sowie verschärft der AfD darin, dass Bundeswehr-Soldat:innen und generell das Militärische in der Gesellschaft mehr Anerkennung und Sichtbarkeit erhalten müsse; von den Grünen und der FDP wird dies nicht explizit erwähnt. Die CDU/CSU möchte Soldat:innen mehr »wertschätzen« und die »die Bundeswehr stärker im öffentlichen Leben verankern«, etwa durch öffentliche Gelöbnisse, den jährlichen Veteranentag und Jugendoffiziere an Schulen (CDU, 50). Die SPD brüstet sich damit, den Veteranentag (15. Juni) eingeführt zu haben (SPD, 57). Die AfD will »soldatische Haltung und Tugenden«, das heißt für sie »Ehre, Treue, Kameradschaft und Tapferkeit« sowie »[m]ilitärisches Liedgut und Brauchtum«, »in der Öffentlichkeit […] manifestieren« (AfD, 89).

Projekt 5: Fortgesetzte Unterstützung der Ukraine

Richtet man den analytischen Blick stärker nach außen, so wird zunächst deutlich, dass sich die ehemaligen Ampel-Parteien sowie die CDU/CSU einig darin sind, die militärische Unterstützung der ukrainischen Regierung ungebremst fortzusetzen (CDU/CSU, 45; SPD, 58; Grüne, 141f.; FDP, 46). Aus äußerst unterschiedlichen Gründen und Perspektiven lehnen Linke, BSW und AfD eine fortgesetzte militärische Unterstützung der Ukraine ab (Linke, 21f.; BSW, 7; AfD, 88). Uneinig sind sich die wahrscheinlichen Regierungsparteien in der Frage der Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine. Während sich die Grünen und die CDU/CSU hierzu in Schweigen hüllen und die SPD eine Lieferung ablehnt (SPD, 58) spricht sich die FDP explizit dafür aus (FDP, 46).

Projekt 6: Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland

Grundsätzliche Einigkeit herrscht zwischen den Parteien der Ampel-Regierung und der CDU/CSU anscheinend in der Frage, ob die ab 2026 geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland umgesetzt werden soll. CDU und SPD sprechen sich explizit dafür aus (CDU, 50; SPD, 57f.). Die Grünen vermeiden auch in dieser Frage eine offene Positionierung, haben die Stationierung allerdings als Teil der Ampel-Regierung befürwortet. Auch die FDP äußert sich nicht explizit hierzu; ausgehend von ihrer begeisterten Unterstützung für die NATO – »das erfolgreichste Verteidigungsbündnis der Welt« und »Garant für unsere Sicherheit« (FDP, 47) – ist hier kein Widerstand zu erwarten. Wiederum aus äußerst unterschiedlichen Erwägungen heraus lehnen Linke, BSW und AfD die Stationierung ab (Linke, 21; BSW, 6; AfD, 91).

Projekt 7: Integration europäischer Militärstrukturen 

Konsens besteht zwischen den absehbaren Regierungsparteien schließlich in einem weiteren Punkt: Angesichts der geopolitischen Lage, d.h. u.a. der Intensivierung von Großmachtkonflikten und der unter Präsident Trump unsicheren Haltung der USA, müssten die europäischen Staaten – trotz klarer Unterstützung für die NATO – militärisch sehr viel stärker zusammenarbeiten und ihre militärischen Strukturen partiell integrieren, etwa bei Ausbildung, Manövern, Rüstungsproduktion und Beschaffungswesen (vgl. SPD, 59). Laut CDU/CSU soll Europa »in transatlantischer Partnerschaft die eigenständige Verteidigungsbereitschaft erhöhen« (CDU, 50). Die Bundeswehr soll in eine europäische »Verteidigungsunion« integriert werden, die Teil von NATO-Strukturen ist (ebd.; vgl). Auch die SPD macht sich das Konzept der »Verteidigungsunion« zu eigen (SPD, 59). Die FPD strebt gar langfristig den »Aufbau einer Europäischen Armee« an (FDP, 47). Die Grünen wollen den »europäischen Pfeiler der NATO« stärken. Deutschland und EU müssten militärisch unabhängiger von der US-Politik werden (Grüne, 152). 

Projekt 8: Nationale und europäische Rüstungsindustrie stärken

Auffällig ist schließlich, wie einheitlich in den Wahlprogrammen von CDU/CSU und den ehemaligen Ampel-Parteien, sowie von der AfD, der Auf- und Ausbau nationaler und europäisch integrierter Industriekapazitäten für die Rüstungsproduktion gefordert wird (CDU, 51; SPD, 59; Grüne, 154, FDP, 50; AfD, 88). Hierfür gelte dies bereits heute existierende Instrumente und Institutionen auf EU-Ebene zu nutzen, darunter »die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung (PESCO) und die Koordinierte Verteidigungsplanung für Europa (CARD), aber auch den Europäischen Verteidigungsfonds (EVF)« (CDU, 51; vgl. SPD 59). Angesichts dieser Einigkeit wird der Ausbau eines europäischen militärisch-industriellen Komplexes in den kommenden Jahren aus Regierungssicht wohl Priorität genießen.

Analyse und Fazit

Der hier auf Basis der Wahlprogramme gegebene Überblick zu den militärpolitischen Projekten der voraussichtlichen Regierungsparteien zeigt, dass weitgehenden Konsens über die Richtung herrscht, wenn es auch Unterschiede in einzelnen Fragen gibt, etwa zu einer zwangsweisen Wehrpflicht und zur Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine. In der großen Linie – eine Bearbeitung der globalen Vielfachkrise durch die massive Stärkung militärischer Fähigkeiten – sind sich die Parteien des neoliberalen Zentrums überaus einig. Vor diesem Hintergrund, sowie den Ergebnissen von Meinungsumfragen, ist das politische Projekt der Aufrüstung in Deutschland als weitgehend hegemonial einzuschätzen – wobei die aus äußerst unterschiedlichen Perspektiven geäußerte Kritik von AfD, BSW und Linke deutlich macht, dass diese Hegemonie nicht unwidersprochen bleibt.

Offen ist allerdings, ob und inwiefern die formulierten Aufrüstungsziele unter den gegebenen Bedingungen erreicht werden können. Dies wird zum einen von äußeren Dynamiken abhängen, darunter zentral vom weiteren Verlauf des Russland-Ukraine-Konflikts und der Strategie der US-Regierung gegenüber ihren NATO-Alliierten. Zugleich hängt die militärpolitische Dynamik in Deutschland und damit in der EU von wirtschaftspolitischen Weichenstellungen ab. Die entscheidende Frage ist, ob die Union und die ehemaligen Ampel-Parteien sich einigen können, wie die von ihnen allen unterstützten, dauerhaft massiv gesteigerten Militärausgaben finanziert werden sollen. Prinzipiell gäbe es drei Wege: mehr Staatseinnahmen durch höhere Steuern oder gar eine aktive Geldpolitik; massive Einsparungen, v.a. im Sozialbereich und der Infrastruktur; mehr Schuldenaufnahme. Momentan scheinen alle Wege versperrt: höhere Steuern, eine Zentralbank-Finanzierung des Staatshaushalts und mehr Schulden werden von der CDU/CSU (noch) abgelehnt; eine Ausgabenkürzung in dem extremen Ausmaße, wie sie zur Finanzierung der geplanten Aufrüstung nötig wäre, scheint politisch gegen SPD und Grüne und den erwartbaren gesellschaftlichen Widerstand, momentan nicht durchsetzbar. 

Eine Mobilisierung antimilitaristischer und friedenspolitischer gegen die Pläne, die Aufrüstungskosten auf die breite Bevölkerung abzuwälzen, könnte somit die Militarisierungs-Projekte insgesamt infrage stellen. Wahrscheinlicher scheint jedoch, dass sich die CDU/CSU auf eine schuldenfinanzierte Aufrüstung einlassen wird. Auch dagegen wird Widerstand nach der Bundestagswahl nötig sein.

Fabian Georgi

Wahlprogramme

AfD: Zeit für Deutschland. Programm der Alternative für Deutschland für die Wahl zum 21. Bundestag

BSW: Unser Land verdient mehr! Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2025

CDU/CSU: Politikwechsel für Deutschland. Wahlprogramm von CDU und CSU

FDP: Alles lässt sich ändern. Das Wahlprogramm der FDP zur Bundestagswahl 2025

Grüne: Zusammen Wachsen. Regierungsprogramm 2025. Entwurf des Bundesvorstandes

Linke: Alle wollen regieren. Wir wollen verändern. Reichtum teilen. Preise senkken. Füreinander. Wahlprogramm Die Linke

SPD: Mehr für Dich. Besser für Deutschland. Regierungsprogramm der SPD für die Bundestagswahl 2025

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