Arme brauchen keine Moralpredigten

<h3><strong>Regelsätze und menschenwürdiges Existenzminimum </strong></h3> <p>Zum 1.Januar 2017 steht wieder eine Anpassung der Regelsätze für die Existenzsicherung an. Die Regelsätze bestimmen die Höhe der staatlichen Leistungen für den Lebensunterhalt für Arbeitslosengeld II, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (SGB II, SGB XII), hinzu kommen die Wohnkosten soweit sie angemessen sind. Die Bundesregierung hat für den Januar nur sehr geringfügige Erhöhungen angekündigt. Alleinlebende Erwachsene erhalten fünf Euro mehr (aktuell 404 Euro), Ehe- und Lebenspartner jeweils vier Euro mehr (aktuell 364 Euro). Für Jugendliche ab 15 Jahre steigt der Regelsatz um fünf auf 311 Euro, für Kinder unter sechs Jahren bleibt es bei 237 Euro im Monat. Kinder zwischen sieben und 14 Jahren erhalten ab Januar 291 Euro (aktuell 270 Euro) im Monat.</p>

Regelsätze und menschenwürdiges Existenzminimum

 

Zum 1.Januar 2017 steht wieder eine Anpassung der Regelsätze für die Existenzsicherung an. Die Regelsätze bestimmen die Höhe der staatlichen Leistungen für den Lebensunterhalt für Arbeitslosengeld II, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (SGB II, SGB XII), hinzu kommen die Wohnkosten soweit sie angemessen sind. Die Bundesregierung hat für den Januar nur sehr geringfügige Erhöhungen angekündigt. Alleinlebende Erwachsene erhalten fünf Euro mehr (aktuell 404 Euro), Ehe- und Lebenspartner jeweils vier Euro mehr (aktuell 364 Euro). Für Jugendliche ab 15 Jahre steigt der Regelsatz um fünf auf 311 Euro, für Kinder unter sechs Jahren bleibt es bei 237 Euro im Monat. Kinder zwischen sieben und 14 Jahren erhalten ab Januar 291 Euro (aktuell 270 Euro) im Monat.

 

DGB, Sozial- und Wohlfahrtsverbände kritisierten einhellig, dass die Regelsätze damit zu niedrig angesetzt seien. Sie könnten keinen Beitrag zur dringend notwendigen Bekämpfung der Armut leisten. So wie die Bundesregierung die Regelsätze aus dem Ausgabeverhalten der einkommensschwachen Haushalte ableite, könne ein sozialkulturelles Existenzminimum nicht sichergestellt werden. Selbst der „Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge“, der Zusammenschluss von insbesondere freien und öffentlichen Trägern, Ministerien und Kommunalvertretungen, fordert Korrekturen bei der Festsetzung der Regelsätze.

 

Wesentlicher Kritikpunkt an der Art der Berechnung der Regelsätze durch die Bundesregierung ist, dass die Vergleichsgruppe, die die Bundesregierung zur Berechnung der Regelsätze in ihrem Gesetzentwurf heranzieht, selbst armutsgefährdet ist. Außerdem werden willkürlich Abschläge bei den Ausgaben der in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erfassten Vergleichsgruppe vorgenommen. Nicht nur Alkohol und Zigaretten, sondern auch ein Eis im Sommer für die Kinder, Zeichenstifte, Kosten für Schulveranstaltungen, Zimmerpflanzen, Weihnachtsbaum, Computer- und Handykosten, Benzin und vieles mehr wird in kleinlicher Bösartigkeit aus dem Ausgabeverhalten der Vergleichsgruppe herausgerechnet. Das geschieht, um das politisch vorgegebene Ziel niedriger Regelsätze zu erreichen.

 

In einem Beschluss vom 23. Juli 2014 bescheinigte das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber, dass er mit dem Regelbedarfsermittlungsgesetz (REBG) aus 2011 „an die Grenze dessen (komme), was zur Sicherung des Existenzminimums verfassungsrechtlich gefordert ist.“ (Rdnr. 121) Ob der Gesetzentwurf des Jahres 2016 nun den 2014 formulierten Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts genügt oder nicht,  sicher ist, dass nicht nur die willkürlichen Abzüge problematisch sind. Der gesamte Gesetzentwurf wird den zentralen Annahmen des zu Grunde gelegten Statistikmodells nicht gerecht.  Das zeigt Irene Becker in einem Gutachten für die Diakonie im Einzelnen auf.

 

Anlässlich der Anhörung im Deutschen Bundestag zum aktuellen Gesetzesentwurf am 28. November 2016 forderte die Diakonie unter Verweis auf das Gutachten eine deutliche Erhöhung der Regelsätze. Für alleinstehende Erwachsene zum Beispiel müsste der Regelsatz um etwa 150 € höher, also bei rund 560 € liegen. Auch die Regelsätze für Kinder und Jugendliche müssten erheblich angehoben werden.

 

Misstrauen, Missgunst, Neid gegenüber Armen sowie die Unterstellungen ihrer eigenen Überforderung und Verantwortungslosigkeit werden immer wieder laut, wenn öffentlich über Armut und Arme debattiert wird. Mit den und durch die Hartz-IV-Reformen wurde dieses Misstrauen, das Gängeln, Sanktionieren und Knapphalten gegenüber Armen gestärkt. Sachliche und solidarische Haltungen und Berichte haben es seitdem schwerer, Gehör zu finden. Dies trägt erheblich dazu bei, dass die Bundesregierung es politisch durchsetzen kann, bei den anstehenden Anpassungen der Regelsätze systematisch und immer wieder weit hinter dem zurück zu bleiben, was ein menschenwürdiges soziokulturelles Existenzminimum ausmachen würde.

 

Am 6. Dezember wird das Fest des Hl. Nikolaus, im 3. Jahrhundert Bischof von Myrna in Kleinasien, gefeiert. Um diesen aus reicher Familie stammenden Bischof, der laut Überlieferung sein Erbe an Arme verschenkte, ranken sich viele fromme Volkserzählungen, die seine menschenfreundliche Haltung bezeugen. In einer Legendenversion wird von einem verarmten Mann berichtet, der seine drei Töchter, da er ihnen keine Mitgift geben kann, nicht verheiraten kann und keine andere Lösung sieht, als sie in die Prostitution zu schicken. Der durch sein Erbe reiche Nikolaus erfährt von der Notlage der Familie und wirft in drei aufeinanderfolgenden Nächten je einen großen Goldklumpen durch das Fenster in das Zimmer der Jungfrauen. Damit ist das bittere Schicksal der Töchter abgewendet und die Not gelindert. Dem Vater gelingt es gar in der dritten Nacht, Nikolaus zu entdecken und ihm zu danken.

Nikolaus war offensichtlich bewusst, dass arme Menschen keine Moralpredigten brauchen, dass es Armen nicht, wie heute oft behauptet, an rechter Haltung, an Kultur, Bildung und Aktivierung fehle. Nikolaus war bewusst, dass armen Menschen vor allem und zuerst mit Geld zu helfen ist. Das Nikolausfest kann daran immer wieder erinnern.

 

Stephan Nagel