Der Streit um das Recht auf Versammlungsfreiheit ist alt. Die Zweifel an der uneingeschränkten Geltung eines Grundrechts, dessen Inanspruchnahme fast zwangsläufig für Unruhe sorgt, kommen schon im Grundgesetz zum Ausdruck. Zwar haben »alle Deutschen« »das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln« (Art. 8, 1 GG), aber Absatz 2 läßt bereits Einschränkungen für »Versammlungen unter freiem Himmel« zu. Dieser Kann-Möglichkeit kam das Parlament 1953 nach und erließ ein Versammlungsgesetz, das Demonstrationen als staatliches Sicherheitsrisiko vorstellt, die es zu kontrollieren und zu beschränken gelte
Erst in den späten 60er und in den 70er Jahren entfalteten sich langsam all die vielfältigen und kreativen Formen selbstbewußten bürgerlichen Protests. Der Brokdorf-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts von 1985 setzte einen deutlichen Meilenstein in der Neubewertung des Rechts auf Versammlungsfreiheit. Versammlungs- und Meinungsfreiheit seien »unentbehrliche und grundlegende Funktionselemente eines demokratischen Gemeinwesens« und Ausdruck »ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie«. Die aufgestellten Kriterien gelten seither als Maßstab. Aber die Ordnungsbehörden beziehen sich meist nur floskelhaft darauf, um im nächsten Satz Versammlungen dennoch einzuschränken oder zu verbieten. Das Mißtrauen der Regierenden und Administrierenden gegen das in Versammlungen steckende aufrührerische Potential ist bis heute nicht zu übersehen. Der Obrigkeitsstaat fürchtete Versammlungen als Hort der Unbotmäßigkeit und des Aufruhrs. Die politische Klasse der Bundesrepublik Deutschland fürchtet dies kaum minder. Die Schneise, die das Bundesverfassungsgericht 1985 schlug, wurde in der Praxis schnell wieder verstellt. Die Exekutive erfindet immer wieder listig Möglichkeiten, die grundrechtlichen Maßstäbe zu verdrehen. Berichte über Geschehnisse im Vorfeld von Demonstrationen werden verfälscht, die Gefahren ins Unermeßliche überzeichnet, herrschaftlich werden Fakten geschaffen, deren gerichtliche Überprüfung sich im »Irgendwann« verliert. Die exekutiven Versuche, die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu umgehen oder nur formal die grundrechtlichen Anforderungen zu erfüllen, die exekutiven Eingriffe in Versammlungen und deren Gestaltung, die hoheitliche Gewalt, mit der gegen Demonstrierende vorgegangen wurde, reißen nie ab.
Grundrechte auch für Rechtsaußen?
Die Föderalismusreform hat 2006 neben dem Strafvollzug auch das Versammlungsrecht in die Obhut der Länder gegeben. Daß die Grundrechte dort nicht in guter Hand sind, war zu erwarten. Neben dem Wettlauf um die schärfsten Polizeigesetze hat nun der um die einengendsten Versammlungsgesetze begonnen. Nationalistische, antisemitische und rassistische Versammlungen von Rechtsaußen sind ein soziales Problem, mit dem sich die Gesellschaft in den letzten Jahren verstärkt auseinandersetzen muß. Die Erfahrungen mit diesen Demonstrationen und den gegen dieses Gedankengut gerichteten Gegendemonstrationen sollen nun zur Legitimation von Gesetzen herhalten, die das Grundrecht aushebeln. In Zeiten des »Kampfes gegen den Terrorismus« scheint es besonders leicht, Gesetze zur Überwachung und Einschüchterung der Bürgerinnen und Bürgern durchzusetzen. Schon seit einigen Jahren wird zwischen den Ländern, einigen Gerichten, insbesondere dem Oberverwaltungsgericht in Münster, und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein Streit um die Möglichkeiten des Verbots von Demonstrationen ausgetragen, die eine nationalistische, antisemitische, rassistische und fremdenfeindliche Ideologie verbreiten.
Das BVerfG ist hier immer wieder gegen die Einschränkung des Grundrechts eingetreten. Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem, der am 2. April 2008 aus Altersgründen entlassen wurde, hat Ende März 2008 in einem Interview noch einmal betont, daß er »ein bißchen stolz« sei – nicht auf die recht aktuelle Rechtsprechung zur Terrorismusbekämpfung, sondern auf jene zur Demonstrationsfreiheit, mit der das höchste Gericht ein »Grundrecht gerettet« hätte. Denn wenn dieses »wegen der Neonazis zerfleddert worden wäre, dann wäre es für alle zerfleddert worden«. Der Damm, den die Verfassungsrichter zu errichten versuchten, birst unterdessen. Während Sachsen und Sachsen-Anhalt an einem Versammlungsgesetz arbeiteten, das ausschließlich den »Schutz der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft« regeln sollte und sich insofern am »Zerfleddern« des Grundrechts beteiligten, ging Bayern sofort einen Schritt weiter.
Seit dem 1. Oktober 2008 gilt ein verfassungswidriges Gesetz, mit dem ungebührliches Demonstrieren von rechts und links verboten werden soll. Als verfassungswidrig schätzen zumindest jene dreizehn Organisationen dieses Landesgesetz ein, die Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt haben. Unter den Klägern ist auch der Landesverband der FDP, der allerdings inzwischen an der Regierung beteiligt ist. In der Koalitionsvereinbarung ist nur eine wachsweiche Änderung des Gesetzes vorgesehen, nach der nichts grundlegend verändert werden muß: »Wir werden das bayerische Versammlungsgesetz bürgerfreundlicher gestalten, ohne dabei die Handlungsfähigkeit des Staates bei Aufmärschen von Neonazis oder gewaltbereiten Gruppierungen in Frage zu stellen.« Baden-Württemberg hat bereits nachgezogen und ein Gesetz zur Diskussion gestellt, das dem bayerischen weitgehend gleicht. Niedersachsen hat dies für Januar 2009 angekündigt.
Kontrolliert, kriminalisiert
Statt einer das Grundrecht absichernden, den Staat aus den bürgerlichen Zusammenschlüssen fernhaltenden Gesetzgebung entstehen im Zuge der Föderalismusreform Versammlungsgesetze mit unbestimmten Rechtsbegriffen, die vor allem der Exekutive alle Eingriffs- und Überwachungsmöglichkeiten nach eigenem Gutdünken sichern sollen. Der »Mißbrauch« des Grundrechts soll verhindert, »den Behörden« der Eingriff erleichtert werden, so berichtet das baden-württembergische Innenministerium. Charakteristisch für diese Ländergesetze ist ein neues »Militanzverbot«, welches das bisherige Uniformierungsverbot ergänzt. Verhaltensweisen und Kleidungsstücke, die den »Eindruck von Gewaltbereitschaft« erwecken und einschüchternd wirken, sollen verboten werden. Verbote und Eingriffe sollen also von subjektiven Einschätzungen (der Polizei) abhängen. In Begründung und einleitender Problembeschreibung zum bayerischen Gesetzentwurf wurde erläutert, daß sich der Artikel auch gegen »linksextremistische Versammlungen« und »militante Autonome« richte. Nicht jede gleichartige Bekleidung sei verboten. Dies sei nur immer dann der Fall, wenn sie den »Eindruck von Militanz« erwecke.
Das aber liegt dann im Ermessen der Ordnungsbehörden, die darauf aufbauend Beschränkungen erlassen können. Als Beispiel wird in der bayerischen Begründung das Verbot von schwarzen Fahnen angeführt. Der Artikel macht das Verbot der Militanz zu einem Bestandteil der (geschriebenen) Rechtsordnung und erlaubt somit, einen Verstoß als unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu ahnden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB-Landesverband Baden-Württemberg) äußerte die Befürchtung, daß demnächst Streikposten als »einschüchternd« gewertet werden könnten. Zumindest kann kein Bürger mehr im vorhinein wissen, welches Verhalten letztlich als illegal angesehen wird. Der gesetzliche Bestimmtheitsgrundsatz wird damit grob verletzt. Zwingend braucht jede Versammlung – Ausnahmen gibt es für Spontanversammlungen – einen polizeilich angemeldeten Leiter.
Diesem wird die Verantwortlichkeit für das gesamte Geschehen aufgebürdet und eine quasi polizeiliche Ordnungsfunktion zugemutet. Angesichts der bunten Vielfalt, die Versammlungen auszeichnen, ist dies eine demokratiefeindliche Zumutung. Von Ordnerinnen und Ordnern, die zur Demonstration dazugehören und die Veranstalter unterstützen, kann von der Polizei, ebenso wie vom Leiter, die Meldung aller persönlichen Daten gefordert werden. Die Polizei behält sich sogar vor, nicht genehme Leiter und Ordner abzulehnen. Schon diese Meldepflicht soll abschrecken. Mancher Bürger könnte demnächst ein solches Amt allein aus Angst vor den Folgen der polizeilichen Speicherung nicht übernehmen wollen. Für bestimmte Großdemonstrationen könnte eine Liste von mehreren hundert Ordnern mit persönlichen Daten erforderlich werden. Der Polizei wird pauschal das Recht zugebilligt, »personenbezogene Daten von Teilnehmern« zu erheben und Bild- und Tonaufzeichnungen anzufertigen. Angesichts der vielen zuvor eingeführten vagen Begriffe scheint die Einschränkung »wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, daß von ihnen (den Versammelten, d.A.) erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen« unbedeutend. »Übersichtsaufnahmen«, die aber der Identifizierung einzelner Personen im nachhinein dienen können, sollen jederzeit erlaubt sein.
Löschungsfristen sind für diese Aufnahmen nicht vorgesehen, da sie auch zu polizeilichen Auswertungs- oder Bildungszwecken genutzt werden dürfen. Mit diesen Überwachungsmöglichkeiten sind tiefe Eingriffe in Bürgerrechte verbunden. Im sogenannten Volkszählungsurteil stellte das Bundesverfassungsgericht 1983 die informationelle Selbstbestimmung unmittelbar in den demokratischen Kontext von Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. »Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, daß etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Artikel 8, 9 GG) verzichten.« Das Gericht führt weiter aus, daß damit nicht nur die Entfaltungschancen des einzelnen, sondern ebenso die Funktionsbedingungen des freiheitlich demokratischen Gemeinwesens beeinträchtigt würden. Weitgefaßte Straf- und Bußgeldvorschriften drohen dem Leiter wie den Teilnehmern.
Auch Passanten, die die Polizei als Teilnehmer ausmacht, können von Verfahren bedroht sein, wenn sie die »falschen« Dinge in ihrem Hab und Gut bei sich tragen. Das Mitführen von Sonnenbrillen, Kapuzenshirts und Schals wie auch von frei erhältlichen Selbstverteidigungswaffen kann schon »im Zusammenhang« mit »derartigen Veranstaltungen« rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Die unbestimmten Vorgaben eröffnen der Polizei ein breites Feld der willkürlichen Verfolgung. Versammlungsleiter gehen das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung ein. Schon die nicht ordnungsgemäße Kennzeichnung der Ordner kann für den Leiter zu einem Bußgeldbescheid führen. Wer gegen Naziaufmärsche demonstriert, wird in erhöhtem Maße von Strafen bedroht sein, denn diese Gesetze sehen ein »Störungsverbot« vor. Die Ver- oder Behinderung von Versammlungen ist verboten. Während das Grundgesetz Einschränkungen nur für Versammlungen »unter freiem Himmel« erlaubt, sollen gemäß bayerischem Gesetz und baden-württembergischem Entwurf nun alle Versammlungen reglementiert und staatlich überwacht werden (können).
Bedrängte Versammlungsleiter
Im letzten Jahr fanden bereits ohne diese Gesetze Versuche statt, im Zusammenspiel mit ausufernden Auflagenerteilungen Versammlungsleitern quasi polizeiliche Ordnungsaufgaben zuzumuten. Die Vorstellungen von straff geleiteten Aufmärschen sollen durchgesetzt werden. Die Praxis der extensiven Auflagenerteilung ist eine Form der demokratiefeindlichen Behinderung von Demonstrationen. In der Praxis werden dennoch vorbeugend Auflagen im Übermaß erteilt. Im Mai 2006 hat die Versammlungsbehörde für eine Demonstration in Mittenwald 25 Auflagen erlassen. In der nachträglichen Überprüfung urteilte der Bayerische Gerichtshof München, daß 21 dieser 25 Auflagen rechtswidrig seien. Dennoch erteilte beispielsweise im August dieses Jahres die Versammlungsbehörde der Friedensdemonstration gegen Atomwaffen in Büchel/Eifel 30 überflüssige Auflagen.
Diese Praxis hängt eng mit der Überfrachtung der Aufgaben des Versammlungsleiters zusammen. Der Brokdorf-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts begrenzt die Aufgaben des Versammlungsleiters, der nicht für alles und jedes verantwortlich gemacht und zur Rechenschaft gezogen werden darf, und engt die Möglichkeiten der Auflösung einer Versammlung ein. Im Jahr 2008 standen jedoch Versammlungsleiter in den Städten München, Karlsruhe, Rostock und Friedrichshafen vor Gericht. Nichts Gravierendes war vorgefallen. Die Fülle der vorher erlassenen Auflagen läßt viele Rechtsverstöße möglich werden, für die Versammlungsleiter haftbar gemacht werden können. In Karlsruhe lautete eine Auflage: »Sie müssen mit Ihren Weisungen alle Teilnehmer jederzeit erreichen können und sind verpflichtet, die Veranstaltung für beendet zu erklären, wenn Sie sich nicht durchsetzen können.« In den Strafbefehlen gegen die Leiter ging es folglich darum, daß nicht alle Auflagen durchgesetzt werden konnten: Hier war eine Stange etwas länger, dort ein Transparent größer als genehm, ein Schal hätte der Vermummung gedient, die Kleidung von Teilnehmenden sei zu ähnlich gewesen, folglich uniform, einige Teilnehmer hätten das vorgesehene Schrittempo (!) überschritten.
Während die meisten Versammlungsleiter von Gerichten freigesprochen wurden, in einem Fall zumindest das Landgericht den Prozeß eingestellt hat, wurde ein Versammlungsleiter in Karlsruhe vom Amtsgericht wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz zu 60 Tagessätzen verurteilt. Das Amtsgericht Karlsruhe – es scheint seinen höchstgerichtlichen Nachbarn nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen – schreibt in seiner Urteilsbegründung: »Es kann aus Sicht des Gerichtes nicht anerkannt oder auch nur hingenommen werden, daß beliebig und vor allem auch folgenlos eine Demonstration so durchgeführt wird, wie es sich die Teilnehmer vorstellen und wünschen …« Da der Versammlungsleiter Widerspruch gegen die Auflagen eingelegt hatte, kommt das Gericht zu dem Schluß, der Angeklagte habe sich »nur halbherzig und pro forma um die Auflagen gekümmert, was natürlich bei weitem nicht ausreicht«.
Abschreckung und Einschüchterung
Jedoch auch dann, wenn ausnahmsweise Auflagen im vorhinein gerichtlich überprüft werden können, ist in der Praxis allzuhäufig noch nichts gewonnen. Im August dieses Jahres fand in Hamburg das AntiRa und Klimacamp statt. Die Versammlungsbehörde wollte eine Schlußkundgebung weder direkt vor dem Flughafen Hamburg noch über die geplante Zeit von sechs Stunden zulassen. Das Verwaltungsgericht bestätigte jedoch, daß die Demonstrierenden auch über die zeitliche Länge ihres Protestes entscheiden können. Die Abschlußkundgebung »Für grenzenlose Bewegungsfreiheit – Keine Abschiebungen vom Flughafen Hamburg« dürfe in der Zeit von 13 bis 19Uhr stattfinden. So setzte die Polizei ihre abweichende Auffassung unmittelbar und ohne Rechtsschutzmöglichkeiten durch. Der Gesamteinsatzleiter erteilte, ohne selbst vor Ort zu sein, vom Polizeipräsidium aus die Anweisung zur Auflösung der Demonstration zu dem Zeitpunkt, zu dem die Versammlungsbehörde das Ende der Demonstration gewollt hatte.
In Darstellungen der Polizei und der Medien werden die von Demonstrationen ausgehenden Gefahren im Vorfeld oft maßlos übertrieben. Immer drohe die Teilnahme des »schwarzen Blockes«, der längst zu einem polizeiwillkommenen Mythos geworden ist. Allüberall sei mit Gewalttaten zu rechnen, seit Jahren steht der Terrorismusverdacht bereit. Notfalls helfen Ermittlungen nach Paragraph 129a StGB (»Bildung terroristischer Vereinigungen« – d. Red.), eine Bedrohung zu konstruieren. Zur Einschränkung eines Grundrechts bedürfte es zumindest konkreter Hinweise auf solche Bedrohungen. Daran aber mangelt es fast immer, und geheime »Informationen« der Verfassungsschützer lassen sich kaum überprüfen. Heiligendamm ist hierfür ein Beispiel, und beim Protest gegen das NATO-Gipfeltreffen im April 2009 wird es nicht anders sein. Der »Hamburger Kessel«, die polizeiliche Einkesselung einer Demonstration, war 1986 von Anfang an rechtswidrig. Doch dieses Vorgehen der Polizei hat sich seitdem ungezählte Male wiederholt. Bei Anti-Castor-Demonstrationen im Wendland wurden ganze Dörfer eingekesselt. Immer wieder werden anläßlich der rassistischen, ausländerfeindlichen und nationalistischen Demonstrationen von Rechtsaußen die Gegendemonstranten eingekesselt. So geschehen kürzlich in Köln im Kontext des stadtweiten Protests gegen die Versammlungen von »Pro Köln« gegen den Moscheebau. In dem breiten und bunten, karnevalesk inszenierten Protest wurden 500 Demonstrierende eingekesselt und in die Gefangenensammelstelle verbracht. Kinder und Jugendliche blieben bis weit nach Mitternacht dort, Rechtsbeistand wurde verwehrt. Der Richterin, die entschied, daß die ihr vorgeführten Gefangenen sofort zu entlassen seien, führte die Polizei daraufhin keine weiteren Gefangenen mehr vor. Auch rechtswidrige Gewaltausübung einzelner Beamter gegen unliebsame Demonstrierende steckt im System.
Die Identifizierung gewalttätiger Beamter ist kaum möglich, der Schutz des Korps funktioniert. Die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht für die eingesetzten Beamten läuft seit Jahren ins Leere. Sehr selten wurden Polizeibeamte verurteilt – jeweils nur aufgrund besonderer Konstellationen. Die extensiven Auflagen, die im Vorfeld aufgetürmten Gefahrenprognosen und öffentliche Vorverurteilungen der Demonstrierenden lassen polizeiliche Gewalt in aller Regel in der Öffentlichkeit gerechtfertigt erscheinen. Andere Behinderungen und Formen der Abschreckung von Demonstrationen seien hier wenigstens noch stichwortartig genannt: Zugangskontrollen, Videoüberwachung, Teilnahmeverbote mit Meldeauflagen, Reiseverbote, Platzverweise, Vermummungsverbote ...
Souveräne Bürger?!
Um das Recht auf Versammlungsfreiheit ist es also schlecht bestellt. Ein Hoffnungsschimmer bleibt allerdings und liegt einzig in der selbstbewußten Art, in der Bürgerinnen und Bürger als Souverän dieses Recht in Anspruch nehmen. Die wechselvolle Geschichte des Versammlungsrechts zeigt allemal, wie wichtig dies ist. Wie schon das Hambacher Fest der bürgerlichen Opposition 1832 trotz Verbotes stattfand, muß auch heute das Recht gegen staatliche Macht und Kontrolle immer wieder neu erstritten werden. Die zum Zaun der sich abschottenden G-8-Politiker in Heiligendamm strebenden bunten demonstrierenden Gruppen sind ein Symbol für dieses »Trotzdem«!
Elke Steven, ist Soziologin und arbeitet im Komitee für Grundrechte und Demokratie, Köln
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