Ein Kommentar von Michèle Winkler
Im Januar 2018 wurden, wegen der Polizeieinsätze zum G20-Gipfel, mehrere Klagen gegen die Stadt Hamburg eingereicht. Wie über die letzten Monate hinweg, berichtete der NDR sachlich und unaufgeregt von der zu diesem Zweck einberufenen Pressekonferenz. Ein eigentlich ganz unscheinbarer Satz im NDR-Artikel deutete allerdings auf ein Phänomen hin, das eine genauere Betrachtung verdient. Über ein auf der Pressekonferenz gezeigtes Video wurde geschrieben: "Darauf sind Polizisten zu sehen, die gewalttätig gegen bunt gekleidete Demonstranten vorgehen."
Was ist an dem Satz bemerkenswert? Er klingt zunächst wie eine einfache Situationsbeschreibung. Aber warum ist hier die Farbe der Kleidung von Belang? Ist der relevante und zu transportierende Fakt nicht der, dass die Polizei Gewalt gegen Demonstrierende ausübt? Welche Mehrinformation soll uns durch das Adjektiv "bunt" gegeben - oder vielmehr suggeriert - werden? Wohl, dass die Verprügelten tatsächlich ernst genommen werden sollten mit ihrer Klageschrift. Ganz anders hätte es ausgesehen, wenn die Polizei in dem Video schwarz gekleidete Menschen verprügelt hätte.
Dann wäre die Legitimation der Klage wohl sogleich dahin geschwunden. Denn die Trennungslinie vom guten zum bösen Demonstranten verläuft spätestens seit Hamburg entlang der Frage, welche Kleidung er trug. Schwarze Kleidung deutet dabei vermeintlich auf eine aggressive Grundausrichtung hin und wenn dann noch Vermummung ins Spiel kommt, sind die Schlagworte Straftäter und Kriminelle oft nicht mehr weit. Spätestens damit scheint dann jegliche Polizeigewalt legitimiert und die Verhältnismäßigkeit wird gar nicht mehr in Frage gestellt. Die absolute Eskalation der Welcome to hell-Demo wurde genau damit von der Polizei entschuldigt: der schwarze Block, in dem es auch noch zu Vermummung gekommen sei, hätte vom Rest der Demonstration getrennt werden sollen, weil diese Straftaten nicht hinnehmbar gewesen seien. Das reicht als Begründung für das gewalttätige Auflösen einer Demonstration und das Auslösen einer Massenpanik offenbar aus. Zwar führte das im Nachgang zu ein paar Diskussionen, aber Konsequenzen musste bei der Polizei niemand befürchten.
Dass entlang der Frage, welche Kleidung jemand bei einer Demonstration trug und ob er*sie sowie die anderen Teilnehmenden dabei vermummt waren, tatsächlich auch die Schuld oder Unschuld einer Person in einem Strafprozess verhandelt wird, zeigt sich auch bei dem Verfahren gegen Fabio V. Er ist der wohl bekannteste G20-Protestler, da er nach seiner Festnahme nach einer von der Polizei brutal zerschlagenen Demonstration am Hamburger Rondenbarg knapp fünf Monate in Untersuchungshaft saß. Sein Prozess stellt eine Art Präzedenzfall für das dortige Demonstrationsgeschehen dar. Schon seine lange Untersuchungshaft wurde unter anderem mit einzelnen schwarzen Kleidungsstücken, die er bei der Festnahme trug, begründet. Die Kleidungsstücke, die dem nicht entsprachen, ignorierte der Richter dabei.
Im Prozess haben Richterin, Schöffen und Staatsanwältin nicht einen der mittlerweile elf Zeugen befragt, ohne ausführlich die Frage der Kleidung der Demonstrierenden zu erörtern. Die Anklage möchte beweisen, dass der Demonstrationszug, in dem Fabio V. vermeintlich unterwegs war, in seiner Gesamtheit auf Gewalt aus gewesen sei und somit den Schutz des Versammlungsrechts verwirkt habe. Dann könnte Fabio V. wegen Landfriedensbruchs verurteilt werden. Dafür scheint den Prozessbeteiligten Kleidungsfarbe und Vermummung ein relevantes Indiz. Aber auch die Zeugen berichten mit großem Eifer von überwiegend schwarzer Kleidung und zum Teil vermummten Personen. Der ein oder andere belegt die Beschreibung auch gleich noch mit den passenden Adjektiven - wahlweise aggressiv oder angst-einflößend. Einer der Zivilfahnder, der sowohl je eine überwiegend grün und blau gekleidete Gruppe beim Weggehen vom Protestcamp verfolgt hatte, bevor er sich an die Gruppe von Fabio V. heftete, hatte erstere beide als "friedlich wie Spaziergänger" beschrieben, letztere als eine "große schwarze Masse, die sehr bedrohlich wirkte". Auf mehr als die Kleidungsfarbe gründete sich diese Zuschreibung allerdings nicht.
Beim Anschauen der zahlreichen Videos, die den Auszug der Gruppen aus dem Altonaer Volkspark zeigen, ist der einzige sichtbare Unterschied der Gruppen die Farbe der Kleidung. In dem Prozess wird relativ deutlich, dass das Tragen schwarzer Kleidung unabhängig von weiteren Tatsachen als relevant erachtet wird und dass ein Großteil der Zeugen auch feste Zuschreibungen mit derlei gefärbter Kleidung verbindet - aggressiv, gefährlich, gewalttätig.
Und genau da liegt auch die Problematik. Es ist nicht bestreitbar, dass die Taktik sich einheitlich schwarz zu kleiden, auch von militanten Gruppen genutzt wird und dass von ihnen zum Teil auch Gewalt gegen Sachen oder Menschen ausgeübt wird. Gleichzeitig kann es ihnen aber auch allein darum gehen, in einer Demonstration nicht erkannt zu werden. Das kann unter anderem für Antifaschist*innen zum Eigenschutz absolut nötig sein. Auch ist es eine Taktik, um vor der oft genug rechtswidrigen Aufnahme- und Überwachungspraxis der Polizei geschützt zu sein. Menschen sollten an dem gemessen werden, was sie tun, nicht welche Kleidung sie tragen. Erst Recht sollten keine Vorab-Kriminalisierung oder strafrechtliche Folgen daran geknüpft werden. Die Realität sieht aber anders aus. In Berichten über die Kleidung wird eine Zuschreibung transportiert. Und diese scheint nicht nur von der Polizei genutzt und befeuert, sondern in breiten Teilen der Gesellschaft und medial verankert.
Man kann es überspitzt einen erfolgreichen Feindaufbau nennen, der in der Folge Maßnahmen legitimiert, die ohne diese Zuschreibungen nicht durchsetzbar wären. Das sollten auch diejenigen bedenken, die diese Kleidung bei Demonstrationen wählen. Unter Umständen setzen sie sich damit mittlerweile sogar einem größeren Risiko von Polizeigewalt und Strafverfolgung aus.
Dieser Kommentar erschien zuerst in der Ausgabe 427 der Graswurzelrevolution vom März 2018