Seit der Veröffentlichung der Recherche-Plattform correctiv Anfang Januar 2024 wird die Debatte über ein mögliches Verbot der AfD intensiv geführt. Aus emanzipatorischer Sicht sprechen gute Gründe dagegen und einige Gründe dafür. Der folgende Text reflektiert fünf Pro- und fünf Contra-Argumente und wägt sie gegeneinander ab.
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Deutschland steht vor ›autoritären Kipppunkten‹. Nicht nur, dass die Umfragewerte der AfD bundesweit um 20 Prozent liegen und sie immer mehr kommunale Ämter besetzt. Fast erschreckender ist, wie weit und wie tief sich die vermeintlich ›demokratischen Mitte‹ bereits autoritär und rassistisch radikalisiert hat.
Deutlich wurde dies zuletzt an neuen Migrations- und Abschiebegesetzen, die Abschiebehaft ausweiten und in kalter neoliberaler Logik die Einbürgerung von behinderten, chronisch kranken und alleinerziehenden Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, nur noch in ›Härtefällen‹ erlaubt. Der Entwurf des neuen CDU-Grundsatzprogramms fordert gar, das individuelle Grundrecht auf Asyl in Deutschland völlig abzuschaffen. Zum autoritären Wandel gehören auch massive Kürzungen im sozialen Bereich, wachsende Repression gegen Klimabewegung und Antifaschist*innen, der Ausbau digitaler und biometrischer Überwachung, verschärfte Polizeigesetze sowie neue antifeministische und transfeindliche Allianzen.
Obwohl sich zahllose emanzipatorische Initiativen tagtäglich engagieren und immer wieder große Mengen an Menschen mobilisieren, etwa bei Klima- und Black Lives Matter-Protesten, steht die gesellschaftliche Linke, und wir als Teil von ihr, diesen rechts-autoritären Tendenzen in den letzten Jahren oft ohnmächtig gegenüber. Doch seit durch die Veröffentlichung der Rechercheplattform correctiv Anfang Januar 2024 bekannt wurde, dass Neonazis und AfD-Politiker*innen auf einem Geheimtreffen im November 2023 das Hinausdrängen und die Deportation von Millionen Menschen aus Deutschland geplant haben, gewinnen Mobilisierungen gegen Rechts an Kraft.
In diesem Kontext wird intensiv über ein Verbotsverfahren gegen die AfD diskutiert. Online-Petitionen mit entsprechenden Forderungen erreichen hunderttausende Unterschriften. Eine wachsende, aber noch minoritäre Zahl von Politiker*innen spricht sich für ein Verbot aus. Akteure aus sozialen Bewegungen und kritischer Zivilgesellschaft, darunter VVN/BdA und das Zentrum für politische Schönheit, setzen sich für ein Verbot ein, das durch eine antifaschistische und emanzipatorische Kampagne begleitet und inhaltlich bestimmt werden soll.
Diese Verbotsforderungen sind angesichts der realen Gefahr, dass Regierungen mit AfD-Beteiligung den autoritär-faschistischen Umbau einleiten, nur allzu verständlich. Zugleich sehen wir aus radikal demokratischer Perspektive in einem Verbot der AfD schwerwiegende Probleme und Risiken. Als Beitrag zur laufenden Debatte fassen wir im Folgenden sowohl Pro- als auch Contra-Argumente zusammen und wägen sie gegeneinander ab. Es handelt sich um Argumente, die aktuell aus unterschiedlichen emanzipatorischen Perspektiven vertreten werden und die wir auch intern zum Teil unterschiedlich bewerten.
Fünf Argumente für ein AfD-Verbotsverfahren
Pro-Argument 1: Abwendung faschistischer Regierungen und Schutz von Betroffenen
Es besteht die reale Gefahr, dass Landes- oder Bundesregierungen unter Beteiligung einer AfD, die von extrem rechten Kräften dominiert wird, einen faschistischen Umbau der deutschen Gesellschaft einleiten könnten. Um demokratische Verhältnisse zu verteidigen und einen faschistischen Staat abzuwenden, kann ein Verbot der AfD als notwendiger Schritt politischer Selbstverteidigung angesehen werden. Lokale Ämter und Regierungsbeteiligungen der AfD bedeuten für die Betroffenen von Rassismus, Queerfeindlichkeit und anderen menschenfeindlichen Ideologien unmittelbare Bedrohungen, die durch ein Verbot reduziert würden.
Ein Verbot der AfD würde zwar weder die Ursachen menschenfeindlicher Einstellungen noch ihre gesellschaftliche Praxis überwinden. Aber es könnte entscheidend sein, um die bereits heute autoritär eingeschränkten liberaldemokratischen Verhältnisse gegen eine bevorstehende Machtübernahme faschistischer Kräfte zu verteidigen und so die Bedingungen für die aus emanzipatorischer Sicht notwendige, sehr viel weitergehende Demokratisierung der Gesellschaft zu erhalten. Die Verteidigung demokratischer Verhältnisse ist auch deshalb unabdingbar, weil sonst jede Hoffnung schwinden könnte, solidarische Antworten auf die Vielfachkrise des globalen Kapitalismus, nicht zuletzt ihre ökologischen und klimatischen Dimensionen, durchzusetzen.
Pro-Argument 2: Keine öffentlichen Ressourcen für rechts-autoritäre Kräfte
Auch ohne an Regierungen beteiligt zu sein, profitiert die AfD und ihr extrem rechtes Umfeld, von öffentlichen Ressourcen. Dazu gehören Gelder der Parteienfinanzierung, Arbeitsplätze, Räume, Kontakte, Prestige und Informationen. Der faschistische Umbau wird mit öffentlichen Mitteln betrieben. Eine große Zahl extrem rechter Aktivist*innen (Identitäre, Burschenschaftler, Neo-Nazis) finanziert sich durch ihre AfD-Jobs in Parteiapparat und Parlamenten. Ein AfD-Verbot würde diesen Kräften Ressourcen entziehen. Es würde schwerer für sie werden, ihr menschenverachtendes Programm voranzutreiben. Rechte wären nach einem Verbot noch immer rechts und rassistisch. Aber durch den Verlust ihrer Ressourcen wären sie organisatorisch geschwächt und wohl jahrelang damit beschäftigt, sich zu reorganisieren.
Pro-Argument 3: Ein AfD-Verbotsverfahren würde die ›Brandmauer‹ stärken
Sollte ein AfD-Verbot ernsthaft geprüft oder gar ein Verfahren eingeleitet werden, könnte dies die gegenwärtig lückenhafte und bröckelnde ›Brandmauer‹ zur (parlamentarischen) Kooperation mit der AfD stärken. Wenn die AfD tatsächlich mit einem Verbotsverfahren konfrontiert wäre, könnten konservative Kräfte und weitere Akteure der ›demokratischen Mitte‹ von sich aus entscheiden oder durch Druck von links leichter dazu gebracht werden, Kooperationen mit der AfD zu beenden oder keine neuen einzugehen.
Angesichts der entscheidenden Rolle, die konservative Kräfte in der Weimarer Republik bei der Machtübergabe an die Nazis spielten, ist eine Nicht-Kooperation von konservativen mit faschistischen Kräften von enormer strategischer Bedeutung. »Schon die Einleitung der beiden Verfahren«, so der kritische Jurist Andreas Fischer-Lescano, »würde in der aktuellen Situation die Diskurslage in Deutschland verschieben und auch die Brandmauer gegen Kooperationen mit den Verfassungsfeinden verfestigen«.
Pro-Argument 4: Ein AfD-Verbotsantrag hätte, laut einigen Expert*innen, gute Chancen
Die Erfolgschancen eines AfD-Verbotsverfahrens werden äußerst unterschiedlich bewertet. Befürworter*innen, die einem Verbot hohe Chancen einräumen, verweisen vor allem auf zwei Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil im zweiten NPD-Verbotsverfahren 2017 formuliert hat. Einerseits stellte das Gericht fest, dass es für das Verbot einer nach ihren Zielen und Praktiken verfassungswidrigen Partei nicht einmal nötig sei, dass von dieser Partei eine »konkrete Gefahr« für demokratische Verhältnisse ausgeht. Die Barriere für ein Parteiverbot liegt niedriger. Es bedürfe, so das Gericht, lediglich »konkreter Anhaltspunkte von Gewicht, die einen Erfolg des gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gerichteten Handelns zumindest möglich erscheinen lassen.«
Derart gewichtige Anhaltspunkt lagen 2017 angesichts der Schwäche der NPD nicht vor, weshalb das Bundesverfassungsgericht ihr Verbot ablehnte. In Bezug auf die AfD stellt sich die Situation heute anders dar. Ihre Umfrageergebnisse liegen bundesweit um 20 Prozent, in einzelnen Bundesländern sind sie nicht weit von 40 Prozent entfernt. Die Anhaltspunkte für massiven gesellschaftlichen Einfluss sind überdeutlich.
Das zweite Kriterium für ein Parteiverbot bezieht sich darauf, ob nicht nur einzelne Vertreter*innen, sondern eine Partei in ihrer Gesamtheit planvoll daran arbeitet, demokratische Verhältnisse abzuschaffen oder zu beeinträchtigen. Dass die Ziele und Praxis großer und dominanter Teile der AfD gegen freie und demokratische Verhältnisse gerichtet sind, haben zivilgesellschaftliche und wissenschaftliche Recherchen immer wieder dokumentiert. Das Ziel eines rechten Regime Changes wird im AfD-Umfeld offen artikuliert.
Entsprechend argumentieren Befürworter*innen eines Verbots, etwa Andreas Fischer-Lescano: »[D]ie AfD ist auf allen Ebenen und in allen Regionen durchsetzt von Menschen, die sich gegen den Grundsatz der unteilbaren und unverfügbaren Menschenwürde […] wenden […]. [E]ine Ablehnung der Anträge [ist] daher kaum zu erwarten.« Auch eine im Juni 2023 veröffentlichte Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte kommt zu dem Schluss, dass die AfD »in ihrer Gefährlichkeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung mittlerweile einen Grad erreicht, sodass sie […] verboten werden könnte.«
Pro-Argument 5: Verbotskampagne als Fokus antifaschistischer Mobilisierungen
Ebenfalls auf strategischer Ebene wird argumentiert, dass eine linke Kampagne für ein AfD-Verbot als Fokus für breitere antifaschistische Strategien und Diskurse funktionieren könnte. Eine Verbotskampagne, so argumentieren etwa zwei Aktive des unteilbar-Bündnisses in der Zeitschrift analyse & kritik, würde die vielfach »geforderte politische bzw. gesellschaftliche Bekämpfung der AfD« konkretisieren, indem sie zwei Punkte deutlich macht:
Der Angriff der AfD auf die Demokratie besteht gerade in ihren menschenfeindlichen Ideologien, in »Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Nationalismus, Antifeminismus, Queerfeindlichkeit und Antipluralismus«. Und: Diese Ideologien und ihnen entsprechende Politiken werden bis weit in die ›Mitte der Gesellschaft‹ unterstützt. Eine linke Verbotskampagne, so die Hoffnung, würde Gelegenheiten bieten, diese Diskurse zu kritisieren und zurückzudrängen. Eine solche Kampagne, so die Bundesvorsitzende des VVN/BdA bräuchte »enorme Kraft, Ressourcen und einen sehr langen Atem. Das muss bedacht und erörtert werden. Ich persönlich denke, der Einsatz würde sich lohnen!«
Es sind wohl u.a. die bisher skizzierten fünf Argumente, die gefühlt große Teile der gesellschaftlichen Linken dazu führen, ein AfD-Verbot zu unterstützen. Zugleich birgt ein AfD-Verbotsverfahren aus radikal demokratischer Perspektive schwerwiegende Probleme und Risiken, die in der Debatte bedacht werden sollten.
Fünf Argumente gegen ein AfD-Verbotsverfahren
Contra-Argument 1: Parteiverbote widersprechen radikal demokratischen Prinzipien
Die grundlegende Idee einer sich demokratisch umfassend selbst regierenden Gesellschaft besteht darin, dass alle ihre Mitglieder sich frei und substanziell an Debatten und Entscheidungsprozessen beteiligen können. Wenn bestimmte Positionen oder Vereinigungen staatlicherseits verboten oder unterdrückt werden, nimmt die Möglichkeit radikal demokratischer Selbstbestimmung Schaden. Staatliche Repression schädigt die Voraussetzungen, unter denen demokratische Selbstbestimmung überhaupt gelingen könnte.
In Bezug auf das erste NPD-Verbotsverfahren 2001 kommentierte der Mitbegründer des Grundrechtekomitees Wolf-Dieter Narr: »Wenn Vertreter der ›abwehrbereiten‹ oder ›streitbaren‹ Demokratie darauf zielen, die politischen Freiheiten anderer regierungsamtlich, justiziell, polizeilich, strafverfolgerisch, illiberal zu beschneiden, dann knebeln sie die demokratische Atemluft für sich selbst; dann fördern sie in Bewusstsein und Verhalten der BürgerInnen, in ihren Einrichtungen und in ihnen selbst einen grundrechtlichen Erosionsprozess.« Demokratische und menschenrechtliche Normen können nur realisiert werden, wenn ihnen passende gesellschaftliche Formen entsprechen, in politischer wie ökonomischer Hinsicht.
›Formen‹ staatlicher Repression, darunter Parteiverbote, entsprechen nicht einer radikalen, partizipativen, sondern einer beschränkten, illiberalen Demokratie. Sie erschweren und behindern das Ziel einer in allen gesellschaftlichen Bereichen praktisch gelebten Demokratie. Die bisherigen Parteiverbote in der Geschichte der BRD, nicht zuletzt das KPD-Verbot von 1956, belegen, so der ehemalige Grundrechtekomitee-Referent Dirk Vogelskamp, dass durch Parteiverbote »antidemokratische, antiliberale Signale in die Gesellschaft ausgesendet« werden.
Contra-Argument 2: Ein AfD-Verbot würde autoritäre Tendenzen forcieren, die sich auch gegen die gesellschaftliche Linke richten
Entsprechend birgt ein Verbotsverfahren gegen die AfD das Risiko, Law-and-Order-Logiken weiter zu stärken und die autoritären Tendenzen des gegenwärtigen Kapitalismus noch zu forcieren. Verfassungsschutzämter und Sicherheitsbehörden, die ein Verbot der AfD mit vorbereiten und – bei Erfolg – gegen sie und ihre Folgeorganisationen repressiv durchsetzen müssten, würden legitimiert und gestärkt. Es besteht die Gefahr, dass Akteure der ›demokratischen Mitte‹ ein AfD-Verbotsverfahren auf Basis der Extremismusdoktrin betreiben würden. ›Rechts-‹ und ›Linksextreme‹ könnten erneut gleichgesetzt und die autoritären und rassistischen Gehalte in der ›Mitte der Gesellschaft‹ rhetorisch überdeckt werden.
Und obwohl das Bundesverfassungsgericht den Inhalt der ›freiheitlich-demokratischen Grundordnung‹ 2017 auf Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltmonopol präzisiert hat, könnte der in einem AfD-Verbotsverfahren möglicherweise forcierte Extremismus-Diskurs dazu führen, dass die FDGO, in schlechter antikommunistischer Tradition (KPD-Verbot 1956, Berufsverbote 1970er) und in der autoritären Logik Carl Schmitts erneut für die innere Feinderklärung genutzt und als ideologische Waffe auch gegen die gesellschaftliche Linke gerichtet wird. Ob es so käme, dies ist klar, hinge von den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen ab, insbesondere von der relativen Stärke eines linken Antifaschismus.
Die ideologischen und repressiven Staatsapparate, welche durch ein AfD-Verbotsverfahren gestärkt würden, könnten sich spätestens dann gegen die gesellschaftliche Linke richten, wenn es emanzipatorischen Kräfte gelänge, die gegenwärtige, autoritär-neoliberale Ordnung ernsthaft herauszufordern. Auch deshalb ist es aus emanzipatorischer Sicht gefährlich, den Ausbau von Sicherheitsapparaten und ihren ideologischen Instrumenten zu unterstützen.
Mehr noch: Falls es nach dem Scheitern eines auf Basis der Extremismus-Doktrin geführten Verbotsverfahrens zu einer Regierungsbeteiligung der AfD kommt, stünden der Partei all die zuvor von der ›demokratischen Mitte‹ eingeführten Repressionsmittel ›schlüsselfertig‹ zur Verfügung. Entsprechend leichter würde es für die AfD werden, ihr faschistisches Projekt durchzusetzen
Contra-Argument 3: Der positive Bezug auf die ›wehrhafte Demokratie‹ ist ahistorisch
Ein AfD-Verbotsverfahren wird gegenwärtig auch von links häufig damit begründet, Demokratie müsse ›streitbar‹ und ›wehrhaft‹ sein. Dies habe das Ende der Weimarer Republik gezeigt. Dies ist eine falsche Lehre aus der Geschichte. Die Nazis kamen 1933 nicht deshalb an die Macht, weil die Weimarer Republik zu demokratisch war oder ihre Akteure trotz der faschistischen Gefahr allzu naiv an demokratischen Prinzipien festhielten. Statt einem Zuviel an sozialer und radikaler Demokratie scheiterte die Weimarer Republik am Festhalten herrschender Klassenfraktionen an einer Massenelend in Kauf nehmenden Wirtschaftspolitik, an ihrem im Notstand autoritären Präsidialsystem und am Bündnis konservativer und faschistischer Kräfte. Die Weimarer Republik war bei ihrem Untergang bereits autoritär ausgehöhlt, ihr demokratisches Widerstandspotenzial geschwächt, durch massive Grundrechtsverletzungen, willkürliche Inhaftierungen, Einschüchterung linker Kräfte, Polizeirepression und Parteiverbote – eine Situation, die der heutigen zu ähneln beginnt.
Ein positiver Bezug auf das Konstrukt einer ›wehrhaften Demokratie‹ von links ist daher nicht nur ahistorisch, sondern auch demokratieverkürzend. Eine Demokratie, die den Namen verdient, wird gesichert, indem man demokratische Prinzipien und Verfahren ausbaut und politische, soziale und gewerkschaftliche Rechte radikal stärkt, in allen gesellschaftlichen Feldern und auf allen Ebenen. Anstatt autoritäre Logiken und repressive Instrumente durch ein AfD-Verbotsverfahren zu forcieren, sollte die gesellschaftliche Linke sich zur Verteidigung der Demokratie für eine radikale Demokratisierung einsetzen.
Contra-Argument 4: Ein AfD-Verbot ändert nichts an den Ursachen faschistischer Tendenzen und würde linke Kräfte binden und ablenken
Ein weiteres Problem ist, dass ein Verbot der AfD keinen Deut an den gesellschaftlichen Verhältnissen ändern würde, aus denen sich Rassismus und Autoritarismus speisen und die faschistischen Kräften die Mobilisierung erleichtern. Diese Verhältnisse liegen heute zentral in einer Vielfachkrise des globalen Kapitalismus, die mit autoritären und neoliberalen Scheinlösungen bearbeitet wird. Anstatt auf die multiple Krise mit einem egalitären und solidarischen Gesellschaftsmodell zu antworten, das ökologischen Umbau mit einem radikalen Ausbau sozialer Demokratie kombiniert und so für breite Schichten attraktiv ist, treiben die Parteien der ›Mitte‹ die Absicherung neoliberaler Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik zunehmend autoritär voran, durch mehr Repression und Grundrechtsabbau.
Es wäre historisch nicht das erste Mal, dass rechts-bürgerliche Kräfte alle demokratischen Grundsätze über Bord werfen, um die kapitalistische Ordnung im eigenen Interesse zu verteidigen – das Ende der Weimarer Republik ist nur ein Beispiel hierfür.
Aus dieser gesellschaftlichen Dynamik resultieren weitverbreitete Unsicherheit, soziale Verwerfungen und autoritäre Kipppunkte. Extrem rechte Kräfte reagieren auf diese Situation mit egoistischen und rassistischen Ressentiments und faschistischen Scheinlösungen. Ampel-Regierung und CDU/CSU setzen dieser Dynamik außer Rhetorik und Sonntagsreden wenig entgegen. Stattdessen treiben sie selbst eine autoritäre Absicherung ihrer fortgesetzt neoliberalen Politik voran, u.a. in Bezug auf Migration (Lager an den EU-Außengrenzen, neue Abschiebegesetze), innere Sicherheit (neue Polizeigesetze, biometrische und digitale Überwachung) und Militär (Aufrüstung für eine ›kriegstüchtige‹ Bundeswehr).
Ein AfD-Verbotsverfahren könnte somit als Nebelkerze funktionieren. Ein aus der ›Mitte der Gesellschaft‹ betriebenes AfD-Verbotsverfahren läuft Gefahr, antifaschistische Aktivität lediglich vorzutäuschen. Die Parteien der ›Mitte‹ würden Aktivität simulieren und wären weniger unter Druck, die drängenden Schritte einer demokratischen, antirassistischen und sozial-ökologischen Transformation anzugehen. In breiteren Schichten könnte ein Verbotsverfahren sogar den Impuls zu eigenem Engagement reduzieren. Weite Kreise könnten sich von der Verantwortung entlastet fühlen, die Demokratie selbst zu verteidigen, in der Logik, so Wolf-Dieter Narr 2001, »das Verfassungsgericht wird es schon richten. Wir brauchen uns weiter nur um unsere Angelegenheiten kümmern, für Bürger- und Menschenrechte sorgen Verbote und Strafverfahren«. Somit könnte eine linke AfD-Verbotskampagne auf Jahre emanzipatorische Kräfte und ihre Ressourcen an eine Strategie binden, die an den herrschenden Verhältnissen wenig bis nichts verändert und die die autoritären Tendenzen der ›Mitte der Gesellschaft‹ eher forciert als aufhält.
Contra-Argument 5: Der Ausgang eines Verbotsverfahrens ist ungewiss und könnte faschistische Potenziale provozieren
Die Erfolgschancen eines AfD-Verbotsverfahren werden, wie oben erwähnt, unterschiedlich eingeschätzt. Viele Jurist*innen halten den Ausgang für ungewiss. Ein erfolgreiches Verbot, das ohnehin Jahre auf sich warten lassen und an der aktuellen Situation nichts ändern würde, ist alles andere als gesichert. Ein Verbot könnte etwa daran scheitern, dass der Verfassungsschutz zu viele V-Leute in AfD-Strukturen einsetzt und das Bundesverfassungsgericht, wie beim ersten NPD-Verbotsverfahren 2001-2003, nicht zwischen den Aussagen von staatlich finanzierten Spitzeln und von eigenständig agierenden Parteimitgliedern unterscheiden kann.
Vor diesem Hintergrund sind die strategischen Risiken eines Verbotsverfahren überaus ernst zu nehmen. Nicht nur, dass ein Scheitern des Verbotsantrag die AfD legitimieren und stärken würde. Bereits ein eingeleitetes Verfahren würde es ihr erlauben, sich erneut als heldenhaftes Opfer ungerechtfertigter Verfolgung durch ›Altparteien« und ›Lügenpresse‹ zu inszenieren. Noch mehr Menschen könnten sich aus Empörung der AfD anschließen und ihr rassistisch-autoritäres Weltbild übernehmen. Selbst der Erfolg eines Verbotsverfahrens könnte aus demokratischer Sicht gefährlich sein, wenn AfD-Anhänger*innen sich dadurch weiter radikalisieren und die Umsturz-Fantasien des rechten Spektrums gewaltsam eskalieren – mit unabsehbaren Folgen.
Die Gefahr gewaltsamer faschistischer Gegenreaktionen sollte antifaschistische Kräfte nicht vom Handeln abhalten. Auch ein Nicht-Handeln birgt Risiken. Gleichwohl muss strategisch klug agiert werden. Die faschistischen Potenziale der deutschen Gesellschaft sollten weder unüberlegt noch unvorbereitet provoziert werden. Der Ruf nach einem staatlichen AfD-Verbot weist eher darauf hin, dass viele zivilgesellschaftliche Kräfte gegenwärtig wenig Vertrauen in die eigene antifaschistische Handlungsfähigkeit besitzen. Kräfte der gesellschaftliche Linken, die ein AfD-Verbotsverfahren unterstützen, sollten reflektieren, ob sie in der Lage sein werden, die provozierten faschistischen Potenziale durch antifaschistische Mobilisierungen in Schach zu halten.
Demokratie durch Demokratisierung schützen
Die skizzierten Gegenargumente haben gezeigt, dass gute Gründe vorliegen, ein AfD-Verbotsverfahren aus emanzipatorischer Sicht abzulehnen: Parteiverbote widersprechen radikal demokratischen Prinzipien und stärken autoritäre Politikformen. Weder die Ursachen noch die konkreten Formen von Rassismus und autoritären Tendenzen würden durch ein AfD-Verbot überwunden. Die Parteien der ›Mitte‹ müssten nichts an ihrer autoritär-neoliberalen und rassistischen Politik ändern, da Demokratieabbau und Rassismus diskursiv auf die AfD ausgelagert würden. Schließlich könnte ein Verbotsverfahren als ablenkende Nebelkerze wirken und das faschistische Potenzial in Deutschland gefährlich provozieren.
Dennoch, auch die von uns zu Beginn des Textes zusammengefassten Pro-Argumente wiegen schwer: Ein erfolgreiches AfD-Verbot wäre zwar nicht in der Lage, die Ursachen von Rassismus und Autoritarismus zu überwinden, aber dies wäre auch nicht Ziel dieser Strategie. Ihr Ziel bestünde darin, eine unmittelbar drohende Machtübernahme faschistischer Kräfte abzuwehren und die extreme Rechte durch den Entzug von Geldern und anderen Ressourcen organisatorisch zu schwächen.
Auf diese Weise würden die Betroffenen der menschenfeindlichen AfD-Ideologien geschützt und die Bedingungen für weitergehende emanzipatorische Kämpfe erhalten. Bereits die Einleitung eines Verfahrens könnte die ›Brandmauer‹ gegenüber der AfD stärken und es konservativen Kräften erschweren, anders als am Ende der Weimarer Republik, dem Faschismus an die Macht zu verhelfen. Schließlich stehen die Erfolgschancen eines AfD-Verbots laut einigen Jurist*innen nicht so schlecht und eine linke AfD-Verbotskampagne könnte als Kristallisationspunkt weitergehender Strategien funktionieren.
Aus emanzipatorischer Perspektive haben sowohl linke Befürworter*innen als auch Kritiker*innen eines AfD-Verbotsverfahren gute Gründe auf ihrer Seite. Als Grundrechtekomitee weisen wir insbesondere auf die problematischen Gehalte von Strategien hin, die auf staatliche Repression und hochproblematische Kategorien wie ›wehrhafte Demokratie‹ und ›FDGO‹ setzen und damit die aktuell erstarkende autoritäre Bearbeitung gesellschaftlicher Konflikte weiter forcieren. Unsere Rolle sehen wir deshalb gegenwärtig in einer kritischen Begleitung der Verbotsdebatte.
Dass ein Verbotsverfahren, wenn überhaupt, nur ein Teilelement einer breiten antifaschistischen Strategie sein kann, ist in der gesellschaftlichen Linken, und zumindest rhetorisch auch darüber hinaus, Konsens. Eine zentrale Perspektive besteht aus unserer Sicht darin, die Demokratie zu verteidigen, indem wir demokratische Prinzipien und Verfahren sowie soziale und politische Grund- und Menschenrechte auf allen Ebenen und in allen Feldern radikal vertiefen und ausweiten. Was dies konkret bedeuten kann und wie sich hier und in konkreten antifaschistischen Kämpfen aktuell Fortschritte erzielen lassen, gilt es als gesellschaftliche Linke zu klären und immer wieder neu zu verhandeln..