Seit knapp 35 Jahren haben Strafgefangene, die arbeiten, Anspruch auf Einbeziehung in die Rentenversicherung. Das entsprechende Gesetz ist nur nie in Kraft getreten. Ein Gespräch mit Johannes Feest
jw: Sie fordern Rente für Strafgefangene, die einer Arbeit oder Ausbildung nachgehen. Gemeinsam mit dem Komitee für Grundrechte und Demokratie, der Humanistischen Union, dem Strafverteidiger Benedikt Lux (Bündnis 90/Die Grünen) und dem Sprecher für Rentenpolitik der Partei Die Linke, Matthias Birkwald, haben Sie eine Petition an den Bundestag verfaßt. Kann die Bundesregierung sich überhaupt weigern, darauf einzugehen?
Ja. Denn das hat sie bereits seit mehr als 30 Jahren getan - obgleich der Gesetzgeber Rente für Strafgefangene im Strafvollzugsgesetz von 1976/77 vorgesehen hat. Das war Teil einer Gesamtreform des Strafvollzugswesens in den 70er Jahren: Strafgefangene sollen arbeiten, angemessen entlohnt werden und in die Sozialversicherung - also auch in die Rentenversicherung - einbezogen werden. Das konnte damals nicht sofort umgesetzt werden, weil die Finanzminister der Länder Einspruch erhoben haben. Deshalb sollte das Gesetz begrenzt aufgeschoben, schließlich aber durch ein zusätzliches Bundesgesetz in Kraft gesetzt werden. Der Gesetzgeber hielt es seinerzeit für unentbehrlich, Strafgefangene in die sozialen Sicherungssysteme einzubeziehen, und betonte, daß es »nicht gerechtfertigt ist, neben den notwendigen Einschränkungen, die der Freiheitsentzug unvermeidbar mit sich bringt, weitere vermeidbare wirtschaftliche Einbußen zuzufügen«.
jw: Trifft also zu, daß der Staat an rund 30000 Strafgefangene, die in den Haftanstalten arbeiten oder einer Ausbildung nachgehen, keine Rentenbeiträge zahlt, obwohl er dazu gesetzlich verpflichtet wäre?
Es war ein ungeheuerlicher Trick, dieses Gesetz festzuschreiben, aber nie in Kraft treten zu lassen. Auf diese Weise ist keine Verpflichtung entstanden - auch nicht die, eventuell rückwirkend Rente zu zahlen. Die Gefangenen fühlen sich seither um ihre Altersabsicherung betrogen.
jw: 1300 Personen haben die Petition unterzeichnet, darunter fast 300 betroffene Strafgefangene aus verschiedenen Haftanstalten. Engagieren die sich aktiv für ihre Rente?
Seit 30 Jahren ist das ein ständiges Anliegen der Gefangenen. Als Leiter des Strafvollzugsarchivs erhalte ich wöchentlich im Schnitt 15 Briefe, das summiert sich über die Jahre hinweg auf Tausende. Darin geht es ständig um das Thema Sozial- und Rentenversicherung. Viele fragen immer wieder nach: »Aber das ist doch Gesetz?« Auf eine kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linke hin hat die Bundesregierung zuletzt 2008 betont, daß sie es »weiterhin für sinnvoll« halte, Strafgefangene in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Aber das war es dann auch.
jw: Längst nicht alle Strafgefangenen erhalten die Möglichkeit, einer Ausbildung oder einer Arbeit nachzugehen - wovon hängt das ab?
Das kommt darauf an, wieviel Arbeit in der jeweiligen Haftanstalt vorhanden ist. Ob Firmen Aufträge dorthin vermitteln oder die Anstalt über eigene Betriebe verfügt, beispielsweise eine Wäscherei oder Druckerei. Tatsächlich haben mitunter nur die Hälfte der Gefangenen einer Anstalt Arbeit. Obwohl auch im Gesetz steht: Die Vollzugsbehörde soll dem Gefangenen wirtschaftlich ergiebige Arbeit zuweisen und dabei seine Fähigkeiten, Fertigkeiten und Neigungen berücksichtigen. Eigentlich dürfte dies nur in Ausnahmefällen nicht berücksichtigt werden.
jw: Wie sind denn die Strafgefangenen, denen es gelungen ist, Arbeit zu ergattern, ansonsten sozial abgesichert?
In die Unfall- und Arbeitslosenversicherung sind sie minimal einbezogen, aber nicht in die Krankenversicherung. Gefangene sind auf den Anstaltsarzt angewiesen und haben keine freie Arztwahl. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt es nicht, weil der Arbeitslohn zu gering ist. Sie erhalten nur neun Prozent dessen, was durchschnittlich außerhalb gezahlt wird. Ursprünglich war im Strafvollzugsgesetz von 1976/77 vorgesehen, die Gefangenenlöhne schrittweise auf 40 Prozent zu erhöhen. Auch dieses Versprechen wurde nicht gehalten. Nur wenige Organisationen beschäftigen sich mit Menschenrechten im Gefängnis. Es ist ein wichtiges Signal, daß sie sich jetzt zur Durchsetzung der Rentenforderung zusammengeschlossen haben.
junge welt, 19.7.2011: http://www.jungewelt.de/2011/07-19/051.php
Johannes Feest ist Leiter des Strafvollzugsarchivs in Bremen.Vor seinem Ruhestand war er Professor für Strafverfolgung, Strafvollzug und Strafrecht der Universität Bremen