Die vorliegende kleine Schrift soll vor allem zwei Fragen nachgehen, die sich aus Sicht des Komitees für Grundrechte und Demokratie 15 Jahre nach der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl im Rückblick stellen:
1. Was bedeutet dieser tiefe Einschnitt in die Verfassung für das politische System der Bundesrepublik Deutschland?
2. Welche Folgen hat die Asylrechtsänderung für Asylsuchende und für das System des Flüchtlingsschutzes? Und was haben Tausende Tote an den Außengrenzen der Europäischen Union mit der Entscheidung vor 15 Jahren zu tun?
1. Was bedeutet die Asylrechtsänderung für das politische System der Bundesrepublik Deutschland?
Politik als Fortsetzung rechter Gewalt
Im Jahr 1992, als die Änderung des Asylrechts („Asylkompromiss“) vereinbart wurde, gab es in der Bundesrepublik Deutschland 2.285 Gewalttaten mit erwiesener oder vermuteter „rechtsextremistischer“ Motivation, d.h. durchschnittlich fünf bis sechs gewalttätige Übergriffe täglich. Allein an einem Tag in diesem Jahr waren es 78 Gewalttaten. In knapp 90% der Fälle handelte es sich um Angriffe auf Nicht-Deutsche. 17 Menschen starben 1992 infolge der Gewalt. Diese Zahlen können nur andeutungsweise die Stimmung und Situation in Deutschland beschreiben, in der die Abgeordneten des Deutschen Bundestages eine folgenschwere Entscheidung trafen.
Am 26. Mai 1993 beschloss eine Zwei-Drittel-Mehrheit von Abgeordneten aus CDU/CSU, SPD und FDP, das Grundrecht auf Asyl nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG einzuschränken – es faktisch abzuschaffen (siehe Kasten S. ). Die Politik beugte sich dem öffentlichen Druck von Gewalttätern, die Unterkünfte von Asylsuchenden anzündeten und radikale Maßnahmen gegen die Schutzsuchenden forderten. Medien und Politik hatten dieses Gewaltklima brandredend selbst miterzeugt. In der Sprache spiegelte sich die Entmenschlichung der Schutzsuchenden wieder. Regelmäßig war von „Wirtschaftsasylanten“ die Rede – ein Begriff, der die Hilfe bedürftigen Menschen als „Asylbetrüger“ oder „Sozialschmarotzer“ denunzieren sollte. Die Zufluchtsuchenden wurden dargestellt als ein gefährlicher Bestandteil einer riesigen „Asylantenflut“. Das Kanzlerwort vom „Staatsnotstand“ gab insofern die Richtung vor: Handeln wir nicht, droht Deutschland von der „Asylantenflut“ überschwemmt zu werden
... Anders als ein Jahrzehnt später bei der tatsächlichen „Jahrhundertflut“ an der Oder war das Motiv staatlichen Handelns damals aber nicht, Menschen in Not solidarisch zu helfen, sondern genau im Gegenteil, ihnen sollte diese Hilfe systematisch verweigert werden. Der im Dezember 1992 beschlossene so genannte „Asylkompromiss“ der etablierten Parteien (damals noch exklusive der GRÜNEN) stand am Ende einer Entwicklung der politischen, rechtlichen und bürokratischen Aushöhlung des Grundrechts auf Asyl. Aktuell war er auch eine Reaktion auf das regierungsoffiziell mitverschuldete Pogrom von Rostock, als Hunderte Gewalttäter unter den Augen der Polizei, unterstützt von Tausenden Anwohnerrinnen und Anwohnern, Dutzende Menschen zu verbrennen und Rostock-Lichtenhagen „asylantenfrei“ zu machen drohten. „Verantwortliche“ Politiker reagierten auf solche Gewaltakte zu jener Zeit häufig mit den Worten, dass dieses Morden und Brandschatzen das ‚Ansehen Deutschlands‘ in der Welt schädige und unterbunden werden müsse. Um solche Geschehnisse zukünftig zu verhindern, müsse deshalb der ‚Asylmissbrauch‘ beendet werden. Vergebens wurde vorgebracht, dass Politiker durch solche Reden die Gewalt erst hervorbrächten und anheizten, die sie zu bekämpfen vorgaben.
Die SPD änderte in diesem Klima ihre ursprüngliche Position einer strikten Ablehnung einer Asylrechtsänderung in nur kurzer Zeit, und die Mitglieder des Bundestages, die das Grundrecht auf Asyl dem mitgeschaffenen ‚Volkswillen‘ opferten, wurden so zu Erfüllungsgehilfen der Gewalt: „Was vor fünfundzwanzig Jahren rechtsradikale Agitation gewesen wäre, wurde (…) Teil der Tagespolitik“, urteilte vor knapp 15 Jahren Heribert Prantl („Deutschland – leicht entflammbar“, 1994, S. 9).
Was beinhaltete die Asylrechtsänderung konkret? Bereits an der komplizierten, auf andere Sachverhalte verweisenden Form des neuen Artikels 16 a wird die systematische ‚Zerstörung‘ eines Grundrechts deutlich:
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG (bis 1.7.1993) Artikel 16a GG (seit 1.7.1993) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. „Sichere Drittstaaten“-Regelung „Sichere Herkunftsstaaten“-Regelung Einschränkung des Rechtsschutzes Europäisierung des Asylrechts (1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. (2)
Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt.
In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden. (3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, dass er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird. (4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen. (5)
Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muss, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
Die damaligen politischen Auseinandersetzungen um das Asylrecht wurden zusätzlich befördert von einer nationalistischen Neubestimmung von Politik und Gesellschaft, die die ‚Wiedervereinigung‘ Deutschlands mit sich brachte. Die Beseitigung des Grundrechts auf Asyl, das eine praktisch wirksame Lehre aus der beschämenden nationalsozialistischen deutschen Geschichte darstellte, kann insofern als ein weiterer Schritt bei dem allmählichen Heraustreten der ost-erweiterten Bundesrepublik aus dem ‚Schatten der deutschen Vergangenheit‘ angesehen werden. Opfer dieser Politik waren nicht nur Asylsuchende, sondern alle in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten: Man müsse alles vermeiden, was ‚Wasser auf die Mühlen der Rechtsradikalen‘ leiten könnte, sagte der damalige Außenminister und FDP-Vorsitzende Klaus Kinkel nach dem fünffachen Mord an der türkischen Familie Genc in Solingen. Er führte dies als Argument gegen die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft und gegen ein allgemeines Ausländerwahlrecht an (vgl. Heribert Prantl, a.a.O., S. 26). Geopfert wurden darüber hinaus allgemeine Grundwerte der Verfassung.
Nochmals Heribert Prantl in seiner weit vorausschauenden Bewertung aus dem Jahr 1994: „Die Geschichte, die zum neuen Artikel 16a Grundgesetz geführt hat, ist die Geschichte des größten und folgenschwersten politischen Versagens in der Geschichte der Bundesrepublik“ (ebd., 100). „Die Asylpolitik der letzten zwanzig Jahre ist (…) das Menetekel für die allgemeine Politik der inneren Sicherheit in den nächsten zwanzig Jahren“. (ebd., 149) „Das Verhalten der SPD in Sachen Asyl war exemplarisch – und ein Fall für ein Lehrbuch der Parteipsychiatrie. Das einschlägige Kapitel trägt den Titel: Wie man alles hergibt und nichts dafür erhält. (…) Die Partei, die vor fünfundzwanzig Jahren [also nach 1968] die Rechtspolitik entscheidend vorangetrieben hat, reicht der Union die Hand bei der Demontage des Rechtsstaates. (…) Die Sozialdemokratie betreibt, wie so oft in ihrer Geschichte, wenn ihr Dagegenhalten gefordert gewesen wäre, etatistische Politik. (…) Der liberale Rechtsstaat hat keinen politischen Hüter mehr“ (ebd., 292 ff).
Viele Beispiele bestätigen diese These des bürgerlich-liberalen Kritikers der Asylrechtsänderung. In Zeiten der ‚Bekämpfung des Terrorismus‘ unter Bedingungen der Großen Koalition gilt dies umso mehr. Zu denken gibt im Rückblick allerdings noch etwas anderes: Während vor 15 Jahren noch ein breites gesellschaftliches Spektrum von Organisationen, Initiativen und Kirchengemeinden und darüber hinaus Zehntausende Einzelpersonen auf den Straßen lautstark gegen die geplante Zäsur im Asylrecht protestierten, regt sich aktuell kaum noch Kritik an der damals eingeschlagenen Politik und dem damit verbundenen grundrechtswidrigen Umgang mit Schutz suchenden Menschen, der bis heute andauert. Während bei aktuellen Grundrechtseinschnitten, die vor allem mit der ‚Gefahr des Terrorismus‘ begründet werden, das Bundesverfassungsgericht noch rechtsbalancierend wirkt, wurde die Aushebelung des Grundrechts auf Asyl von einer Mehrheit des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1996 geradezu kritiklos und umfassend bestätigt. Sündenbock-Politik Die Asylrechtsänderung war aus Sicht der Verantwortlichen „erfolgreich“. Sie führte zu einem massiven Rückgang der Asylsuchenden in Deutschland.
Im Jahr 2007 betrug diese Zahl nach offiziellen Angaben nur noch knapp ein Zwanzigstel des Höchstwertes aus dem Jahr 1992, nämlich unter 20.000 Asylanträge. Herbert Leuninger von PRO ASYL mahnte aber bereits im Jahr 1994: Alle, die dem damaligen Bundesinnenminister Kanther (CDU) wegen des Rückgangs der Asylzahlen applaudierten, sollten sich fragen, ob sich mit diesem Rückgang auch ihre eigene soziale Situation verbessert habe. Dann würden sie feststellen, dass ihre Lage nicht von der Flüchtlingszahl abhängt, sondern Symptom der deutschen Zwei-Drittel-Gesellschaft ist (Frankfurter Rundschau vom 6.7.1994).
In der Tat: Während vor 15 Jahren vermutlich eine Mehrheit aller Deutschen glaubte, der eigene Wohlstand, der eigene Job und erreichte Sozialstandards seien existenziell durch eine (zu) große Zahl von Asylsuchenden gefährdet, ist heute zu konstatieren: offenkundig können nicht die Flüchtlinge für eine unsoziale Politik verantwortlich gemacht werden, die Millionen Menschen in Deutschland dazu zwingt, am Rande des Existenzminimums zu leben. Denn die systematische soziale und politische Entmündigung, für die das Kürzel Hartz IV steht, erfolgte in einer Zeit, in der das Thema Asyl wegen seiner Bedeutungslosigkeit weitgehend von der politischen Agenda verschwunden war. Das Asylrecht fiel 1993 unter anderem dem Umstand zum Opfer, dass sich die Flüchtlinge als ideale „Sündenböcke“ in einer gesellschaftlichen Umbruchzeit instrumentalisieren ließen, um vom eigenen politischen Versagen abzulenken. Historische Erklärungsfaktoren
Im Rückblick müssen die Besonderheiten der historischen Konstellation Anfang der 1990er Jahre erinnert werden: Nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation und dem Zerfall der ehemaligen Sowjetunion setzten sowohl das enorme Wohlstandsgefälle entlang des ehemaligen ‚eisernen Vorhangs‘ als auch politische, soziale, ökonomische und manifest gewalttätige Verwerfungen in den Ländern des ehemaligen Warschauer Vertrages viele Menschen aus Osteuropa in Bewegung. Allerdings ungleich weniger als politisch beschworen worden waren. Eine Möglichkeit der Aufnahme und Einwanderung jenseits des Asylrechts gab es nicht. Nicht einmal die Roma aus Rumänien – die größte Gruppe unter den Asylsuchenden in den Jahren 1990 bis 1993 –, die vor mörderischen Pogromen, einem massiv aufgebrochenen rassistischen Antiziganismus und sozialen Deklassierungen flohen, hatten eine Chance auf Anerkennung im Asylverfahren.
Im Gegenteil: Rumänien wurde durch die Asylrechtsänderung kurzerhand zum „sicheren Herkunftsstaat“ erklärt – was ‚strikt rechtsstaatlichen‘ Massenabschiebungen im Schnellverfahren den Weg bereitete. Anfang der 1990er Jahre flohen zudem viele Asylsuchende vor den Auswirkungen des kriegerischen Zerfalls des ehemaligen Jugoslawien in die Bundesrepublik Deutschland. Diese Flüchtlinge aus Bosnien, Kroatien, dem Kosovo stellten von 1990 bis zum Jahr 2000 die größten Gruppen der Asylsuchenden in Deutschland dar. Mangels wirksamer Schutzregelungen für Kriegsflüchtlinge blieb ihnen häufig keine andere Wahl, als einen Asylantrag zu stellen, obwohl sie nach deutschem Recht keinerlei Anerkennungschance hatten. Von nicht wenigen Kommunen wurden sie aus Kostengründen hierzu gedrängt – und sie bestätigten auf diese Weise – aufgrund der absehbaren Asylablehnungen – gezwungenermaßen die Propaganda vom angeblich massenhaften „Asylmissbrauch“.
Es ist eine pikante Randnote der Geschichte, dass die im „Asylkompromiss“ auf Drängen der SPD im Gegenzug zur faktischen Abschaffung des Asylrechts beschlossene Regelung für Bürgerkriegsflüchtlinge (§ 32a des Ausländergesetzes) in den zwölf Jahren ihres Bestehens nur ein einziges mal angewandt wurde (1999 bei der Aufnahme von Kosovo-Flüchtlingen).
Die Gruppe, für die sie ursprünglich gedacht war, die bosnischen Kriegsflüchtlinge, wurden hingegen über Jahre hinweg nur geduldet und mussten ohne sicheren Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik leben, bis die deutsche Politik zu ihrer erneuten ‚Vertreibung‘ (aus Deutschland) ansetzte.
Der Mythos der Zahlen
Die Konstruktion einer die Bundesrepublik existenziell bedrohenden „Asylantenflut“ war politisch unverantwortlich – und sie war empirisch falsch. Bis heute wird zur politischen Rechtfertigung der Asylrechtsänderung vorgebracht, im Jahr 1992 hätten 440.000 Menschen einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Die Zahl der registrierten Asylanträge ist indes nicht gleichzusetzen mit der Zahl der in die Bundesrepublik geflohenen Menschen!
Werden so genannte Mehrfach- und Folgeanträge identischer Personen berücksichtigt, ergibt sich, dass im Schlüsseljahr 1992 vermutlich ‚nur‘ ca. 272.000 Asylsuchende nach Deutschland geflohen sind (die reale Zahl lässt sich nicht genau rekonstruieren, und offiziell besteht kein Interesse daran, sie zu ermitteln). Hinzu kommt, dass sich hinter einer großen Zahl von Asylanträgen Kinder und Jugendliche verbergen: In den Jahren 2005/2006 zum Beispiel waren fast die Hälfte aller Asylantragstellerinnen und Antragsteller jünger als 18 Jahre, und fast jeder fünfte Asylantrag wurde „von Amts wegen“ gestellt – für in Deutschland geborene Kinder von Asylsuchenden.
Diese Zahlen illustrieren zweierlei: Zum einen leiden unter der bundesdeutschen restriktiven Asylpolitik vor allem „Kinder in Not“. Zum anderen verwandeln sich bedrohlich erscheinende „Asylantenfluten“ und ein „Heer von Asylmissbrauchern“ bei einer realitätsnahen Betrachtung – und unter Berücksichtigung der Verhältnisse in den jeweiligen Herkunftsländern – in Menschen, häufig Familien mit Kindern, die schutzbedürftig sind und Hilfe benötigen. Eine Politik, die sich ihres Wertebezugs rühmt, müsste andere Lösungen anbieten, als diese Menschen zu diffamieren, zu entrechten und zu erniedrigen.
‚Der aufgeklärte Westen‘, stolz auf seine Ideale und rechtsstaatlichen Prinzipien, entschied sich für eine nur an den eigenen Interessen orientierte Politik der Abschreckung, Abschottung und Abschiebung, ungeachtet der mit zu verantwortenden Ursachen für Flucht und Migration (Folgen des Kolonialismus, imperialistischer Kriege, einer kapitalistischen Weltwirtschafts-Unordnung und einer auch ökologisch zerstörerischen Politik).
Wie ideologisch und verlogen der ‚Kampf um das Asylrecht‘ geführt wurde, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass zeitgleich zum grotesk übersteigerten und demokratie- und menschenzerstörenden Parteienstreit über das Asylrecht eine umfangreiche und zugleich kaum thematisierte Einwanderung nach Deutschland stattfand. Sie traf allerdings auf das weitgehende Einverständnis der damaligen Bundesregierung: Von 1988 bis 2003 wanderten knapp 3 Mio. Menschen als (Spät-) Aussiedlerinnen und -aussiedler in die Bundesrepublik Deutschland ein. Von einem „Staatsnotstand“ war trotz des quantitativ über einen Zeitraum von 15 Jahren viel größeren Ausmaßes dieser Wanderungsbewegung nie die Rede.
Und so wird der ‚Kampf gegen das Asylrecht‘ erkenntlich als ein Teil der ideologischen und nationalistischen Auseinandersetzung darüber, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei und wer im Zweifelsfall einwandern darf. Maßnahmen gegen Asylsuchende ‚eigneten‘ sich in besonderer Weise, um fremdenfeindliche Ressentiments zu bedienen und in der Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, eine angeblich drohende „Überfremdung“ und Überforderung Deutschlands könne durch hartes Durchgreifen ihnen gegenüber abgewendet werden.
2. Welche Folgen hatte die Asylrechtsänderung für Asylsuchende und für das System des Flüchtlingsschutzes?
Wenn über die Folgen der Asylrechtsänderung gesprochen wird, darf nicht vergessen werden, dass der faktischen Abschaffung des Art. 16 GG im Jahr 1993 eine sukzessive Aushöhlung des Asylrechts in der Praxis und in der Rechtsprechung vorausgegangen war. Diese Rechtsbeschneidungen und Einschränkungen sind heute überwiegend noch in Kraft. Zum Teil wurden sie sogar noch verschärft. Praktische Aushöhlung des Asylrechts Beispielsweise führte die Einführung der Visumspflicht für jene Herkunftsländer, aus denen viele Flüchtlinge fliehen mussten, 1980 dazu, dass Asylsuchende seitdem im Regelfall nicht mehr legal nach Deutschland einreisen und hier um Asyl nachsuchen können. Sie wurden damit illegalisiert und kriminalisiert.
Aufgrund der verschärften Einreisekontrollen wurden sie zugleich ‚kommerziellen Schleusern‘ in die Arme getrieben, die es ohne die restriktive Abschottungspolitik der Aufnahmeländer nicht gäbe. Auch vor 1993 wurden Menschen immer wieder ohne sorgfältige Prüfung ihres Asylgesuchs an den deutschen Grenzen zurückgewiesen. Mit der Asylrechtsänderung wurde dies allerdings zum Prinzip. Diejenigen, die es dennoch schaffen, in die Bundesrepublik zu gelangen, scheitern oft an kleinlich diskriminierenden Verfahrensbestimmungen im Asylrecht: an zu kurzen Fristen, an formalen Ausschlussregelungen, an der Verkürzung des üblichen Rechtsmittelweges, beschleunigten Verfahren usw.
Nicht zu unterschätzen sind auch die asylverhindernden Auswirkungen eines mitunter schier unbändigen Misstrauens und einer Abwehrmentalität vieler Asylentscheider/innen und Verwaltungsrichter/innen: Der Beispiele gibt es unzählige, in denen Verfolgten und Misshandelten ihr Vorbringen einfach nicht „geglaubt“ wird, in denen Sachverhalte nicht sorgfältig und unbefangen aufgeklärt und unpassende und vorgefertigte Textbausteine in den Asylentscheidungen verwandt werden, mit denen Flüchtlingen mutwillig die Unwahrheit unterstellt und angebliche Widersprüchlichkeiten konstruiert werden.
Zudem wird gegenwärtig Tausenden von anerkannten Flüchtlingen, darunter vielen Flüchtlingen aus dem Irak und aus Afghanistan, ihr Asylstatus widerrufen, da trotz allgemeiner Gewaltverhältnisse in den jeweiligen Ländern eine individuelle Verfolgungssituation nicht mehr bestehe. Rechtliche Aushöhlung des Asylrechts Die Rechtsprechung in Deutschland, insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts, tat ein Übriges, um das großzügige Asylversprechen des Grundgesetzes in kleiner Münze auszuzahlen: Diverse Rechtskonstruktionen und -figuren der Rechtsprechung sorg(t)en dafür, dass unzählige Menschen, die mit unbefangenen Augen eindeutig als Flüchtlinge bzw. Schutzbedürftige angesehen würden, nach höchstrichterlicher Rechtsprechung als „Wirtschaftsflüchtlinge“ bzw. als „nicht berechtigte“ Flüchtlinge abgeurteilt wurden.
So wurde über eine lange Zeit eine erlittene Folter dann nicht als „asylrelevant“ betrachtet, wenn die Folterer ‚mit guten Gründen‘ handelten (etwa zur ‚Terrorbekämpfung‘). Auch die Rechtsfigur einer „inländischen Fluchtalternative“ führt häufig zu Ablehnungen politisch Verfolgter, die kaum nachzuvollziehen sind.
Ein besonderes Negativbeispiel dafür, wie die Schutzbedürftigkeit von Flüchtlingen in der Rechtsprechung zum Verschwinden gebracht werden kann, stellte das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 1996 zu bosnischen Asylsuchenden dar. Praktisch kein muslimischer Bosnier konnte in Deutschland Asyl erhalten, weil nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts die bosniakische Regierung sie in ganz Bosnien vor einer Verfolgung hätte bewahren können und weil das Asylrecht nicht vor allgemeiner Not und Krieg schützen solle.
So liest sich das Urteil: „Bosnien-Herzegowina hat zu keiner Zeit während des Bürgerkrieges seine – Verfolgungsschutz vermittelnde – Gebietshoheit auf seinem gesamten Territorium eingebüßt“. Mithin wurden bosnische Flüchtlinge, die offenkundig Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention waren, in Deutschland nicht anerkannt. Sie blieben „ausreisepflichtig“ und wurden über Jahre hinweg lediglich geduldet. Nach Auffassung der höchsten Verwaltungsrichter waren auch nicht-staatliche Verfolgungsmaßnahmen grundsätzlich asylrechtlich irrelevant. Das Bundesverwaltungsgericht ignorierte dabei die Kritik des UN-Flüchtlingskommissars und die überwiegend abweichende Praxis anderer Länder, um an seiner Interpretation und Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention festhalten zu können.
Die Politik wiederum ließ die skandalöse Rechtsprechung mit fatalen Folgen für die Betroffenen über Jahre hinweg geschehen, denn sie entsprach ihrem Interesse. Erst im Jahr 2005 musste das isolierte deutsche Sonderrecht in Bezug auf „nicht-staatliche“ Verfolgungsgründe infolge der europäischen „Harmonisierung“ aufgegeben werden. Entwertung des Asylrechts durch eine Politik der Abschreckung
Die schändlichste Form der Aushöhlung des Asylrechts ist die in Deutschland bis heute praktizierte und in Teilen – ungeachtet zurückgehender Asylzahlen – immer weiter verschärfte Politik der Abschreckung. Die schlichte „Logik“ vieler gesetzlicher Bestimmungen ist – und das gilt insbesondere für das Asylbewerberleistungsgesetz, das Teil des „Asylkompromisses“ von 1992 war: Wir behandeln Asylsuchende so schlecht wie möglich, um andere Menschen von der Flucht nach Deutschland abzuhalten. Dass eine solche Politik mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar ist, ist einerseits offenkundig. Andererseits scheint inzwischen das eigentlich Inakzeptable dieses Politikansatzes mit den Jahren der Gewöhnung zum Selbstverständlichen im Umgang mit Schutzsuchenden in Deutschland (und in Europa) geworden zu sein.
Dabei wird in einem Maße und einer zerstörerischen Alltäglichkeit in das Leben, in die Persönlichkeitssphäre, in die Würde von Personen – Männer, Frauen, Kinder, häufig gequälte, verfolgte und psychisch kranke Menschen – eingegriffen, wie es für die übrige Bevölkerung unvorstellbar sein dürfte. Asylbewerberleistungsgesetz Asylsuchende (aber auch andere nicht-anerkannte Flüchtlinge, z.B. Geduldete) erhalten eine materielle Unterstützung nach dem „Asylbewerberleistungsgesetz“, die weit unterhalb der üblichen Sozialhilfesätze liegt. Diese staatlichen Minimalhilfen sind nach Einführung des Gesetzes im Jahr 1993 niemals erhöht worden, obwohl es in diesem Zeitraum einen Anstieg der allgemeinen Lebenshaltungskosten um mehr als 20% gab und die Leistungen bereits vor 15 Jahren lediglich das absolute Existenzminimum abdecken sollten. Verwerflicher noch als diese quantitative Dimension der Ungerechtigkeit ist die Demütigung, Diskriminierung und Entmündigung, die mit dem verbunden ist, was „Sachleistungsprinzip“ genannt wird: Obschon im Kapitalismus Geld nahezu alles bedeutet, wird Asylsuchenden Bargeld für ihre Lebensunterhaltskosten bis auf ein minimales „Taschengeld“ versagt. Sie erhalten lediglich Gutscheine oder – was eine moderne Variante desselben ist – Chipkarten, mit denen nur in bestimmten Läden eingekauft werden kann und mit denen sie als Menschen ‚minderen Werts‘ für alle Anderen auf Anhieb erkennbar sind. Vielerorts können Asylsuchende nicht einmal mehr bestimmen, was sie wann und in welcher Form essen wollen: Das Essen wird ihnen vorgesetzt. Viele Flüchtlinge werden aufgrund dieser gesetzlich vorgeschriebenen Mangelversorgung und des kontrollierten, fremdbestimmten Lebens krank. Das kann sich katastrophal auswirken, denn nach dem Asylbewerberleistungsgesetz stehen kranken Asylsuchenden im Grundsatz nur Akut- und Notbehandlungen und die Beseitigung akuten Schmerzes zu. Geht es um chronische oder aufwändige und teure Behandlungen, kann es passieren, dass ein Mensch stirbt, bevor das zuständige Sozialamt zur notwendigen „Kostenübernahme“ bereit ist.
Solche Fälle mögen Einzelfälle sein, aber sie repräsentieren das allgemeine Prinzip: die systematische und inhumane Schlechterbehandlung von Menschen, um sie spüren zu lassen, dass sie unerwünscht sind (Siehe die Petitionsinitiative zur Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes.)
Lager
Zum Prinzip der Abschreckung gehört die zwangsweise Unterbringung Asylsuchender (sowie abgelehnter und geduldeter Flüchtlinge) in Lagern – euphemistisch „Gemeinschaftsunterkünfte“ genannt. Auch wenn manche Massenunterkünfte rein äußerlich nicht an „Lager“ erinnern mögen, verkörpern sie dennoch das Prinzip des „Lagers“, das diese Form der entpersönlichenden Zwangsunterbringung kennzeichnet.
Menschen werden gezwungen, auf 6 Quadratmetern in unwohnlichen Baracken oder Behelfsbauten über viele Monate, manchmal Jahre zu „wohnen“, zum Teil mit Fremden in einem Zimmer, zum Teil Familien mit Kindern in einem Raum. Oft liegen diese Lager fernab der übrigen Wohnbevölkerung. Die Zuspitzung dieses isolierenden und entsolidarisierenden Prinzips wird „Dschungellager“ genannt: „Wohnheime“ im Wald, viele Kilometer Fußweg vom nächsten Geschäft oder dem nächsten Ort entfernt. Wie konnte es geschehen, dass im Land des mörderischen Lageruniversums die Institution des Lagers als Mittel zur Isolierung, Bestrafung und Sanktionierung der Unerwünschten, zur sichtbaren Stigmatisierung, Entwürdigung und Entrechtung von Menschen wiederkehrte? Nicht im Krieg, sondern inmitten nationalstaatlich gehorteten Wohlstands!? Nicht als eine vorrübergehende Not- oder Behelfsmaßnahme, sondern als ein vorsätzlicher Eingriff in die Würde von Menschen? Wie kann es sein, dass sich nur ganz vereinzelt Protest erhebt, wenn Asylsuchenden über Jahre hinweg verboten wird, bei Freunden oder Familienangehörigen zu wohnen – selbst wenn dies für den deutschen Staat umsonst wäre –, weil sie unter unwürdigen Verhältnissen in einem ganz bestimmten Lager in einem ganz bestimmten Teil der Bundesrepublik zu „leben“ gezwungen sind?
Der Skandal des Asylbewerberleistungsgesetzes wurde erst im letzten Jahr noch verfestigt. War es bei Einführung des Gesetzes im Jahr 1993 noch ein Jahr, währenddessen Asylsuchende „sonderbehandelt“ wurden, wurde die seit 1997 geltende Drei-Jahres-Frist im Jahr 2007 um ein weiteres Jahr verlängert. Die SPD stimmte dieser Verschärfung (wie vielen anderen) „gegen ihren Willen“ zu – aber was bedeutet das schon, wenn der Wille zur Humanität so schwach ist? Asylsuchende scheinen mit der Demontage des Asylrechts und der Schaffung von Sondergesetzen, die ihre entwürdigende Behandlung verrechtlichen, dauerhaft in eine „Zone minderer Humanität“ abgedrängt worden zu sein.
In dieser Zone sind auch die Abschiebelager (Ausreisezentren) angesiedelt, in denen schutzsuchende Menschen staatlicherseits zur „freiwilligen“ Ausreise genötigt werden. Kein Mitleid und kein Erbarmen können sie in den Zonen minderer Humanität mehr geltend machen, und auch die üblichen rechtsstaatlichen Grundsätze sollen für sie dort nicht gelten. Residenzpflicht Ergänzt wird das Lagerprinzip von einer in Deutschland gesetzlich sanktionierten Menschenrechtsverletzung: der so genannten „Residenzpflicht“. Asylsuchende (aber auch andere Flüchtlinge) werden gezwungen, sich in einem kleinen Bereich, etwa dem Landkreis, aufzuhalten.
Ohne Sondergenehmigung dürfen sie die Stadt, in der sie wohnen, nicht verlassen, andere dürfen das nächste Dorf nicht besuchen, weitere werden faktisch daran gehindert, Freundschaften zu schließen oder den nächstgelegenen Badesee aufzusuchen. Auch das politische Engagement von Asylsuchenden, ihre Vernetzung mit Anderen im Kampf gegen das Asyl- und Lagersystem und gemeinsame überregionale Protestaktionen werden durch die „Residenzpflicht“ behindert und kriminalisiert. Diese Beschränkung der Bewegungsfreiheit ist weltweit nahezu einmalig. Sie muss als brutal und „sinnlos“ bezeichnet werden – wenn der „Sinn“ nicht im Schikanieren und Bestrafen der Menschen läge.
Arbeitsverbote
Ein umfassendes Arbeitsverbot gilt bei Asylsuchenden für das erste Jahr ihres Aufenthalts, und es folgen Jahre eines faktischen Arbeitsverbots, weil im deutschen Recht die so genannte „Vorrangprüfung“ festgeschrieben wurde. Arbeiten dürfen Asylsuchende demnach in den ersten vier Jahren ihres Aufenthalts nur, wenn sich niemand sonst für eine Arbeit finden lässt: keine Deutschen, keine EU-Angehörigen, keine EU-Assoziationsberechtigten (was es alles gibt!) und auch keine sonst irgendwie aufgrund internationaler Abkommen Bevorrechtigten.
Arbeit als Zwang ist allerdings vorgesehen, denn zu Arbeiten im Lager können Asylsuchende verpflichtet werden. Das Prinzip der Abschreckung verbindet brutale Härte mit Irrationalität. Es setzt die Würde des Menschen herab. Dass die „Logik“ der Abschreckung funktioniert, ist zweifelhaft. Nur ein Bruchteil der Asylsuchenden sucht sich das Zufluchtsland aus nach Kriterien wie der Höhe der Sozialhilfe, der Form der Unterbringung oder dem Arbeitsrecht. Viel wichtiger sind in diesem Zusammenhang familiäre und freundschaftliche Kontakte, Sprachkenntnisse und Verbindungen, die aus jahrzehntelangen kolonialen Zwangsverhältnissen resultieren. Die Politik der Abschreckung führt jedoch dazu, dass Menschen ihr Recht auf Asyl angesichts der erbärmlichen Lebensbedingungen von Asylsuchenden gar nicht erst geltend machen und ein ungewisses Leben in der „Illegalität“ dem staatlich reglementierten Leben vorziehen.
Verteilung
Wie Asylsuchende in der Bundesrepublik regional „verteilt“ werden, angeblich, um eine „ausgewogene Belastung“ zu erzielen, so werden sie auch in der Europäischen Union nach dem so genannten „Dublin-System“ gewaltsam hin- und hergeschoben – und zu diesem Zweck nicht selten in der Früh verhaftet und mit Handschellen abgeführt oder über Wochen und Monate hinweg in Haft gehalten.
Allerdings geht es auf europäischer Ebene nicht um das Ziel einer „fairen Lastenverteilung“, sondern um die Durchsetzung eines Prinzips: Wer für die Einreise von Asylsuchenden „verantwortlich“ ist, wer es also nicht verhindert hat, dass Schutzsuchende nach Europa gekommen sind, der soll dafür „büßen“, sprich: für das Asylverfahren, die Unterbringung und gegebenenfalls die spätere Abschiebung der Betroffenen verantwortlich sein. Wenn Schutzsuchende dieser Zwangsverteilungslogik entgehen wollen, bleibt ihnen nur die „Unehrlichkeit“. Sie müssen ihren genauen Reiseweg verschweigen und Dokumente verbergen, aus denen dieser hervorgehen könnte. Dies ergab sich bereits aus der faktischen Abschaffung des Asylrechts 1993, denn seitdem droht Asylsuchenden andernfalls die unmittelbare Zurückweisung ins angeblich „sichere“ Transitland.
Die Un-Logik der „Sichere Drittstaaten“-Regelung: Die Drittstaatenregelung besagt: Es gibt kein Recht, in Deutschland um Asyl nachzusuchen, da auch alle Anrainerstaaten Deutschlands die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet haben. In der letzten Konsequenz müssten hiernach nur noch die unmittelbaren Nachbarländer von Herkunftsstaaten Asyl gewähren – und Europa wäre ‚fein raus‘. Doch bereits 1993 war die Annahme, Polen, Tschechien oder auch Griechenland böten ein Asylsystem, das den Grundrechtsanforderungen genügen könnte, irreal. Und auch heute noch kommt es in Staaten, die per Mehrheitsbeschluss im Deutschen Bundestag 1993 pauschal als „sicher“ erklärt wurden, zu untragbaren Menschenrechtsverletzungen gegenüber Asylsuchenden, zu regelmäßigen Inhaftierungen (auch von Kindern), zu Misshandlungen und zu offenen Verstößen gegen das Abschiebungs-Verbot der Genfer Flüchtlingskonvention – wie das aktuelle Beispiel Griechenlands belegt.
Europäisierung des Flüchtlingssystems
Die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl war sowohl Voraussetzung als auch Folge der Europäisierung des Asylsystems. Das deutsche Asylrecht stand mit seinem subjektiven Rechtsanspruch auf ein Asylverfahren (in Deutschland) der Durchsetzung europäischer Zuständigkeitsvereinbarungen im Wege. Diese wurden zunächst noch zwischen einzelnen Staaten beschlossen (Stichwort: Schengener Abkommen). Später wurde das System dann „vergemeinschaftet“, d.h. zu einem festen Bestandteil des EU-Asylsystems gemacht (Stichwort: Dublin-Verordnung).
Die mit der Grundrechtsänderung geschaffene Drittstaatenregelung ermöglichte zudem den Abschluss bilateraler Rückübernahmeabkommen, damals vor allem mit Polen, Tschechien und Rumänien. Länder, in die Deutschland ab dem 1.7.1993 Asylsuchende zehntausendfach ohne ein vorheriges reguläres Asylverfahren ab- bzw. zurückschob. Die Bundesrepublik war ein treibender Motor bei der EUropäisierung des Asylsystems, weil sie so eine Verringerung ihrer „Zugangszahlen“ erreichen wollte. Mit der Grundrechtsänderung wurde die Verlagerung der Verantwortung für den Flüchtlingsschutz auf andere Staaten beschlossen. Und nach diesem ‚Vorbild‘ – nach dem Motto: „Aus den Augen, aus dem Sinn“ – wurde auch das System der europäischen Abschottung gestrickt.
Die bundesdeutsche Drittstaaten-Regelung hat in einer Richtlinie der EU inzwischen ihr rechtliches Pendant gefunden, d.h. die Staaten der EU streben an, Ländern in Nordafrika und Osteuropa die Aufgabe der Aufnahme bzw. Abweisung von Asylsuchenden zu übertragen. Faktisch geschieht dies heute schon auf der Basis zwischenstaatlicher Vereinbarungen. Ließe sich praktisch durchsetzen, was politisch gewollt ist, wäre Deutschland längst ein „Land ohne Flüchtlinge“ – denn das ist die Konsequenz aus der Drittstaatenregelung, und dieses Ziel wird europaweit offenbar geteilt.
Tausende Tote als Preis der Abschottung
Bei den Mitteln zur Erreichung dieses Ziels spielen moralische Skrupel keine Rolle. Der „Preis der Abschottung“ ist hoch: Während vor 15 Jahren viele Schutzsuchende vor allem an den deutschen Ostgrenzen (an Oder und Neiße) bei dem Versuch starben, die bewachten Grenzen zu überwinden, verlagerten sich die Orte des Schreckens mit der Ausweitung des Asylsystems vor allem an die maritimen Südgrenzen der EU. Immer stärker kontrollierte Grenzen zogen immer gefährlichere Fluchtwege nach sich, sowie die Notwendigkeit, sich in die Hände professioneller (und mitunter skrupelloser) „Schleuser“ zu begeben. Die Abwehrhaltung der EU hat inzwischen einen Namen: Mit Stolz verkündet die europäische „Agentur“ FRONTEX (zur „operativen Zusammenarbeit an den EU-Außengrenzen“), bereits Zehntausende Menschen an der Flucht nach Europa gehindert zu haben. Dabei macht man sich auch die Hände schmutzig, denn eine Zusammenarbeit mit Regimes wie Libyen und Marokko, die sich um die Menschenrechte und das Leben von Menschen nicht scheren, ist für eine ‚erfolgreiche‘ Politik der Flüchtlingsabwehr unabdingbar.
Die Staaten der EU liefern diesen Transitländern, was für die Aufgabe der Fluchtverhinderung benötigt wird: Nachtsichtgeräte, Patrouillenboote, Leichensäcke. Und die spezialisierten Grenzbeamten der EU bringen ihren ‚Kollegen‘ in Nordafrika und Osteuropa das ‚Handwerk‘ bei: die Speicherung von Fingerabdrücken, das Erkennen gefälschter Pässe, das Aufspüren von Fluchtwegen. Dass Menschen, die von Staaten der EU zurückgewiesen wurden – ob rechtswidrig oder formal legal, das spielt hier keine Rolle –, in afrikanischen Transitländern in der Wüste ausgesetzt werden oder in Internierungslagern vor die Hunde gehen, interessiert die Bürgerinnen und Bürger der Wohlstandsfestung Europa nicht.
Selbst die schier unglaubliche Zahl von mittlerweile vermutlich über 20.000 Toten an den Grenzen der EU infolge der militarisierten Grenzpolitik seit Anfang der 90er Jahre lässt den Kontinent nur kurz aufhorchen – aber nicht etwa umdenken. Otto Schilys Idee, Flüchtlings-Aufnahmelager der EU in Afrika zu errichten, ließ sich aus unterschiedlichen Gründen nicht durchsetzen. Die Realität allerdings ist noch schlimmer, denn die jetzigen Lager in Afrika, aber z.B. auch in der Ukraine, die infolge der europäischen Abschottungspolitik existieren, sind Orte der Entrechtung, der Inhumanität und des Todes. Anders als Schilys Lager stehen sie jedoch nicht im Blickpunkt der Öffentlichkeit oder der Kritik. Die Lager außerhalb der EU und an ihren Grenzen sind eine komplementäre Erscheinung zu den Lagern innerhalb des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (Eigenbezeichnung der EU-Innenpolitik): den Abschiebeknästen, den Massenunterkünften, den Internierungslagern und den „Ausreiseeinrichtungen“.
Solange diese Orte der Unmenschlichkeit und Entrechtung innerhalb der EU und in Deutschland als „Normalität“ empfunden und akzeptiert werden, solange werden im Namen der EU, im Namen Deutschlands, Tausende Menschen auf der Flucht zu Tode kommen oder rechtlos in Lagern dahinvegetieren. Das Kalkül, das der Änderung des Art. 16 GG zugrunde lag, ist aus Sicht der Verantwortlichen im Rückblick voll aufgegangen, ja, das anvisierte Ziel wurde sogar übererfüllt: Die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland ist rapide zurückgegangen, und andere Länder tragen nun die ‚Last‘ der Flüchtlingsaufnahme bzw. erledigen die ‚Drecksarbeit‘ der Flüchtlingsabwehr.
Deutschland hat sich aus dem internationalen System des Flüchtlingsschutzes weitgehend zurückgezogen – und lässt aktuell bereits wieder die Alarmglocken läuten, nur weil die Zahl der Asylsuchenden auf niedrigem Niveau zu steigen ‚droht‘. 1992/93 konnte, wer wollte, das politische Handeln noch als getrieben von den damaligen ‚Ausnahmebedingungen‘ rechtfertigen. Die heutige Politik kann solche (faulen) Entschuldigungen nicht mehr vorbringen: sie erscheint als beherrscht von grausamer Gedankenlosigkeit im Sinne Hannah Arendts.
Was können wir tun?
Angesichts der mörderischen Folgen europäisierter Migrations- und Flüchtlingspolitik, erscheinen unsere Vorschläge, für Flüchtlinge und Migranten Partei zu ergreifen, ungenügend, das ist uns selbst allzu schmerzhaft bewusst. Gleichwohl sehen wir keine andere Möglichkeit, als immer erneut sich mit anderen zusammenzutun und sich praktisch aufzulehnen, damit sich die Zonen minderer Humanität nicht weiter ausbreiten.
Am 5. Juli 2008 wird es in Berlin zum 15. Jahrestag des Inkrafttretens der Asylrechtsänderung eine Demonstration geben. Das Komitee ruft zur Teilnahme auf.
Unterstützen Sie Aktionen gegen das Asylbewerberleistungsgesetz, ermöglichen Sie Flüchtlingen durch ‚Umtauschaktionen‘ einen Einkauf mit Bargeld, unterzeichnen Sie die Petition des Komitees gegen das Asylbewerberleistungsgesetz.
Unterstützen Sie aktive Gruppen vor Ort, Selbstorganisationen und Initiativen, die Flüchtlingen helfend zur Seite stehen, die sich gegen die Gewalt der Abschiebungshaft und Lager engagieren, die Menschen zu einem Bleiberecht verhelfen.
Unterstützen Sie die Kirchenasylbewegung oder die politische Bewegung „kein Mensch ist illegal“.
Verhelfen Sie geduldeten Flüchtlingen mit längerem Aufenthalt zu einer Beschäftigung – und damit unter Umständen zu einem Aufenthaltsrecht.
Setzen Sie Parteien und Politiker/innen auf allen Ebenen unter Druck, um den Menschen über die Bleiberechtshürden zu helfen und ihre Lebensbedingungen zu verbessern.
Suchen Sie Kontakt zu Flüchtlingen, besuchen Sie die Unterkünfte, in denen sie leben, sprechen Sie mit Betroffenen.
Ausgewählte Adressen:
PRO ASYL: eMail: proasyl@proasyl.de | http://www.proasyl.de
Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e. V. eMail: info@kirchenasyl.de | www.kirchenasyl.de
No-Lager Netzwerk: http://www.nolager.de/
aktiv gegen abschiebung! kein mensch ist illegal! www.aktivgegenabschiebung.de
Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen www.thecaravan.org •
Flüchtlingsinitiative Brandenburg: http://www.fib.net/
The Voice Refugee Forum: http://www.thevoiceforum.org/
Fortress Europe: http://www.fortresseurope.blogspot.com
Dokumentation des Massensterbens an Europas Grenzen: www.borderlineeurope.de/links.php