25. Nov. 2024 © © picture alliance / Klaus Rose | Klaus Rose
Anti-Atom / Antimilitarismus / Bundeswehr / Komitee Geschichte

Eskalation ohne Perspektive. Die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland

Am 10. Juli 2024 verkündeten die deutsche und die US-amerikanische Regierung in einer dürren, kaum acht Zeilen langen Erklärung, ab 2026 US-Mittelstreckenraketen in Deutschland stationieren zu wollen. Vertreter*innen der Bundesregierung stellen die Stationierung als defensive Reaktion auf russische Aggressionen dar. Es gehe lediglich darum, eine gegenüber Russland bestehende „Fähigkeitslücke“ zu schließen.

Diese Darstellung ist irreführend. Betrachtet man die Stationierung in ihrem größeren Kontext, ergibt sich ein anderes Bild. Nachdem frühere Annäherungsversuche gescheitert waren, verschlechterten sich die Beziehungen zwischen der NATO und Russland ab Ende der 2000er Jahre deutlich. Es kam zu einer wechselseitigen Eskalation rüstungs- und militärpolitischer Entscheidungen, darunter weitere Schritte zur Osterweiterung der NATO und russische Militär-Interventionen in Georgien und der Ukraine. Im selben Zeitraum spitzte sich die militärische Konfrontation zwischen den USA und China zu.

Vor diesem Hintergrund entwickelten die USA das Konzept der Multi-Domain Taskforces, in denen Einheiten unterschiedlicher Waffengattungen kooperieren, darunter auch Artillerieverbände mit Mittelstreckenraketen. Zu diesem Zeitpunkt war die Stationierung landgestützter Mittelstreckenraketen allerdings noch durch das 1987 zwischen den USA und der Sowjetunion geschlossene Abkommen zum Verzicht auf atomare Mittelstreckenraketen (INF-Abkommen) verboten, welches sich auch auf konventionelle Raketen erstreckte. Das Abkommen ging maßgeblich auf den politischen Druck weltweiter Friedens- und Abrüstungsbewegungen zurück, in denen auch das Grundrechtekomitee stark involviert war.

Im August 2019 kündigte die US-Regierung unter Donald Trump das INF-Abkommen, mit der Begründung, Russland habe dieses längst gebrochen. Dieser Vorwurf ist umstritten. Russische Angebote zu Waffeninspektionen lehnte die US-Regierung ab.

Ihr Vorgehen zeigt zudem, dass das Ende des Abkommens gut in ihr eigenes strategisches Konzept passte. Nur einen Tag nach der Aufkündigung durch Präsident Trump erklärte der US-Verteidigungsminister, die USA würden neue, gegen China gerichtete Mittelstreckenraketen in Stellung bringen. Die Raketen, die nun in Deutschland stationiert werden sollen, sind Teil einer bereits 2018 angekündigten Multi-Domain Taskforce. Ihre Stationierung wurde durch die Kündigung des INF-Abkommens 2019 juristisch überhaupt erst möglich. Die Stationierung fügt sich somit in eine langfristige und aufwendig betriebene Strategie zum Ausbau westlicher Militärkapazitäten ein.

Die geplante Stationierung widerspricht somit nicht nur einem mehr als 30 Jahre gültigen Rüstungskontroll-Abkommen, sondern bricht auch mit einem in den 1980er Jahren durch soziale Bewegungen erkämpften und seitdem breit unterstützten Konsens zur Abrüstungspolitik. Die Entscheidung erfolgte ohne jede öffentliche Debatte; selbst der 1979 verkündete NATO-Doppelbeschluss musste 1983 noch im Bundestag gebilligt werden. Dies zeigt die weitere Entleerung liberaldemokratischer Prinzipien, welche in Deutschland ohnehin auf repräsentative Verfahren verengt sind.

Zudem sind die zur Stationierung geplanten Raketentypen insbesondere zur Offensive geeignet. Gerade die Überschallwaffen erlauben Angriffe, speziell sogenannte Erstschläge, tief im russischen Territorium. Dazu passt, dass die Initiative keinerlei abrüstungspolitische Komponenten enthält. Sogar der NATO-Doppelbeschluss kombinierte ein massives Aufrüstungsprogramm mit Abrüstungsangeboten an die Sowjetunion.

Ein ernsthaftes Bemühen um neue Rüstungskontrollen ist von westlichen Regierungen heute nicht zu erkennen. Deshalb wäre es falsch, den offiziellen Verlautbarungen zu glauben, die die Raketenstationierung als rein defensive Maßnahme darstellen. Sie ist ein taktische Element in der imperialistischen Konkurrenz von Großmächten, welche im Interesse der sie dominierenden gesellschaftlichen Kräfte und (Klassen-)Fraktionen handeln.

Schließlich wird die Stationierung die militärische Eskalation zwischen den westlichen Staaten und der russischen Regierung weiter verschärfen. Russland hat bereits angekündigt, ebenfalls neue Raketen zu entwickeln und stationieren zu wollen. Der Ausstieg aus einer solchen Eskalationssequenz ist nicht durch weitere Aufrüstung möglich. Perspektiven bieten ein ernsthaftes Bemühen um Abrüstung, zivile Konfliktbearbeitung und die solidarische und demokratische Überwindung der sozio-ökonomischen Ungleichheiten und Krisendynamiken, welche den militärischen Zuspitzungen zugrunde liegen.